
Moritz: Hältst du, René, die beiden Gleichungen, die unsere Gesellschaft oft trifft – jung gleich gesund und alt gleich krank – für zutreffend?
René: Ich denke, das kann man nicht einfach so verkürzt sagen! Zuerst müssen wir uns fragen, was krank oder gesund sein bedeutet. Das ist schwierig, denn jede und jeder empfindet es individuell. Deshalb können diese Gleichungen nicht immer stimmen. Eine Frage, die ich interessant finde ist, wie unterschiedlich alte Menschen und ihre Gesundheit für die Gesellschaft Kosten verursachen.
Moritz: Ist es denn so, dass uns die Alten am meisten kosten?
René: Die Zahlen zeigen, dass die letzten Lebenswochen eines Menschen zu den teuersten überhaupt gehören. Wann kommen die «Jungen» den Krankenkassen und den Unfallversicherungen teuer zu stehen?
Moritz: Vielleicht bei Kinderkrankheiten, Sport- und Arbeitsunfällen.
René: Wird ein Unfall in der Jugend nicht richtig behandelt, kann das zu kostenintensiven Auswirkungen im Alter führen, zum Beispiel bei Fehlstellungen, welche Arthrosen zur Folge haben. Lastet man diese Folgeschäden dann der Jugend oder dem Alter an?
Moritz: Die psychischen Probleme spielen bei den Jungen wahrscheinlich auch eine grosse Rolle: Die Familienverhältnisse, die Schule, das Studium, der Job, die Beziehungen. Es kann Frust oder Angst entstehen, weil nicht alles im Leben so läuft, wie man sich das vorgestellt hat.

René: Pensionierte sind auch nicht immer «happy»: Zwar fällt der Arbeitsdruck grösstenteils weg, er kann jedoch durch gesundheitliche Probleme – Herz, Karzinom… –, Geld- und andere Sorgen «ersetzt» werden.
Moritz: Ich frage mich, ob Frauen oder Männer das Gesundheitswesen stärker belasten. Wie könnte da die Verteilung aussehen, und gibt es überhaupt Unterschiede?
René: Das wird in etwa ausgeglichen sein, Männer verhalten sich – vor allem in ihrer Jugend – risikoreicher als Frauen, insbesondere, was Sport betrifft. Je älter man wird, desto mehr dauerhafte Gesundheitsprobleme entstehen.
Das Bundesamt für Statistik belegt, dass die Schweiz eine der weltweit höchsten Lebenserwartungen hat. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bezeichnet ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut, obschon mit zunehmendem Alter immer mehr Menschen an dauerhaften Gesundheitsproblemen leiden.
René: Warum gefährden jugendliche Männer teilweise ihre Gesundheit?
Moritz: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Ich versuche Situationen jeweils möglichst differenziert zu betrachten, nicht nach Geschlechtern zu «schubladisieren». Dennoch ist die Frage berechtigt, da anscheinend im Jugendalter Männer sich tatsächlich oft risikoreicher verhalten als Frauen. Ein Faktor könnte sein, dass bei jugendlichen Männern das Ausloten der Grenzen und das Kräftemessen im Vordergrund stehen. Biologen würden dies möglicherweise mit dem Testosteron begründen, Psychologen mit gruppendynamischen Phänomenen. Ich denke, dass risikoreiches Verhalten in jeder Generation vorkommt – es sollte sich in einem möglichst sicheren Rahmen abspielen. Wie bei allem im Leben sollte einfach das richtige Mass gefunden werden.

Du bist jetzt 65 und kommst in der Statistik «Gesundheit im Alter» auch bereits vor. Welche der erwähnten Punkte betreffen dich?
René: Sehr diskrete Frage! Ich lebe immer noch in einer eigenen Wohnung, welche jedoch insbesondere meiner Frau langsam zu gross wird. Hausarbeiten bieten noch keine Probleme, ich bin und war diesbezüglich jedoch kein Vorbild für die Männer. Baden, duschen sind kein Problem – touch wood! Die Gehfähigkeit ist ebenfalls nicht betroffen, Stürze sind bisher ausgeblieben. Aber zugegeben, einige «Breschten» machen sich schon bemerkbar – man ist nicht mehr zwanzig! Der Statistik «Die grössten Sorgen der Schweizer Jugendlichen 2018» entnehme ich, dass die Sorge um die AHV/Altersvorsorge dominiert. Ängste können sich ja auf die Gesundheit negativ auswirken. Wovor fürchtest du dich am meisten?
Moritz: Eine Angst ist die, dass die Zukunft ungewiss ist. Während der Ausbildung hofft man immer, dass der Abschluss erfolgreich gelingen wird. Dadurch entsteht ein gewisser Druck. Da spreche ich wahrscheinlich für die meisten Jugendlichen. Wichtig war für mich zu erkennen, dass die jugendliche Ungewissheit auch sehr viel positives Potential hat. Es ist eine schöne Phase, wenn man Dinge ausprobieren und entdecken kann. Dies darf man geniessen, denn später im Leben ist alles ziemlich vorgegeben.
Und wovor hast du dich in der Jugend am meisten gefürchtet?
René: Das Motto hiess immer «Angst und Geld habe ich noch nie gehabt». Nein, im Ernst, Ängste waren auch damals vorhanden. Schaffe ich die Ausbildung? Finde ich eine Stelle? Aber unter diesen Ängsten war eigentlich keine, welche die Statistik der grössten Sorgen von heutigen Jugendlichen beschreibt. An die AHV dachte kein Mensch, Flüchtlinge/Asyl waren kein Thema, der Umweltschutz leider ebenfalls nicht. Die Zuwanderung der Italiener war damals im Gespräch; etliche Leute hatten da grosse Ängste, vermutlich die etwas älteren. Bei der Abstimmung über die Schwarzenbach-Initiative kamen diese Ängste zum Vorschein. Die Arbeitslosigkeit war nicht akut, es gab damals keine richtige Arbeitslosenversicherung. 1975 nahm jedoch die Arbeitslosigkeit zu – Stichwort Erdölkrise –, da konnten sich schon einige Ängste entwickeln.
Was tust du für deine Gesundheit? Treibst du Sport?
Moritz: Ja, Sport ist für mich ein enorm wichtiger Ausgleich. Da jetzt die Wintersaison vor der Tür steht, freue ich mich sehr auf das Skifahren. Letztes Jahr konnte ich dieses Hobby sogar mit einem Job verbinden, als ich in Grindelwald Skilehrer war. Im Sommer spiele ich gerne Fussball und gehe klettern. Ausserdem vergnüge ich mich oft auf dem See mit meiner kleinen Segeljolle. Denn am Schönsten finde ich es, wenn Sport in der Natur stattfinden kann. Wie wichtig ist für dich der Sport? Und wie alt möchtest du werden?
René: Ich habe lange Zeit aktiv Sport im Turnverein betrieben, habe etlichen Sportarten gefrönt, so zum Beispiel dem Kunstturnen. Jetzt bin ich noch bei Kieser im Fitness, wo ich etwas für meine Bandscheiben tue. Wandern, schwimmen und Velo fahren gehören ebenfalls zu meinen sportlichen Tätigkeiten, wenn man dem noch so sagen kann. Meine diesbezügliche Aktivität hat sich – auch gezwungenermassen – abgeschwächt. Wie alt möchte ich werden? 81,4 Jahre wären laut Statistik vorgesehen – aber niemand kennt die Zukunft; ich gebe mir keine Prognose. Ich hoffe, bis zum Ableben einigermassen gesund leben zu können.