Der Verein Flusssurfen lud am 1. September zum «River Surf Jam». Der Fun- und Showcontest bei der Mühle-Welle im Herzen Thuns begeisterte. Zu oberst auf dem Siegertreppchen stand am Ende des Tages Dimitri Scholl.
Bereits vor dem River Surf Jam hat unsere Autorin Barbara Tschopp die SurferInnen besucht und befragt. Ihr Bericht hier:
Von den rauschenden Aarewellen und ihren ReiterInnen bin ich seit langem fasziniert. Sooft ich die Scherzligbrücke überquere, bewundere ich sowohl Fortgeschrittene mit ihren eleganten Manövern, als auch die wackligen EinsteigerInnen, die meistens gleich vom Brett ins Wasser plumpsen, aber mit Ausdauer immer wieder von Neuem ihr Glück auf der Welle probieren. Vier VertreterInnen der Thuner Surfszene folgten meiner Einladung um für UND von ihrer Leidenschaft zu erzählen.
Liebe auf den ersten Blick
«Ich habe die Welle gesehen und es hat mich gepackt. Es war wie die Liebe auf den ersten Blick» – schildert Colette ihr Verhältnis zur Scherzligwelle. Colette Salvisberg (29), Naturheilpraktikerin aus Hünibach, surft auf den Aarewellen in Thun seit vier Jahren. Zuvor hat sie ihre Leidenschaft zum Surfen in Costa Rica, Nordspanien und sonst während langen Reisen auf der Suche nach geeigneten Wellen ausgelebt. Trotz dieser Erfahrung hat sie auf der Scherzligwelle nicht sofort surfen können. Es scheint ihr eine Ewigkeit gedauert zu haben, bis sie sich eine funktionierende Technik beigebracht hatte. Tipps und Tricks zur Beherrschung der Welle hätte sie damals dringend gebraucht. Hätte sie die Zeit zurückspulen können, würde sie eher mit dem Wakesurfen* in Gunten anfangen – ein Fahrer/Instruktor hätte ihr die nötigen Ratschläge vom Boot aus gegeben.
Heute gibt sie selber ihre Erfahrung an AnfängerInnen im Fluss weiter. Jana Liebe (18), UND-Fotografin, lässt sich gerne von Colette in die Kunst des Surfens auf der Scherzligwelle einführen. Am besten geht es um 6.00 Uhr am Morgen, wenn die beiden Surferinnen über freie Zeit verfügen und wenige PassantInnen bei der Scherzligschleuse den Versuchen zuschauen.
Mario Bürgisser (19) hat vor zwei Jahren seinem Kollegen Christian Cadisch (20) das Surfen auf der Scherzligwelle schmackhaft gemacht. Die beiden angehenden Studenten schätzen es sehr, das Surfen in den Alltag integrieren zu können. Die Möglichkeit, sich am Feierabend ihrer Leidenschaft im Fluss hinzugeben, erachten sie als Privileg. Die Liebe zum Surfen hat Mario auf die Idee seiner Maturaarbeit «Die optimale Flusssurfwelle in Thun» gebracht. Er untersuchte verschiedene Arten der Flusssohlentopografie, um herauszufinden, bei welcher die optimale Surfwelle entsteht.
Welle ist nicht gleich Welle
Eine gute Surfwelle soll möglichst hoch und steil sein, jedoch nur so steil, dass sie zuoberst ein wenig schäumt. Damit eine gute Flusssurfwelle entsteht, müssen viele Faktoren übereinstimmen, wie Durchflussmenge des Wassers, Toreinstellung der Schleuse, die Topografie der Flusssohle.
In seinem Modell schuf Mario eine hohe, steile Welle mit Schaumkrone, wenn im Untergrund zuerst eine kleine Schwelle, danach ein treppenartiger Ab- und Aufgang vorhanden waren.
Die Resultate der Laborversuche lassen sich natürlich nicht direkt auf die Realität übertragen. Es ist jedoch bekannt, dass in der Aaresohle eine ein Meter tiefe Senkung, 18 Meter von der Scherzligschleuse entfernt, vorhanden ist. Die optimale Scherzligwelle mit der Schaumkrone ist etwa ein Meter hoch, vier bis fünf Meter breit und sie tritt ein, wenn die mittleren zwei von zehn Schleusetoren am weitesten geöffnet, die nebenliegenden nur teilweise offen und die äusseren geschlossen sind. Die geeignete Toreinstellung fanden die Thuner Surfer zusammen mit dem Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern AWA, welches für die Regulierung des Thunerseepegels zuständig ist. Mit einem Augenzwinkern kann man also resümieren, dass die SurferInnen ihren Spass an der Welle in Thun haben, wenn der Chef der AWA-Regulierungsanlagen in Bern ihnen das Vergnügen gönnt.
Wintersurferin
Wenn die Verhältnisse normal sind, wird für die Entstehung der Scherzligwelle von Mai bis Oktober gesorgt. Ausserhalb dieser Surf-Hauptsaison in Thun bildet sich manchmal eine gute Surfwelle auch in kalten Tagen. Für diesen Fall ist Colette mit dickerer Neoprenbekleidung gewappnet. Trotz Schuhen und Handschuhen friert sie manchmal an ihren Finger und Zehen. Doch das hindert sie am Surfen bei Kälte nicht – der alles überwältigende Rausch der Leidenschaft wärmt sie genug.
Zwei Schleusen, zwei Wellen
Bei der Mühleschleuse tritt auch eine Welle in Erscheinung. Im Vergleich zur Scherzligwelle ist sie höher, steiler, liegt näher an der Schleuse; die Strömung ist schneller und treibt SurferInnen auf den Brückenpfeiler zu; in der Untiefe lauern kantige Felsen – summa summarum: empfohlen nur für Erfahrene. Aus diesem Grund gibt es dort so gut wie keine Warteschlangen. Als Mario vor einiger Zeit an der Mühlewelle sein Können zum Besten gab, geriet die Nase seines Boards unter Wasser und zerschellte auf den Flussohlefelsen. Die Lust auf nächste Versuche an der Mühlewelle ist Mario danach vorläufig vergangen. Colette surft regelmässig auf beiden Wellen, aber einige ihrer Bretter haben an der Mühlewelle ebenfalls gelitten. «Einige», weil Colette elf Surfboards besitzt. «Es gibt Frauen, die viele Schuhe als ihr Eigen nennen, und ich besitze halt elf Bretter», bekennt sie nach einem Nachbohren und lacht. Ihr Liebling ist das SWN Surfboard, ein besonders für die Thuner Wellen geeignetes, in der Nähe der Mühlewelle angefertigtes Brett. Der Produzent und Thuner Surfer der ersten Stunde in einem, ist ein grosses Vorbild in der Surftechnik für Colette. Der Verein Flusssurfen Thun plant am 1. September 2018 einen Event – «River Surf Jam» – an der Mühlewelle durchzuführen.
Es fägt
Die vier Protagonisten schwärmen über das Glücksgefühl, das sie beim Surfen empfinden. «Das schönste an der Welle ist das Gefühl, eins mit dem Wasser zu sein, die Kraft des Wassers zu spüren. Alles andere verschwindet», bringt es Colette auf den Punkt.
Sie erleben auch eine grosse Kollegialität in der Surf-Community. Beim Anstehen in der Schlange zur Welle sagt man sich immer «Hallo», die Erfahrenen erteilen den AnfängerInnen Ratschläge, durch das Gemeinschaftserlebnis bilden sich tiefe Freundschaften. Es fägt!
*Wakesurfen: «Wakesurfen ist eine Wassersportart, bei der Wakesurfer hinter einem Boot, das werksseitig mit spezieller Technik ausgestattet ist, auf einer künstlich generierten Welle surfen. Durch spezielle Klappen kann die Welle links oder rechts hinter dem Boot für den Wakesurfer optimal eingestellt werden. Je grösser die Wasserverdrängung, desto höher die generierte Welle. Der Wakesurfer startet meist mit einer Wakerope und ist nach dem Loslassen dieser Startleine über die Welle, also physikalisch, mit dem Wakesurfboot verbunden. Üblich sind Geschwindigkeiten von etwa 15 km/h.» (Quelle: Wikipedia)
UND Generationentandem, eine gute Sache. Hallo Barbara! Im Rausch der Welle – ein toller Artikel und gut geschrieben! Auch ich bleibe immer stehen, um den Wellen-Reiterinnen und -Reitern zuzuschauen! Einerseits aus Freude und Interesse, dass sich Jugendliche so begeistern können, andererseits aber auch mit ein wenig Neid, dass ich solches Tun nicht selber kann. Wasser ist auch mein Element, aber diese waghalsigen Kunststücke bei den Thuner Schleusen hätte ich nie gewagt. Vielleicht greife ich irgendwann auch in die Compi-Tasten und schreibe einen Artikel?