Blanca Thurian (53): Das «Mittelalter» – eine bewegte Zeit! Oben auf dem Berg angekommen, kämpft man darum, lange da zu bleiben. Von der einen Seite streben die Jüngeren dem Gipfel entgegen und auf der andern Seite wandern, sausen oder stolperen die Älteren ins Tal… Diese Situation empfinde ich als intensiv.
Sara Smidt (47): Ja, intensiv, weil man noch so viel will, so viele Erfahrungen gesammelt hat und mehr vom Guten will und das weniger Gute besser zu vermeiden weiss. Ich begebe mich also gedanklich ins Tal – auf den Wanderweg. Ja, und dort im Tal stürmen Junge vorbei. Und auch solche, die sich meiner Geschwindigkeit anpassen, um von Erfahrungen zu profitieren, die ich gerne weitergebe, da ich auch sehr von «Mittelalterlichen» profitierte, als ich jung war. Ich wiederum erhalte dadurch Einblick, wie Jüngere denken, was sie fasziniert, was sie gerne verwirklichen wollen – ein Geschenk. Tja, und die Älteren? Hast du Angst vor dem noch Älterwerden?
Blanca Thurian: Bis jetzt nicht, denn das Leben hat mich gelehrt, die Momente zu geniessen, im Jetzt und Hier zu leben. Und meistens kommt es anders als man denkt… Es ist eine spezielle Sache mit dem Älterwerden: Äusserlich ist der Alterungsprozess wahrnehmbar. Innerlich läuft es anders. Passiert es dir auch, dass du jüngeren Menschen begegnest und das Gefühl hast, die sind sicher älter als ich?
Sara Smidt: Eigentlich nicht, denn das Alter ist für mich ein unerhebliches Kriterium bei Begegnungen. Und gleichzeitig ist das Alter sehr relevant, denn ich ertappe mich tatsächlich bei dem Gedanken, was ich machen werde, wenn ich pensioniert bin. Nicht im Sinne eines Traumes, der erst dann wahr wird, aber mit Spannung, wie ein Leben mit anderem Rhythmus sein kann. Apropos Rhythmus: Was machst du heute – also nicht am heutigen Tag, sondern im weiteren Sinn? Gibt es Unterschiede in deinem Lebensrhythmus heute und «damals, als du noch jung warst»?
Blanca Thurian: Früher habe ich viel sorgloser in den Tag gelebt. Heute bin ich oft durch den Berufsalltag oder die Familie verplant. Ich trage mehr Verantwortung, deshalb gehe ich auch mit meinen Freiräumen sorgfältiger um. Ich achte mehr auf meine Gesundheit, Ernährung und Erholung. Dann bin ich halt noch etwas ehrgeizig: Ich möchte meinen Job gut machen. In Gedanken hänge ich aber ab und zu meiner jugendlichen Freiheit nach – möchte ich sie zurück? Nein! Ich denke, dass ich ein Glückspilz bin. Als Nachkriegs-Hochkonjunktur-Modell mit Jahrgang 1962 hatte ich einen verständnisvollen frauenfördernden, emanzipiert denkenden Vater. Ich konnte mich nach Wunsch aus- und weiterbilden, trotz Familie beruflich verwirklichen. Doch an die Pensionierung denke ich manchmal auch. Gibt es Dinge, welche du auf die Zeit nach der Pensionierung verschiebst?
Sara Smidt: Wie gut, dass alles seine Zeit hat. Wie wird es im «Ruhestand» sein? Ich finde es schön, das jetzt noch nicht zu wissen. Aber ich würde gerne in Wien mit meinen damaligen Kolleginnen eine Art Alters-WG gründen, im Schaukelstuhl sitzen, Zeit miteinander haben, etwas unternehmen. Aber: Wenn sich die Idee mit der Wohngemeinschaft nicht realisiert, macht es auch nichts. Ich will weder heute wissen, was dann kommt, noch möchte ich etwas Bestimmtes anstreben. Und du, was wird aus dir, dem Glückspilz von 1962? Unverwirklichte Sehnsüchte?
Blanca Thurian: Sehnsüchte habe ich – zur Zeit glaube ich – keine. Ich hoffe, beim Älterwerden immer rechtzeitig die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich möchte gerne meine Zufriedenheit behalten und meine Neugierde. Jeder Lebensabschnitt hat bis jetzt neue Vorteile mit sich gebracht. Ich möchte offen bleiben für Veränderungen. Ich weiss nicht, was auf mich wartet, bin aber zuversichtlich, denn alles hat seine Zeit.
Zu den Personen
Sara Smidt (47), Kulturvermittlerin, ist verheiratet und hat einen erwachsenen Stiefsohn. Sie wohnt in Graubünden und Thun.
Blanca Thurian (53), Heilpädagogin und Schulleiterin, ist verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie wohnt in Reutigen.