Heinz Gfeller (72)
Kinderlos, ahnungslos: So starte ich. Suche nach Menschen, die mir aus eigener Erfahrung vermitteln können, wie Kinder allmählich in unsere Vorstellungen von Zeit hineinwachsen. Wer Mutter oder Vater ist, erinnert sich kaum, wie das bei den eigenen Kindern war, wenn’s länger her ist. Aus dem eigenen Leben ist’s ohnehin ausgelöscht. Vielleicht findet man den Anschluss, wenn Grosskinder kommen? Margrit und Antoine betreuen ihre vier EnkelInnen oft. Sie erzählen, wie Joël (bald 4) begreift, wenn es heisst: «Jitz isch (für öppis) ke Zit meh»; Eliane (2) hingegen nicht. Da gibt es das Kinderbuch aus Stoff, eine Uhr drin mit Zeigern. Joël stellt diese ein und sagt – richtig –: «Das isch zwöi». Vielleicht hat’s ihm ja jemand vorgeführt? Eliane aber dreht den Minutenzeiger nach unten und findet das auch gut; Joël kontert: «Fautsch! Du weisch das nid.» Wenn ihre Mutter etwas sagt wie: «Am zäni simer dert», ärgern sich die Kinder und werden ungeduldig.
Generell findet Margrit, heute würden Kinder früher und bewusster «getaktet» oder gepusht; positiv gewendet: Die Eltern versuchten ständig mit ihnen das Gespräch zu führen. Mit der Kita kämen auch gewisse Regelmässigkeiten herein. Giselle, Erzieherin, zwei erwachsene Kinder, meint, mit etwa vier Jahren könnten Kinder mit Zeitbegriffen etwas anfangen. Aber noch im Kindergarten sei dies sehr unterschiedlich ausgeprägt. Nina, Heilpädagogin, bestätigt: Wichtig sei, dass Eltern im Gespräch mit ihren Kleinen Erinnerungen aufbauten. Zeit- und Sprachverständnis hängen zusammen. Das erkennt Nina auch bei behinderten Kindern. Sie stellt in Frage: Wenn ein Mädchen sagt: «D Frou N. chunt immer nach em Wuchenänd» – redet es das einfach nach, oder hat es verstanden?
Britta, dreifache Mutter und Kinderpsychiaterin, präzisiert: Im Allgemeinen würden kleine Kinder überschätzt, was ihr Zeitverständnis angeht. Fragen wie: «Wenn isch das gsi? Wi mängisch hesch das gmacht?» überfordern sie; ihre Antworten sind mit viel Vorsicht aufzunehmen. Natürlich helfen Umschreibungen wie das klassische «no drü Mal schlafe, de …». In der Erinnerung lassen sich mit konkreten Ereignissen, einem Geburtstag etwa, erste Angelpunkte festmachen – aber zu fragen: «Wi alt bisch denn worde?» ergibt wenig Sinn. Kleine Kinder leben im Moment; nur wenn sie stark fokussiert sind, empfinden sie mal eine Dauer. Noch im Kindergarten hätten sie keinen Zeitbegriff, wie er bei Erwachsenen besteht, sagt Britta; der stelle sich erst eingangs der Pubertät, mit zehn, elf Jahren ein – wiederum parallel zu einem ausgeformten Sprachverständnis.
Von hier an ginge es in die Fachliteratur, zu Remo Largo oder «Wir Eltern». Das sprengt meinen Rahmen. (Anmerkung: Die Namen sind verändert.)