Wir biegen um die letzte Ecke: Ein Riesenrad lockt am Horizont, Chilbi, Karussel, vielleicht lauter Rummel? Schaulustig wie wir sind, finden wir dahinter schnell den Eingang zum Stapferhaus. HEIMAT – in grossen Lettern wird eingeladen – kommt alle her, die ihr auf der Suche seid!
Im Stapferhaus selbst führt uns die Suche auf einen Rundgang von neun Stationen, die uns unsere Heimat erfahrbar machen sollen. Doch der Start irritiert, da er zuerst unter einem psychedelischen Atompilz, einer Art Kuppel, erfolgt.
Telsche: «Was soll das?»
Unter dem Atompilz, unter dem esoterischen Sonnengeflitter, fläzen wir uns auf schlappe Sitzsäcke. Miriam träumt sich weg.
Telsche: «Aha, hier wird ein wohliges, sattes Gefühl von Sesshaftigkeit vermittelt. Das ist genau, was ich immer wollte, dazugehören, nicht immer die Neue sein.»
In der nächsten Station ist die Ruhe vorbei. Es dröhnt von Presslufthämmern, der Boden vibriert, im Dunkel leuchten provozierende Politplakate auf, ein Szenario der bedrohten Heimat.
Miriam: «Dieser Lärm ist der Alltag in der heutigen Welt. Nichts mehr von Stille. Doch die Plakate irritieren mich, was ist da los?»
Telsche: «Das Plakat ist aus einer anderen Zeit, als viel Angst vor dem Verlust der Identität herrschte. Du kennst die moderne offene, kulturell durchmischte Schweiz, die ich nicht unbedingt so bunt möchte. Ich finde, unser Land verändert sich zu schnell.»
Miriam: «Ich mag aber die vielfältige Schweiz. Wir sind eine freie Gesellschaft, wo jeder sein Leben so führen kann, wie er will. Die offene Schweiz ist für mich die freie Schweiz. Und wenn ich dies für mich will, gilt dies doch für alle.»
Telsche: «Die Stadt Bern hat jetzt 24,8% Ausländeranteil, das hat Konsequenzen für ein Land. Integration braucht Zeit. 1966, so erinnere ich mich, hatte unser Land 4,5 Millionen Einwohner, heute über 8 Millionen, da gibt es doch eine Grenze. Ich bin verunsichert. Demokratie, Menschenrechte, Rechtssystem, persönliche Freiheit, christliches Grundverständnis. Ich will nichts verlieren, es ist so kostbar. Ich habe als Kind noch den Hitlergruss gemacht.»
Miriam: «Den Verlust dieser Freiheiten kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie wir es haben, ist für mich normal. Politik bedeutet doch gerade Stabilität. Manchmal stört mich die Trägheit meiner Heimat, aber dafür ist sie so, wie sie schon immer war.»
Was ist Heimat?
Bei Station 5 steht es schwarz auf weiss: Heimat ist eine neuronale Vernetzung von Erfahrungen, geprägt durch das Individuum. «Deshalb haben wir alle ein persönliches Bild von Heimat».
Miriam: «Ich fühle mich zuhause, wenn ich die Berge sehe und Berndeutsch höre. Dann beginnt es in mir zu klingeln … hör doch mal rein: https://www.youtube.com/watch?v=iA-nhE2heuo.»
Telsche: «Mir geht es genauso: Die graue, schäumende Nordsee, der ewige Wind von Westen, das Plattdeutsche, der Klönschnak (was man sich so erzählt), die Döntjes (lustige Witze), alles das ist mir aus der Kindheit vertraut und kenne ich genau. Ist doch famos, ich kann also mehrere Heimaten haben. Ich habe zwei, die Schweiz und die meiner Kindheit.»
Miriam: «Ich habe beim Reisen gelernt, was Heimat mir bedeutet: In den coolen Grossstädten Europas habe ich meinen Dialekt und die Berge vermisst.»
In and Out
In der nächsten Station stehen kleine Giebelhäuschen kreuz und quer, jedes thematisiert die Ansicht einer Person aus der Schweiz zum Thema Heimat. In den Häuschen drinnen ist es «typisch» für die jeweilige Region der Schweiz eingerichtet, jeweils nach den Vorlieben der Person, die von ihrer Heimat erzählt. Miriam schlüpft in ein Engadiner Haus, ganz verliebt in den Anblick der erhabenen Bergwelt, dann lässt sie sich im Genfer Häuschen verzaubern. Telsche verschwindet hinter der Tür zum Appenzeller Brauchtum.
Miriam: «Ich mag die Mischung in der Schweiz. Einerseits die Berge und die Ruhe im Oberland, aber auch das schwungvolle «savoir vivre» in der Romandie mit einem gutem Wein.»
«1001 Heimat» heisst eine interaktive Grafik. Sie zeigt, was 1001 Besucher sagten, was für sie Heimat bedeutet. Die Umfrage fand auf einem Rummelplatz statt und zeigt die ganze Vielfalt der Möglichkeiten.
Miriam: «So viele Menschen, die so viele unterschiedliche Antworten geben. Davon ist keine besser oder schlechter. Diese Vielfalt ist meine Heimat.»
Nach einer Gratisfahrt mit dem Riesenrad stehen wir vor dem Buch der Bundesverfassung.
Miriam: «Hier ist mein Lieblingsparagraph, der Paragraph über die Gleichstellung. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.»
Telsche: «Das ist eine grosse Errungenschaft, welche nie verloren gehen darf. Kannst du verstehen, warum ich da an meine Grenzen komme, wenn der Koran lehrt, dass die Frau dem Manne untertan sein soll? Da habe ich das Gefühl, das grosse feministische Anliegen meiner Generation würde verraten. Haben wir nicht mühsam die Gleichheit erkämpft, und jetzt könnte es passieren, dass die Ungleichheit zur Hintertür wieder hereinkommt?»
Miriam: «Da stimme ich dir voll zu. Aber unsere Bilder vom anderen sind nicht unbedingt die Wirklichkeit. Wir müssen direkt mit den Muslimen über solche Dinge reden und wirklich hören, wie sie ihre Schriften verstehen. Dass die Frau dem Manne untertan sein solle, steht auch in der Bibel. Was geschrieben und was gelebt wird, ist nicht unbedingt gleich.»
Telsche: «Das ist zu wenig. Es geht doch gegen deinen Lieblingsartikel. In der Demokratie muss alles ausgehandelt und diskutiert werden, darum passt mir das Kopftuch als Zeichen dieser Unterordnung nicht.»
Miriam: «Mich stört das Kopftuch überhaupt nicht. Ich bin in meinem Studium durchaus schon selbstbewussten und intelligenten Frauen mit Kopftuch begegnet. Allgemein finde ich Kleidervorschriften etwas, was in das Mittelalter gehört. In einer freiheitlichen Gesellschaft darf sich jeder so kleiden, wie er will. Was wir aber brauchen für eine gute Heimat, ist ein Austausch zwischen den einzelnen Gruppen. Das muss aber gleichberechtigt und mit möglichst wenigen Vorurteilen stattfinden. Man sollte miteinander statt übereinander reden.»
Unsere Diskussion ist auch in der Ausstellung sichtbar. Alte anthropologische Bilder von verschiedenen Schweizern führen uns vor, wie früher über den «rechten Schweizer» gedacht wurde. Vieles ist verschwunden, doch der urtümliche Alpöhi ist als Bild immer noch wirksam. Eine Begegnung mit ihm wäre der Traum jedes Chinesen auf dem Jungfraujoch.
Raus aus der Ausstellung, führt uns die Simulation in eine Rakete. Wir entfernen uns von dem kleinen Fleckchen Erde auf dem Globus, der Schweiz, die uns Heimat ist, und sehen das Ganze.
Nach der grossen Erfahrung kommt die Erfahrung der kleinen Schweiz. Zum Abschluss der Ausstellung können wir unseren individuellen Heimatschein drucken, wie er sich aus den Auswertungen der interaktiven Posten der Ausstellung ergibt. Ist nun die Heimat ein Stück Papier? Mit dieser letzten Frage entlässt uns das Stapferhaus, und wir fahren zurück nach Hause.