Zu Beginn unseres Gesprächs erläutern die beiden Teilnehmerinnen, wie sie durch ihren (Wohn-)Lebenslauf dazu gekommen sind, es hier zu versuchen.
Margrit Moser (72), die als Lehrerin, in der Sozialarbeit, in NGOs, im Asylwesen gewirkt hat, bezeichnet sich jetzt als «Senioraktivistin». Aufgewachsen ist sie in einer klassischen Kleinfamilie – ohne Geschwister, was sie als traurig empfindet. Sie wollte darum in der eigenen Familie mehrere Kinder haben; drei sind es. Die Wohnformen, die sie erfahren hat, sind so vielfältig wie ihre Berufstätigkeiten: Die eigene Wohnung mit Untermiete, etliche WGs gehören dazu. Als einen Höhepunkt sieht sie ihre Zeit in einer Genossenschaft, in einer alten Fabrik im Jura, wo sie oft sieben Kinder in der Wohnung hatte – die sich selber beschäftigten. Seit Jahrzehnten sucht sie nach gemeinschaftlichem Wohnen; bei «wohnenplus» hat sie sich intuitiv gesagt: voilà!
Laura Manso (29) arbeitet als Sozialarbeiterin in der Rechtsberatung im Bundesasylzentrum und ist Mutter eines dreijährigen Sohnes. Sie kommt ihrerseits aus einer vierköpfigen Kleinfamilie; von der Wohnung avancierte diese zum eigenen Haus. Als Studentin wohnte Laura dann allein, aber auch in WGs. Sie hat versucht, mit ähnlich Gesinnten ein Haus zu finden, um gemeinschaftlich zu wohnen; doch die Aussichten dafür stehen frustrierend schlecht. Es allein anpacken müssen? Die Stuckimatte bot ihr eine andere Möglichkeit.
Ausblicke in die Welt haben beiden Frauen die Augen für andere Wohnverhältnisse geöffnet. Laura hat in Afrika die Communities gesehen, in denen Grossmütter und das ganze Dorf bei der Kindererziehung eine wichtige Rolle innehaben. Margrit hat in Palästina mitbekommen, wie Menschen verschiedener Generationen zusammenleben. In der Ukraine hat sie Familien getroffen, deren mittlere Generation fehlt, weil sie im Ausland arbeitet. Sieben Jahre lang mit vier Tamilen als Untermietern zusammenzuleben, war ebenfalls eine wichtige Erfahrung – für sie und für die Kinder.
Wollen wir andere Formen?
Wie beurteilen sie die Situation und die Einstellungen unserer hiesigen Bevölkerung? Margrit Moser ist optimistisch. Die allgemeinen Vorstellungen hätten sich verschoben, gerade SeniorInnen suchten nach Formen wie der Alters-WG, dem Teilen mit StudentInnen. Auch die Politik habe das Thema erkannt: Unser Fussabdruck ist zu gross, wir beanspruchen viel zu viel Raum. Laura Manso gibt sich skeptischer: Man rede übers Wohnen; doch eine Mehrheit in ihrer Generation ziehe alternative Formen nicht wirklich in Betracht, selbst wenn die traditionellen Erfahrungen frustrierend gewesen wären. Margrit gibt zu bedenken, dass der «Markt» nach wie vor massiv für althergebrachte Wohnformen wirbt. Und politisch: Für neue Projekte interessieren sich vorwiegend Linke.
«Menschen brauchen eine Gemeinschaft, um sich selber zu erfahren und zu zeigen, ihr Potenzial einzubringen. »
Werner Kaiser
Darum nun die Stuckimatte
Beide Frauen haben sich frühzeitig für das Projekt in Steffisburg gemeldet. Es gefällt ihnen, dass sie von Anfang an einbezogen wurden. Es gilt nicht bloss auf ein Inserat zu antworten; sondern mit einer ausführlichen Bewerbung zeigen die Menschen Interesse – und engagiertes Mitmachen ist gefragt. Es bleibt Zeit, um andere KandidatInnen kennenzulernen, um abzuschätzen, ob’s klappen kann. Erst im Sommer wird entschieden, wer hier wohnen wird; die ursprünglich Beteiligten dürfen mitreden.
Eine besondere Wohnform, die angeboten wird, sind zwei Cluster-Wohnungen: eine Art Gross-WG, für die sich Margrit gemeldet hat. Laura ihrerseits nimmt davon momentan Abstand, weil da Menschen mit unterschiedlichen Rhythmen und Bedürfnissen nahe zusammenleben – mit Rückzugsmöglichkeiten allerdings. Generationen mischen, ja, was das ganze Haus betrifft; aber ihr persönlicher Raum, mit ihrem Sohn, soll gewahrt bleiben. Sie sucht eine Balance zwischen dem Gemeinschaftlichen und dem Privaten.
Und das in Steffisburg
Margrit Moser wohnt seit drei Monaten im Dorf. Dank den Interviews, die sie für die Hauszeitung führt, verfügt sie schon über ein vielseitiges Bild der Gemeinde. Die Leute wussten oft nichts von «wohnenplus», die Publicity läuft. Dass eine alte Scheune mit Hofladen hat weichen müssen, finden viele traurig; doch selbst von alten EinwohnerInnen kommen positive Reaktionen. Margrit hört: «Ihr baut etwas für die Zukunft. Das wird eine Ausstrahlung in die Region haben. Ein Miteinander haben wir bitter nötig.» Ähnliches vernimmt auch Laura Manso; es scheint, als versammelten sich in Steffisburg Kreative und Alternative.
Laura fasst ihre Einstellung zusammen: Es geht um ihre Lebensphilosophie. Menschen brauchen eine Gemeinschaft, um sich selber zu erfahren und zu zeigen, ihr Potenzial einzubringen. Je mehr Beziehungen man lebt, auch in spontanen Begegnungen, desto mehr Chancen tun sich auf. Gerade für Kinder: Eltern sollen nicht deren einzige Ansprechpartner sein, sie können nie alle Bedürfnisse eines Kindes befriedigen. Wenn dieses viele Ansprechpersonen bekommt, tut das seiner Entwicklung gut. Das gilt auch für Erwachsene.
Das Mehrgenerationenhaus steht unter drei Stichwörtern: gemeinschaftlich (mit Einrichtungen für alle) – partizipativ (die Beteiligten reden mit) – nachhaltig (neuen Umweltstandards angepasst). Der Hausverein organisiert den Betrieb. Bauherrin ist die Stucki’s Söhne AG. Das Haus soll Ende 2020 bezugsbereit sein.
stuckimatte-wohnenplus.ch