Melina befragt Karin
Dies wird ein persönliches Interview. Ich stelle dir nun einige Fragen zu deiner Erkrankung an Brustkrebs, welche vor sechs Jahren ihren Lauf genommen hat.
Wenn du zurückdenkst an den Tag deiner Diagnose, wie würdest du diesen Tag beschreiben?
Ich dachte: «Muss das sein in meinem Alter?»
Was ging dir dabei durch den Kopf? Was beschäftigte dich dabei am meisten?
Was ist die beste, natürlichste Therapie? Da ich selbst einen medizinischen Beruf ausübte, kannte ich schon viele Krankheitsfälle.
Wie wurdest du behandelt, wie lief die Therapie ab?
Um eine Chemotherapie zu umgehen, entschied ich mich für eine komplette Entfernung der linken Brust (Mamma und Lymphknoten). Anschliessend fuhr ich nach Arlesheim, liess mich in der Lukasklinik beraten und entschied mich für die Misteltherapie. Noch heute spritze ich regelmässig Iscador. Ich bin sicher, es stützt mein Immunsystem. Aber vielleicht wäre damals auch eine Chemotherapie richtig gewesen?
Giltst du heute als geheilt?
Nein, ich habe viele Knochenmetastasen, erlebe damit auch Einschränkungen, habe aber eine positive Einstellung zu meiner Krankheit.
Hast du auch schöne, beziehungsweise bereichernde Momente erlebt in dieser Zeit?
Da mein Mann leider schon gestorben war, erlebte ich liebevolle Unterstützung von meinen Kindern und von lieben Freunden.
Hättest du dir zu dieser Zeit etwas Bestimmtes vom Gesundheitspersonal gewünscht, hätte etwas anders ablaufen sollen? Oder anders: Fühltest du dich gut betreut?
Mein Hausarzt, sowie die Ärzte der Onkologie im Spital Thun und der anthroposophische Arzt haben mir stets zugehört und mich beraten. Ich habe verschiedene Therapien gemacht – auch eine leichte Chemo, bin auch jetzt weiter in Behandlung. Darüber könnte man viele Seiten schreiben, aber es ist bei jedem Fall anders.
Wie war die Reaktion in deinem sozialen Umfeld bezüglich deiner Diagnose?
Mein Motto war, so normal und so fröhlich, so aktiv und hilfsbereit wie möglich zu bleiben. Da hat man mir nicht viel angemerkt.
Würdest du heute etwas anders machen, andere Entscheidungen fällen?
Vielleicht… Aber im Grunde bin ich dankbar, dass alles sich immer wieder gut entwickelt hat und ich auch heute noch eine Lebensqualität habe, die mich zufrieden sein lässt. Seelisch und geistig fühle ich mich gesund.
Karin befragt Melina:
Du hast seit Februar diese Diagnose, wie war das am Anfang? Hattest du Angst?
Die Diagnose zählt indirekt als Zufallsbefund. Jedoch hatte es einen Grund, wieso ich für die Durchführung eines MRI’s ins Spital geschickt wurde. Schon als Kind plagten mich oft Kopfschmerzen, zudem erlebte ich bizarre visuelle Aussetzer im Alltag. Erst mehr als ein Jahrzehnt später wurde ich zu einer Neurologin geschickt, die mich nach den Beschreibungen meiner Symptome unverzüglich für ein MRI anmeldete. Eine Woche später die Diagnose: ein sogenanntes «Optikusscheidenmeningeom», ein gutartiger Hirntumor, welcher jedoch ungünstiger Weise direkt an meinem linken Sehnerv liegt und in stark zur Seite drückt. Ich war erstaunlicherweise eher erleichtert, denn ich wusste nun, dass ich mir die Symptome nicht einfach einbildete. Es war ein Befund da, Schwarz auf Weiss. Angst hatte ich in dieser Zeit selten. Es fühlte sich auch einfach skurril an, um dies nach aussen zu tragen, nannte ich die Raumforderung kurzerhand «Henrietta». Zudem war die Diagnose wenig bedrohlich, da es sich um einen gutartigen Tumor handelte.
Wo und wie oft wurdest du bestrahlt? Hast du das gut vertragen?
Die Bestrahlung fand im Inselspital auf der Radioonkologie statt. Sechs Wochen Bestrahlung waren geplant, am Gerät namens «NovalisTX». Es hiess, diese Bestrahlung sei weniger gefährlich für den Sehnerv.
Kannst du das ausführlich beschreiben?
Dafür wurde mir eine
spezielle Maske angefertigt, für den Hinterkopf sowie für das Gesicht. Die
Maske war enganliegend und wurde auf dem Behandlungstisch fixiert. Damit wurde
die Genauigkeit der Bestrahlung vergrössert. Die Bestrahlung dauerte jeweils um
die fünfzehn Minuten. Ab der dritten Woche musste ich mich mehrmals übergeben,
ich litt zudem an starken Kopfschmerzen. Das Schlimmste war für mich jedoch das
absolute Sonnenstrahlenverbot auf meiner Gesichtshaut und das Vermeiden von
Pools und generell Gewässern. Die Bestrahlung fand dabei ausgerechnet diesen
Sommer statt. Für mich als Wasserratte ist dies eine der schlimmsten
Erinnerungen.
Erst in der sechsten und somit letzten Woche der Behandlung begann sich eine
Hautstelle unter meiner Augenbraue zu röten und die Haare fielen dort aus. Dies
und eine bleierne Müdigkeit begleiteten mich noch einige Wochen. Heute spüre und
sehe ich davon nichts mehr.
Wie gut wurdest du beraten und von wem?
Ich fühlte mich jeweils gut beraten, jedoch war manchmal unklar, an wen ich mich jetzt wenden musste. Bei einer solchen Diagnose sind viele Disziplinen involviert. Hauptsächlich wurde ich zu Beginn von einer Neurologin sowie einem Neurochirurgen beraten. Später waren die Radioonkologen meine Ansprechpersonen, welche sich jeweils sehr viel Zeit für mich nahmen. Manchmal vermutete ich jedoch, dass mein Alter und meine spezielle Diagnose dabei eine Rolle spielten – so spürte ich jeweils etwas Unsicherheit bei den Vorschlägen für Interventionen, da es zu meinem Fall noch sehr wenige Langzeitstudien gibt. Ich spürte jedoch auch das genuine Interesse der Ärzte, mein Augenlicht und meine Gesundheit zu bewahren und ich fühlte mich jeweils gut aufgehoben und beraten
Du hast sicher inzwischen gelernt, mit diesem Tumor zu leben. Wie war das für dich?
Es war eine rechte Achterbahnfahrt. So war ich, wie gesagt, zu Beginn erleichtert, danach erschöpft von dem ganzen Prozedere. Ich bin immer noch am Lernen, mit diesem Tumor umzugehen.
Hast du Schmerzen, kannst du beschreiben, was dich am meisten einschränkt?
Ich erlebe immer noch Migräne und Müdigkeit sowie schlechtes dreidimensionales Sehen, habe aber sonst keine Einschränkungen. Mit diesen Gedanken komme ich zurück auf meine Aussage zu Beginn. Der Clou an meiner Geschichte ist nämlich, dass die Mediziner nicht erklären konnten, von wo meine Symptome kommen. Vom Tumor sei unwahrscheinlich, deswegen galt die Diagnose als Zufallsbefund. Und nun wird es spirituell: Ohne diese Symptome hätte ich nie ein MRI erhalten. Was bedeutet, dass ich vielleicht in ein paar Jahrzehnten einseitig irreversibel erblindet wäre. In langen Nächten denke ich mir, was wenn diese Symptome eine Art Zeichen waren? Ich kann diese Frage nicht beantworten und es bleibt mir ein Mysterium.