Liebe Susanne, woher kommst du?
Aufgewachsen bin ich in Bern. Bis zur fünften Schulklasse herrschte Krieg. Uns ging es trotz alledem gut, wir hatten auch dank eines «Pflanzblätzes» immer genug zu essen und ich hatte keine Angst. Erst als Kinder aus Kriegsgebieten in die Schweiz kamen, merkte ich, wie schlimm der Krieg war.
Ich wäre gerne Drogistin geworden, fand jedoch keine Lehrstelle und machte deshalb das KV. Ich war eine Unruhige und arbeitete an verschiedenen Orten, auch im Ausland. Dort traf ich immer wieder auf Arbeitskolleg/-innen, mit denen ich vieles diskutieren konnte. Das fand ich spannend.
Als ich 26-jährig war, starb mein Vater bei einem Autounfall. Dies war ein schwerer Schicksalsschlag für uns alle. Aus der Krise heraus wollte ich etwas Sinnvolles tun und begann mit 28 Jahren die Ausbildung zur Krankenschwester. Später absolvierte ich die Ausbildung zur Intensivpflegefachfrau, leitete eine Intensivpflegestation, und danach die Ausbildung zur Lehrerin für Krankenpflege, als ich den klinischen Krankenpflege-Schuldienst am Inselspital leitete. Ich wollte immer wieder Neues lernen und setzte mich auch persönlich mit vielen Themen auseinander, besuchte Kurse an der Volkshochschule und befasste mich mit Spiritualität und Theologie. Meine Ausbildungen lohnten sich alle!
Nebst Familie, Freundschaften und Arbeit waren mir das Reisen und die Berge wichtig. Ich unternahm viele Skitouren und Trekkings und erlebte auch einiges Abenteuerliches. Dabei hatte ich nie das Gefühl, ich sei mutig.
Wo stehst du im Moment?
Seit einigen Jahren habe ich mehr «Bräschte», es «lödelet» überall ein Bisschen, die Kraft hat nachgelassen und ich bin langsamer geworden. Ich mache keine Wander- oder Städteferien mehr und bei meinen Spaziergängen nehme ich nun den Stock. Man darf auch etwas traurig sein, wenn etwas nicht mehr geht.
Den Tod meiner Schwester vor fast zwei Jahren empfinde ich immer noch als grossen Verlust. Mit meinem Bruder, der seit seinem Studium in den USA lebt, skype ich regelmässig und er war es auch, der mich vor über zehn Jahren dazu überredete einen Computer anzuschaffen. Den möchte ich heute nicht mehr missen!
Ich lese viel und querbeet alles, Neueres und Älteres, und bin aktiv in einer Lesegruppe. Freunde einer früheren Pilgergruppe treffe ich nun statt zum Wandern zum Kafi. Ich habe immer viel zu tun.
Und ich war immer freiheitsliebend. Vielleicht habe ich deshalb nie geheiratet. Wichtig ist einfach, dass man das, was man tut, gerne tut, weil es sinnvoll ist.
Wohin gehst du?
Ich brauche keinen Luxus und geniesse das, was noch möglich ist. Ich bin immer noch gerne unterwegs und schätze das GA für meine Lebensqualität. Ich freue mich auf den nächsten Ausflug mit einer Freundin und hoffentlich kann ich demnächst wieder meine freiwillige Arbeit im Altersheim aufnehmen, die wegen Corona eingestellt wurde. Meinen Bruder möchte ich noch einmal sehen und den regen Kontakt mit wenigen mir nahestehenden Menschen weiterhin pflegen.Ich wohne alleine und mache mir manchmal Gedanken, was wäre, wenn mir etwas passierte. Deshalb schreibe ich jeden Morgen eine SMS an eine Freundin; sie würde reagieren, wenn ich mich nicht melde. Wirklich Sorgen macht mir dagegen, wenn ich sehe, was in der Politik, der Umwelt und mit all den Flüchtlingen passiert. Viele in meiner Generation wuchsen einfach auf, man hatte viel weniger Möglichkeiten, war sparsam und trug zu allem Sorge, notgedrungen. Heute sieht die Welt anders aus, die Zusammenhänge sind komplex und es gibt viel Neues und Interessantes. Über all dies denke ich fast mehr nach als über mein eigenes Leben.