
Lieber Hansruedi, woher kommst du?
«I ha relativ es intensivs Läbe gha.» Ich wuchs als drittes von fünf Kindern in Frutigen auf. Nach der Primarschule besuchte ich die Handelsschule Noss in Spiez. Der Lehrer meinte schnell, ich müsse «parieren». Da er mir mit dem Rauswurf drohte, passte ich mich an. Nach dem Willen meines Vaters lernte ich Säger. Dies war sicher nicht «lätz», doch auch nicht mein Traumberuf. Ich begann eine technische Ausbildung in Biel. Meine Freundin und ich heirateten kurzfristig. Bald kam unsere Tochter Sandra zur Welt. Neben meinem Familienleben machte ich die Ausbildung und arbeitete. Ich putzte Büros, arbeitete an einer Tankstelle und trug Zeitungen aus. Meine Frau half solange wie möglich mit. Es ist unglaublich, was man alles leisten kann, wenn man «knietief im Wasser steht». In dem folgenden Praktikum in einer Grossfirma in der Innerschweiz lernte ich viel. Mit 26 Jahren gründete ich meine eigene Holzverarbeitungsfirma – «vorwärts dri», das war mein Motto. Man muss vif sein und kämpfen können. Um die Jahrhundertwende war viel los. Ich hatte vier Firmen in der Schweiz und reiste oft, da wir exportierten. Die Branche hat sich stark verändert. Meine Tochter, die heutige Inhaberin, klagt oft. Auch ich wurde nicht von Schicksalsschlägen verschont. Eine meiner Töchter starb an Leukämie und mein Sohn sitzt im Rollstuhl. Der Tod eines Kindes ist etwas vom Schlimmsten, aber man kann nichts an der Tatsache ändern.

Wo stehst du im Moment?
Jetzt bin ich Pensionär. Doch mir wird nie langweilig. Schon immer verspürte ich den Drang, permanent etwas zu lernen. So fing ich an zu fliegen. Das erste Mal Kontakt mit dem Fliegen hatte ich als Knabe. Mit 48 Jahren nahm ich meine ersten Flugstunden, und zwar in Frankreich. In der Schweiz wollten sie mich wegen meines eingeschränkten Hörvermögens nicht fliegen lassen. Zuerst machte ich den Flächenflugschein. Fliegen durfte ich nur in Frankreich. Heute darf ich auch in der Schweiz fliegen. Auf einem Flugplatz entdeckte ich den Gyrocopter, diesem bin ich bis heute treu geblieben. Fliegen ist eine Gefühlssache. Man muss ein filigranes «Gspüri» haben. Das Starten und Landen ist anspruchsvoll. «Flüge, das muess me im Füdle ha.» Beim Fliegen hat man keine zweite Chance. Volle Konzentration und eine gute Ausbildung sind deshalb wichtig. Sobald das Starten geschafft ist, bestaune ich die Natur. Oft nehme ich Menschen mit zum Fliegen, so auch meine Enkelin. Sie hat sogar schon einmal das zweite Steuer übernommen, sodass wir unsern Gyrocopter gemeinsam flogen. Meine drei Grosskinder bereiten mir sehr viel Freude. Ein weiteres Hobby ist das «Töff-Fahren». Am liebsten fahre ich im Frühling durch Frankreich. Dann blüht und duftet alles.

Wohin gehst du?
«I welti no viil. Me muess Tröim läbe, me cha sich da lang am Chopf chraue, hätti und wetti, das isch e Chabis.» Ganz sicher möchte ich noch lange fliegen und «Töff-Touren» machen. Vor allem will ich mein Leben geniessen. In den letzten 20 Prozent meines Lebens möchte ich nicht noch «Seich» machen. Ich wurde in eine gute Zeit hineingeboren. Dank den 68-ern hatten wir viele Freiheiten. Wir konnten reisen. Wir hatten ein starkes Vertrauen zueinander. Damals war ein Wort noch ein Wort. «Tue läbe und reise!», das gebe ich meinen Grosskindern weiter. «Me mues Tröim läbe» – so gestalte ich mein Leben Tag für Tag.