Nora (21), Marianne (66) und Yvette (29) erhalten vom Koordinator der Freiwilligenarbeit Elias Rüegsegger (26) die Einladung, einen Samstag in der Mühle zu verbringen. Seit seinem in der Mühle geleisteten Zivildienst arbeitet er hier teilzeitlich auch als «Müller» mit – er kennt die Mühle mit all ihren Eigenheiten. Neben einer Führung durch die Mühle wollen Nora und Marianne mit anpacken und ein eigenes Sauerteigbrot herstellen. Ein ereignisreicher Tag steht ihnen bevor.
Vom Korn zum Brot – seit mehr als 500 Jahren
Erstmals erwähnt wird die Mühle im Zinsrodel der Herrschaft Laupen von 1502. Seither wurde hier aus dem Korn der umliegenden Bauernhöfe Mehl produziert. In den Vierzigerjahren wurde das Wasserrad ersetzt und die Mühle elektrifiziert. Dieser fast archaisch anmutende Mahlautomat ist immer noch zuverlässig in Betrieb. Auch heute wird vorwiegend regionales Getreide verarbeitet. Die vielfältigen Produkte – von den Mehl- und Müeslimischungen bis zu Würsten und Teigwaren aus der Region – sind Bio-Suisse zertifiziert. Sie können im Mühle-Lädeli direkt eingekauft oder ins Berner Generationenhaus bestellt und dort abgeholt werden.
Neue Arbeitsformen – viele mahlen mit
Und die Mühle bietet noch mehr – Arbeitsintegration und Freiwilligenarbeit. Nach Jahrhunderten klassischer Müllerei bietet SORA, eine Institution der Burgergemeinde Bern, seit dem Jahr 2000 jungen Menschen im Rahmen eines Arbeitsintegrationsprojektes eine begleitete Tagesstruktur an. Hier können sie grundlegende Arbeitskompetenzen erwerben und sich auf das Berufsleben vorbereiten.
Neu öffnet die Mühle samstags ihre Türen für Menschen jeden Alters, die in der Mühle arbeiten möchten. In der Freiwilligenarbeit bringen sie ihre Interessen und Fähigkeiten ein, können Neues lernen, erleben Begegnung und Zusammenarbeit und finden sinnstiftendes Engagement. Belohnt wird die Arbeit mit neuen Kontakten, einem gemeinsamen Essen und hochwertigem Mehl für den Eigenbedarf.
Ein Selbstversuch – vom Trubel in die Entschleunigung
Nora: Es ist noch dunkel, als der rote Bus mich zum Bahnhof Bern chauffiert. Trotz aller Frühe tummeln sich bereits viele Menschen am Treffpunkt. Wo wohl alle hinwollen? Die S-Bahn bringt mich zügig zum Westside. Der Kleinbus mit Freiwilligen lädt mich auf und die Reise geht weiter. Mit jeder Abzweigung weg von der Autobahn, weg von der Hauptstrasse, wird es einsamer auf der Strasse. Weniger Autos, weniger Menschen, mehr Natur. Der Schnee ist geschmolzen und macht der ländlichen grünen Farbenpracht Platz. Angekommen in der Mühle faszinieren mich vor allem zwei Dinge: Zum einen wie wohltuend die Stille ist. Nur der an diesem Tag pfeifende Wind und das Rattern der Mühle durchbrechen sanft die Stille. Zum anderen beeindruckt mich, wie fokussiert die Freiwilligen sind. Geschickt packen sie die Arbeit tatkräftig und gemeinsam an, fern von jeglicher Ablenkung.
Marianne: Der Sturm Louis weht Yvette (29), unsere Fotografin und mich von Thun via Gantrischpark in den Weiler Schönenbühl. Fast scheint die Zeit hier stillzustehen. Abgelegen, in einer Mulde ein paar alte wunderschöne Häuser, der Mühlestein vor der Mühle als stiller Zeuge einer traditionsreichen Vergangenheit. Elias führt uns durch die Mühle, in der alles noch mechanisch funktioniert. Kleine Lifte in Holzschächten transportieren das Mehl. Siebe trennen das vermahlene Korn während des Verfeinerungsprozesses in die einzelnen Produkte wie Kleie, äussere Schalenteile, Griess, Dunst, Weissmehl und Ruchmehl.
Ich begegne einem altertümlichen Handwerk. Das letzte Krümelchen wird verbraucht, sogar der «Abfall» wird an die Hühner verfüttert. Im Gegenzug gibt es mittags Gemüse vom Bio-Betrieb. All dies erinnert mich an meine Kindheit als Handwerkerstochter – Ziegel von Hand schroten, Schindeln «büschele» und bei Fehlern gibt es keine «Delete-Taste»!
Während des gemütlichen gemeinsamen Mittagessens ruht die Mühle nicht, sie mahlt stetig weiter. Elias‘ Ohr ist immer auf den Klang der Mahlwerke und Siebe ausgerichtet. Er spürt und hört, wenn’s irgendwo klemmt. Mühsam, wenn‘s verstopfte Siebe sind – welches genau ist es wohl? Beschleunigung bringt nichts. Die Mühle mahlt so schnell sie kann und egal, wie viele Bestellungen offen sind, bei erhöhtem Tempo würde sie den Dienst verweigern.
Backen wie in alten Zeiten
Nora: Seit zwei Jahren backe ich – wenn ich nicht gerade in den Ferien bin – einmal in der Woche ein Brot. Meine Sauerteigmutter «Rosa» pflege ich mit viel Aufmerksamkeit. Der Prozess für mein Lieblingsbrot ist keineswegs ein schneller. Da in meinem Alltag ansonsten vieles zackig gehen muss, sind wöchentliche Brotbackstunden gemütliche wertvolle Momente für mich. Es ist der Kontrast vom kopflastig theoretischen Uni-Alltag zum Kneten, Teigbeobachten und Probieren, der mich fasziniert. Brot(teig) weckt die Sinne, die Laptoptastatur nicht. Ich spüre die Konsistenz des Teigs zwischen meinen Fingern, rieche mit der Nase beim Backofenspalt nach Düften und höre wie die Kruste bricht, bevor ich die Scheiben auf dem Teller mit Butter bestreiche.
Marianne: Nora macht mich mit der ältesten Form der Brotherstellung vertraut, die ich trotz meines Alters nie kennen gelernt habe. Den ersten Vorteig hat sie schon gestern gemacht. Jetzt soll ich den Sauerteig mit einer Hand korrekt kneten – das ist sehr wichtig, genauso wie später das Falten des Brotes, damit die Fasern nicht reissen. Nora ist recht streng mit mir und achtet minutiös darauf, dass ich alles richtig mache. Dabei – unter uns gesagt – backe ich gar nicht gerne! Brot macht sich bei Nora nicht einfach so nebenbei – das braucht Planung, Timing und viel Aufmerksamkeit.
Die korrekte Behandlung aller Zutaten ist wichtig: Viel Mehl, nasse Hände, einhändiges! Kneten, Tätscheln, Spannung erzeugen, Temperatur regeln, der Gusseisentopf. Ich lerne in kurzer Zeit sehr viel von Nora und verstehe jetzt auch, weshalb mein «schneller» Zopf aus Fertigmischung nie so ganz überzeugt.
Wie beim Arbeiten in der Mühle ist auch beim Brotbacken Eile nicht angezeigt. Es zählen Fachkenntnis, Präzision, Geduld, das Gespür für das Produkt. Endlich sind die Brote im Ofen und mit der Taschenlampe zünden wir hinein, schauen, ob sie auch richtig aufgehen, rätseln über die Backdauer und holen am Ende zwei wunderschöne Laibe aus dem Ofen. Die gemeinsame Freude ist gross und gerne teilen wir die Laibe mit den Freiwilligen – der Sonntagsbrunch ist gesichert!
Miteinander lernen, arbeiten und geniessen
Nora: Es berührt mich, die ursprüngliche Art des Brotbackens einer älteren Person zu erklären. Marianne liebt zwar Sauerteigbrot, doch die verschiedenen Teigstufen und das Brotbacken im Topf hat sie selbst noch nie ausprobiert. Es ist spannend, wenn die Welt Kopf steht und die schnelllebige «Generation Z» etwas Langlebiges (Sauerteigbrot hält sich länger als industrielles Brot) einer älteren Generation zeigt.
Im Gegenzug verrät mir Marianne ein leckeres Kartoffelrezept. In meiner Alltagsküche gerät die Kartoffel stets in Vergessenheit. Dass Marianne mir das Rezept ihrer Mutter für «Suuri Gummeli» anvertraut, freut mich sehr. Ich glaube, die «Generation Z» sollte die nährende Knolle unbedingt neu lieben lernen.
Marianne: Der Samstag in der Mühle ist geprägt von Zusammenarbeit, Engagement, von Produktivität, vereint mit Ruhe – ich knete, forme und backe gemeinsam mit Nora. Zwischendurch mischen wir Mehl in der grossen Knetmaschine, füllen alles aufs Gramm genau in die grossen Säcke. In einem kleinen Nebenraum füllen wir Kilosäcke für den Einzelhandel ab, zu zweit, neben und mit den Freiwilligen.
Ich geniesse diesen «co-working-space» – gemeinsam ein wertiges Produkt herstellen, am gleichen Strick ziehen. Der Altersunterschied spielt keine Rolle, wir arbeiten auf das gleiche Ziel hin. Ich freue mich auf meine nächste Honig-Schnitte vom «Rosa»-Brot und die Knöpfli aus dem Knöpflimehl, welches ich am Ende des Tages – ja stolz und zufrieden – nach Hause trage.
Talk im Höchhus mit Sebastian Steffen
12. März 2024, 19 Uhr