
nIm Gefängnis beginnt Simon Anderegg, der stellvertretende Direktor, mit der Erklärung, warum Führungen im Regionalgefängnis Thun durchgeführt werden: «Für uns ist wichtig, die Meinung der Öffentlichkeit über Haftbedingungen ins rechte Licht zu rücken, da diese oft von Politik und Medien manipuliert wird.» Gleich zitiert er ein negatives Beispiel aus der Gratiszeitschrift «20 Minuten»: «Viele Afrikaner werden in der Schweiz kriminell wegen guten Haftbedingungen.»
Er fügt hinzu: «Auch einige PolitikerInnen manipulieren ihre WählerInnen häufig, indem sie die Angst vor Kriminalität vieler Menschen gezielt ausnutzen und den hohen Ausländeranteil betonen.»
Ein Mensch in Untersuchungshaft darf nicht telefonieren. Bewilligte Besuche und Briefe schreiben hingegen sind erlaubt. 23 Stunden pro Tag sitzt er in seiner Zelle und beschäftigt sich mit Lesen, Schreiben oder Fernsehen. Da bleibt viel Zeit zum Nachdenken. Ein Gefangener im Strafvollzug wird dadurch bestraft, dass ihm die Freiheit entzogen wird. Es braucht keine zusätzliche Bestrafung. Die Resozialisierung ist bei allen GefängnisinsassInnen ein wichtiger Aspekt.
Wie ein Mensch, der aus der Haft entlassen wird, sein solle, fragt Simon Anderegg. Psychisch angeschlagen und nicht mehr in die Gesellschaft integrierbar oder geistig gesund und auf das Leben draussen so gut wie möglich vorbereitet? Falls ein ehemaliger Häftling mein Nachbar wird, wie wünsche ich ihn mir dann? Je länger Herr Anderegg spricht, umso mehr fühle ich, mit wie viel Herzblut er für «seine Gefangenen» einsteht.
Auf dem Rundgang
Meine Tandempartnerin und ich werden nun von Ernst Staudenmann durch das Gefängnis geführt. Er ist Logenleiter und stellt in dieser Funktion die Überwachung und den Betrieb der Gefangenen und des Gefängnisses rund um die Uhr sicher. Jetzt geht es weiter zu den Besuchsräumen. Zwischen den Gefangenen und den BesucherInnen ist eine Trennscheibe, welche keine Berührung zulässt. Da dies heute nicht mehr gesetzeskonform ist, ist die Entfernung der Trennscheibe in Planung.
«Jede Person gilt bis zu ihrer
Schweizerische Strafprozessordnung
rechtskräftigen Verurteilung
als unschuldig.»
Immer muss Ernst Staudenmann eine Tür aufschliessen, damit wir weiterkommen. Die Türen fallen laut ins Schloss. AufseherInnen und BetreuerInnen wissen so ohne warten zu müssen, dass sie geschlossen ist. Wir sehen ein Arztzimmer, ein voll ausgerüstetes Zahnarztzimmer und den Raum, wo drei Pflegefachfrauen Teilzeit arbeiten.
Beschäftigung für die Inhaftierten
Einige InsassInnen dürfen in Schreinerei, Wäscherei, Küche, Putzdienst oder Verpackung arbeiten. Der beliebteste Job ist in dem Raum, wo die Verpackungen für die Swatch-Uhren zusammengesetzt werden. Bei guter Führung kann sich der oder die Gefangene für eine Arbeit bewerben. Für ihren Einsatz erhalten die Häftlinge ein Pekulium, in der Regel drei Franken pro Stunde. Damit können sie sich am Kiosk Zigaretten kaufen oder sich sonst einen Wunsch erfüllen.
Ein Fitnessraum bietet die Gelegenheit, angestaute Energie oder Frustrationen abzubauen. Ein wenig Freiraum! Die diversen Gefangenengruppen können nur getrennt trainieren. Jugendliche nicht mit Erwachsenen, Frauen nicht mit Männern. Eine Bibliothek bietet Lesestoff aus diversen Sparten. Jeden Monat kommen Mitglieder einer Freikirche, um mit Inhaftierten Spiele zu machen.
Ernst Staudenmann führt uns weiter durch die düsteren, muffigen Gänge zu einer Einzelzelle. Sie ist klein, ausgestattet mit Bett, Stuhl, kleinem Tisch, Fernseher, Dusche und Toilette. Durch ein winziges Fenster kommt Frischluft herein. Später sehen wir ein Doppelzimmer mit Notbett zum Herunterklappen. Es ist grösser und das WC ist durch einen Vorhang abgetrennt.

Menschen, welche gefährdet sind, sich selbst zu töten, werden im Arrestraum untergebracht, stündlich vom Aufsichts- und Betreuungspersonal überwacht und von externen PsychologInnen und PsychiaterInnen der psychiatrischen Dienste betreut. Zuletzt steigen wir auf das Dach zum Spazierhof. Unglaublich klein ist er! In der Mitte steht ein Pingpongtisch, eine Malerei an einer Wand lockert die Düsterkeit der grauen Betonwände wenig auf.
Insgesamt hinterlässt der Besuch im Gefängnis bei mir einen bedrückenden, nachdenklich stimmenden Eindruck. Gleichzeitig merke ich, wie viele Freiheiten wir haben. Die wohlwollende Einstellung, mit der Simon Anderegg und Ernst Staudenmann ihren InsassInnen gegenüberstehen, freut mich. Sie arbeiten mit vollem Einsatz, auch wenn Vieles in diesem Gefängnis nicht ihren Wünschen entspricht, vor allem die eingeschränkten Platzverhältnisse, nachdem auf Kosten der Arbeitsräume um 20 Zellen aufgestockt wurde.
Sozialkompetenz und Belastbarkeit werden bei der Einstellung der Angestellten im Gefängnis am meisten gewichtet, der erlernte Beruf spielt keine Rolle. Ich bin froh, dass ich bei der Führung dabei war und einige falsche Vorstellungen revidieren konnte. Beispielsweise stellte ich mir eine Zelle grösser vor und ich ahnte auch nicht, mit welcher Häufigkeit die Betreuer im Gefängnis mit medizinischen Notfällen konfrontiert werden. Diesen Abend werde ich nicht so schnell vergessen.
«Zwischen den Gefangenen und
den BesucherInnen ist eine
Trennscheibe, welche keine
Berührung zulässt.»
Alena: Vor dem Gefängnis traf ich Anita, wir schienen beide etwas nervös zu sein. Aufgrund eines Notfalls im Gefängnis mussten wir etwas länger warten. Später erfuhren wir dann auch den Grund dafür: Eine inhaftierte Person hatte versucht sich das Leben zu nehmen; sie überlebte zum Glück. Ich war geschockt. Dies schien keine Seltenheit zu sein. Doch bei den Meisten bleibt es beim Suizidversuch.
Simon Anderegg berichtete davon, dass die Einlieferung ins Gefängnis die schwierigste Phase für einen Inhaftierten oder eine Inhaftierte ist. In diesem Moment prasseln viele Gedanken auf die Personen ein: «Was sage ich meiner Frau? Kann ich meinen Job behalten? Wann komme ich wieder raus? Wie geht es nun weiter?» Solche Fragen lösen einen enormen Druck aus und führen nicht selten zu Suizidgedanken und -handlungen.
Kunterbunt oder graue Wände?
Ich hatte mir eine Zelle etwas fröhlicher vorgestellt. Vielleicht eher wie in einer psychiatrischen Einrichtung oder in einem Spital – ein bisschen beruhigende Farben… Dies war nicht der Fall. Der kleine «Auslauf» schockierte mich. Ich hatte mit mehr Platz gerechnet und einem etwas freundlicheren Ambiente. Rechts, links und unten grauer Beton. Die Decke ein Gitter, welches nicht viel Sicht auf den Himmel zulässt. Positiv überrascht war ich dagegen von der Bibliothek.
Simon Anderegg hat uns nicht nur durch die verschiedenen Räumlichkeiten geführt, sondern uns auch mit spannenden Fakten beliefert. Als lernende Kauffrau haben mich auch die rechtlichen Aspekte interessiert. Das Gefängnis ist ein Untersuchungsgefängnis, die meisten Gefangenen befinden sich in Untersuchungshaft. Laut der schweizerischen Strafprozessordnung gilt «jede Person bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig».
So scheint es mir auch logisch, dass Gefangene hier trotzdem noch das Recht auf «begrenzte» Freiheit haben. Ich finde es wichtig, dass sie auch Besuch empfangen können.
Ausbrüche und Schmuggelversuche
Mit einem Schmunzeln lauschten wir den Geschichten von Ausbruch- und Schmuggelversuchen. Gefangene werden kreativ, wenn ihnen langweilig ist. Bispielsweise probierten einige beispielsweise ganz klassisch mit dem Leintuch durchs Fenster zu fliehen oder mit selbstgebastelten Sägen aus Feuerzeug-Zubehör die Gitter vor dem Fenster zu zersägen. Natürlich ging der Alarm los, bevor überhaupt etwas klappte.
Immer wieder probieren Angehörige und KomplizInnen Dinge ins Gefängnis zu schmuggeln. Darunter hauptsächlich Drogen oder Handys. Das meiste wird bei der BesucherInnenkontrolle gefunden. Jemand versteckte beispielsweise ein altes Handy in einer Mayonnaise oder die Drogen wurden in der Schokolade gefunden. Die betroffenen Eingewiesenen erhalten in solchen Fällen ein zeitlich beschränktes Besuchsverbot.
Zahlen und Fakten
In der Schweiz gibt es insgesamt 111 Anstalten und Gefängnisse. Der Ausländeranteil der Gefangenen beträgt 72 Prozent, 35 Prozent bei den Jugendlichen. Darin eingerechnet sind auch Asylsuchende und Flüchtlinge. Insgesamt waren im Jahr 2007 in Thun 71 verschiedene Nationen vertreten. Im Gefängnis Thun sind Männer und Frauen, auch Jugendliche. Das Durchschnittsalter liegt bei 34 Jahren. Pro Tag und Person betragen die Vollzugskosten in Untersuchungshaft 220 Franken.