Lieber Samuel, woher kommst du?
Ich wuchs in Belp und Kehrsatz auf, ohne TV und Auto. So war ich viel draussen in der Natur. Meine Eltern stiessen mich schon im Kinderwagen die Berge hinauf. Die Eindrücke und die Unternehmungen mit den Eltern waren für mich eine Lebensschule. In der Jugendzeit fuhr ich oft auf meinem mit Hawaii-Blüemli dekorierten 3-Gang-Damenvelo in Flipflops von Kehrsatz nach Belp ins Giesseli-Freibad. Als Zehnjähriger begann ich mit Snowboarden und mit zwölf Jahren lernte ich die Disziplinen Boardercross und Freestyle kennen. An der Lenk gewann ich bei meinem ersten Boardercross-Wettkampf den dritten Platz. Mit 15 Jahren begann ich die Lehre als Zimmermann. Ich träumte von einer grossen Snowboard-Karriere.
In den Wettkämpfen war ich immer in den vordersten Rängen und gewann Medaillen. Ich war 17 Jahre alt, als am 20. März 2010 in Engelberg der Unfall passierte. In der Luft war ich in eine Vorlage geraten und wusste sofort, dass ich stürzen würde. Mit der Rega wurde ich ins Spital geflogen und dort operiert. Der Arzt teilte mir mit, dass ich querschnittgelähmt sei und mein Leben im Rollstuhl verbringen werde. Danach wurde ich in das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil überführt. Am Anfang war es eine schwierige Zeit für mich, aber mit der Unterstützung meiner Familie, meiner Freunde und der Reha machte ich schnell Fortschritte.
Das Wichtigste im Leben ist, den Moment zu geniessen, Kleinigkeiten zu schätzen und sich selbst zu reflektieren.
Samuel Kasper
Beruflich orientierte ich mich neu und absolvierte die Sportler-KV-Lehre. Nach viereinhalb Monaten Reha konnte ich wieder nach Hause. Mich berührte es sehr, als an diesem Abend zehn Freunde vor meiner Tür standen und mich ohne Widerrede ins Bierhübeli mitnahmen. Später fing ich mit Basketball an und spielte danach in der Nationalmannschaft.
Wo stehst du im Moment?
Ich wohne mit meiner Partnerin in Kerzers. Ich geniesse unseren Garten und habe mein Leben ein wenig entschleunigt. Immer wieder erlitt ich gesundheitliche Rückschläge. Durch das Sitzen im Rollstuhl bekam ich Abszesse, musste operiert werden und durchlitt lange Heilungszeiten. Deshalb entschied ich mich, den Profi-Sport aufzugeben, spiele aber heute noch Basketball. Ich arbeite als Sachbearbeiter im Einkauf und bilde Lernende aus. Das Wichtigste im Leben ist, den Moment zu geniessen, Kleinigkeiten zu schätzen und sich selbst zu reflektieren. Ich war letzthin am Open Air in Frauenfeld. Ich liebe es, mich unters Volk zu mischen und nicht immer auf der Rollstuhlbühne zu sein, auch wenn ich nicht viel sehe. Und dennoch habe ich das Gefühl: «Läck isch das geil!» Ich bin spontan, unternehmungslustig und offen für viel Neues.
Wohin gehst, beziehungsweise rollst du?
Auf die Frage, wie mein Weg ohne Rollstuhl verlaufen wäre, antwortete ich häufig, dass es sprichwörtlich sicher anders «gelaufen» wäre. Vielleicht wäre ich im Ausland und ein freier «Vogel». Wenn mich jemand fragt: «U bi dir loufts?», dann sage ich im Scherz: «Seit neun Jahren nicht mehr.» Ich wäre wahrscheinlich noch aktiver, mit dem Rollstuhl muss ich mir aber Zeit nehmen. Durch den Unfall bekam ich das Bedürfnis nach Sicherheit.
Egal auf welchen Weg du dich begibst, du musst mit dem, was du machst, happy sein.
Samuel Kasper
In der Zukunft wünsche ich mir ein gemütliches Einfamilienhaus mit Garten, Kinder, wenn es passt, einen Job, in dem ich ein Team führen und Weiterbildungen absolvieren kann. Ich habe so viele Interessen, dass ich noch nicht sagen kann, in welche Richtung es geht.
Ich kann mich für vieles begeistern, und es ist manchmal schwierig, sich für etwas zu entscheiden. Im Moment lebe ich im Hier und Jetzt. Ich will gerne noch die Welt entdecken. Du hast nur ein Leben und es ist begrenzt. Egal auf welchen Weg du dich begibst, du musst mit dem, was du machst, happy sein.
Youtube: Imagefilm «Tag für Tag» der Schweizer Paraplegiker-Gruppe