Zunächst einmal eine kurze Erklärung der Phrase: Wenn in einem Gespräch zwischen einer jüngeren und einer älteren Person die ältere ernste Ideen, Gedanken, Argumente der Jüngeren vor allem aufgrund des Alters abweist respektive nicht ernst nimmt, kommt die Antwort «OK, Boomer». Prinzipiell geht es darum, dass diese spezifische Diskriminierungsform («Ich nehme dich nicht ernst, weil du jünger bist») mit dieser modernen Redensart gekontert wird. Im Sinne von «Du nimmst mich nicht ernst? Ist mir egal, dann nehme ich dich auch nicht ernst.»
Die Phrase leitet sich vom Begriff der «Baby Boomer» ab, mit welchem in den Sozialwissenschaften Personen mit Jahrgängen 1946 bis 1964 bezeichnet werden. Dieser Begriff lässt sich jedoch simpler im Sinne von «ältere Person» verstehen.
Mit dem Auftauchen dieser vermutlich humoristisch gemeinten Phrase, die gerade in modernen Medien für Furore sorgt, begann ich, mich genauer mit der Thematik der Altersdiskriminierung auseinanderzusetzen. Insbesondere dieses Phänomen von «OK, Boomer» warf bei mir einige Fragen auf. Ist es wirklich nötig, so zu reagieren? Kann man das Ganze auch konstruktiver angehen? Oder ist es doch legitim, mit solch einem verbalen Gegenhieb zu antworten, welcher in einigen Medien sogar als «N-Wort der Altersdiskriminierung» bezeichnet wird? Grundsätzlich handelt es sich klar um eine mal stärkere, mal schwächere Form der Altersdiskriminierung. Doch wer wird hier überhaupt diskriminiert? Beim ersten Blick mag es so scheinen, als ginge man hier grob gegen ältere Generationen vor. Doch bei näherem Betrachten wird klar, dass diese Phrase lediglich eine – nur bedingt effektive – Verteidigung gegen die eigentliche Altersdiskriminierung ist. Denn diese ist gegen die jüngeren Generationen gerichtet und spricht einer jungen Person das Recht auf eine eigene Meinung ab – «weil sie eben jünger ist und es noch nicht besser weiss».
Solche Sätze sind wohl vielen bekannt: Einigen noch aus naher oder ferner Erinnerung an diejenige Tante, welche mit solchen Sätzen an Familienfesten die doch eigentlich ernst gemeinten Gedanken als jugendlichen Unsinn abtat. Anderen wiederum sind solche Sätze auch schon aus dem Mund gerutscht, denn als ältere Person hat man ja schliesslich auch mehr Erfahrung mit diesem und jenem, oder etwa nicht? Selbst ich als 20-jähriger «junger Schnaufer» habe teilweise solche Gedanken, wenn ich mit Kindern oder Jugendlichen spreche – und dabei habe ich doch – siehe oben – als Junger keine Ahnung?
Was sagen die Generationen dazu?
Gerade weil diese Form der Diskriminierung eine oft sehr naheliegende Art des Denkens ist – wenn auch nicht immer auf logischem Fundament gebaut – habe ich mich dazu entschieden, mit Hilfe von acht Menschen aus verschiedenen Jahrgängen zwischen 1931 und 2003 den auftauchenden Fragen auf den Grund zu gehen.
«Bei näherem Betrachten wird klar, dass diese Phrase lediglich eine Verteidigung gegen die eigentliche Altersdiskriminierung ist.»
«Bei näherem Betrachten wird klar, dass diese Phrase lediglich eine Verteidigung gegen die eigentliche Altersdiskriminierung ist.»
Maurizio Piu (20)
Wird man selbst in einem Gespräch aufgrund des Alters diskriminiert oder belächelt, so kann das manchmal durchaus unerwartet sein. Man hat seinen Standpunkt zur Diskussion geäussert, doch er scheint nicht wirklich eine Rolle zu spielen. «Deine Meinung spielt doch keine Rolle mehr» oder «Du kannst da gar keine richtige Meinung haben, du bist doch noch ein Kind» sind beides Aussagen, welche einen Menschen kränken können, denn was kann ein Mensch schon für sein Alter? Dieses irritierende Gefühl, nicht zu wissen, wie man nun am besten darauf reagieren soll, ist wohl vielen bekannt. So stellten wir uns die Frage:
Wie geht man damit um, wenn der eigene Standpunkt aufgrund des Alters nicht ernst genommen wird?
In solch einer Situation ist man als nicht ernst genommene Person womöglich gekränkt, vielleicht auch genervt oder wütend. Es macht jedoch eher wenig Sinn, auf dieselbe Weise zurückzuschlagen, da dies «nur die Überheblichkeit auf beiden Seiten verstärkt», so Telsche Keese (82). Bevor man hier beiderseits unüberlegt reagiert, ergibt es Sinn, sich zunächst einmal mental einen Schritt aus der Diskussion zu entfernen. «Dabei kann man», so Fiona Schenk (22), «erst einmal einschätzen, ob es überhaupt etwas bringt, sein Gegenüber umstimmen zu wollen.» Scheint dies ein zu optimistisches Ziel zu sein, so lohnt es sich vermutlich nicht, weiter zu diskutieren.
Dennoch sollte man die Hoffnung auch nicht zu schnell aufgeben, oft kann man sich ja auch im Gegenüber täuschen. So schlägt beispielsweise Elisabeth Jost (66) vor, gelassen mit dem Argument fortzufahren, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht abhängig von Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Bildungsstand sei. Auf diese Weise kann man das Gespräch wieder auf Augenhöhe führen.
Eine weitere Möglichkeit ist es, rhetorisch etwas spitzfindiger vorzugehen, und das «zu hohe» respektive «zu junge» Alter als Scheinargument zu entlarven. «Ist das Anführen des Alters doch ein Zeichen, dass wir mit sachlichen Argumenten am Ende sind», so Fritz Zurflüh (65). Gerade diese sachlichen Begründungen sind es, die zu einem konstruktiven Meinungsaustausch beitragen. «Denn der Wahrheit spielt es keine Rolle, von wem sie ausgesprochen wird», zitiert Lara Thurnherr (19) gekonnt den amerikanischen Bürgerrechtsaktivisten Malcolm X.
Doch kann es auch in Ordnung sein, einer Meinung aufgrund des Alters weniger Gewicht zu geben?
Grundsätzlich kann es durchaus Situationen geben, in welchen dies angebracht ist. So findet Fritz Zurflüh: «Wenn in einem Gespräch beispielsweise das Erfahrungswissen von grosser Bedeutung ist, kann es tatsächlich sein, dass Beiträge und Gedanken von Erfahreneren mehr gewichtet werden – und in der Regel sind dies die Älteren». Jedoch lässt sich vom Alter allein auch nicht direkt auf Erfahrung schliessen. So kann auch eine jüngere Person auf einem bestimmten Gebiet die grössere Erfahrung besitzen als eine ältere Person. Anita Bucher (56) erwähnt ein klares Beispiel: «Wenn es um die heutigen Studienbedingungen an der Uni Bern geht, würde ich den Aussagen eines aktuell studierenden jungen Menschen mehr Gewicht geben als denjenigen eines Pensionierten, der vor Jahrzehnten im Studium war.»
«Wenn bei einer Diskussion eine bestimmte Generation weniger betroffen ist, so kann es legitim sein, diese Meinung entsprechend auch weniger zu gewichten.»
Simon Egli (16)
Die Meinung respektieren
Ein grosser Konsens herrscht zwischen den Generationen darüber, dass die unterschiedlichen Meinungen ernst genommen werden sollen – unabhängig vom Gewicht, welche sie im Laufe der Diskussion erhalten.
Dabei bringt Simon Egli (16) auch noch den Aspekt der Betroffenheit ins Spiel: «Wenn bei einer Diskussion eine bestimmte Generation weniger betroffen ist, so kann es legitim sein, diese Meinung entsprechend auch weniger zu gewichten.» So zum Beispiel bei längerfristigen politischen Entscheidungen, von welchen die aktuell jüngere Generation länger betroffen sein wird als die älteren Generationen.
«Bei anderen Themen», erwähnt Telsche Keese, «welche stärker mit persönlichen Erfahrungen zusammenhängen wie Krieg, Armut, Diskriminierung oder Gewalt, ist das Alter oft irrelevant.» Gerade hier sind Meinungen oft stark von der eigenen Geschichte geprägt. Die Betroffenheit ist bei solchen – oft schwierigen – Themen eindeutig stärker zu achten als das in diesen Zusammenhängen oft relativ unbedeutende Alter. So kann eine ältere Person, welche womöglich selbst einen Krieg miterlebt hat, durch die persönliche Erfahrung anders darüber sprechen als eine jüngere Person, die eben dieses Zeitgeschehen nur aus Büchern, Filmen und vielleicht Erzählungen kennt.
So ist es für eine fruchtbare Diskussion wichtig, die Grenzen der eigenen Urteilskraft, aber auch derjenigen des Gegenübers, anzuerkennen und zu akzeptieren. «Jungen Menschen fehlt Lebenserfahrung, älteren manchmal Flexibilität», so Elisabeth Jost. Sich dessen bewusst zu sein und trotz Verzerrung der Wahrnehmung durch junges oder hohes Alter die Gedanken anderer zu respektieren ist deshalb zentral für ein konstruktives Gespräch ohne Diskriminierung. Dass man dabei durchaus auch kritisch sein darf, findet auch Peter Gerber (89), denn «Meinungen, hinter denen jemand steht, sind ernstzunehmen, aber auch hinterfragbar.»
Doch aus welchen Erfahrungen entspringen diese Gedanken? Wie hat jemand diese Thematik bereits persönlich erlebt? Und wie prägte dies die eigene Haltung?
Erfahrungen mit Altersdiskriminierung
Persönliche Erfahrungen in diesem Bezug haben wohl viele. Ob aus der Perspektive des «Nicht-Ernst-Nehmenden» oder auch aus jener des «Nicht-Ernst-Genommenen». So schildert zum Beispiel Anita Bucher: «Bei einem schwerhörigen alten Herrn machte ich einen Sehtest, und da sein Hörgerät leider zu Hause geblieben war, war ich darauf angewiesen, laut zu sprechen, damit er mich auch verstand. Im Anschluss kam eine 97-jährige Dame an die Reihe. Ich dachte, diese höre bestimmt auch nicht mehr so gut. So sprach ich bewusst laut und deutlich mit ihr. Darauf meinte sie nur: «Sie müssen mich nicht so anschreien, ich höre noch gut.» So können erste Eindrücke oftmals täuschen und hinter einer Fassade des Alters oder der Jugend steckt manchmal mehr und anderes, als man denkt. Fiona Schenk erwähnt den Arbeitsplatz: «Gerade in der Informatikbranche geschieht es häufig, dass ältere Menschen aufgrund meines Alters denken, dass ich sowieso nicht kompetent Auskunft geben könne. Sowas merkt man an der Art, wie ich angesehen werde, mit mir gesprochen wird und im allgemeinen Umgang. Wenn ich die Kundenwünsche dann jedoch wunschgemäss ausführen kann, ändert die Haltung mir gegenüber komplett.» Einen weiteren Gedanken dazu äussert Fritz Zurflüh: «Meine Horrorvorstellung als älterer Personalentwickler war, dass ich in den letzten Berufsjahren noch einen jungen Chef bekomme. Einen, der noch alles glaube, was er an der Uni gelernt hat, und mein Erfahrungswissen und meine Intuitionen nicht ernstnehmen würde. Zum Glück habe ich das nicht erlebt, gute Kollegen jedoch schon.» Es kursieren viele Gedanken, Vorstellungen und auch Erfahrungen zur Altersdiskriminierung. Ob alt oder jung, es besteht immer eine gewisse «Gefahr», nicht als eigenständige Person mit eigener Meinung ernstgenommen zu werden, ob diese jetzt der Erfahrung oder dem Fachwissen entspringt. «Noch mit über 50 Jahren wurde mir gesagt, dass ich als junge Frau dies halt noch nicht besser wissen könne», teilt Elisabeth Jost mit.
«Vorurteile helfen möglicherweise, die komplexen Auseinandersetzungen zu vereinfachen und auch teilweise zu verstehen.»
Maurizio Piu (20)
So kann man diesen Situationen zwar in keinem Alter wirklich entkommen, jedoch selbst den Anstoss zu einem Umdenken geben. Selbst einmal die eigenen Bilder von älteren wie jüngeren Menschen im Umfeld hinterfragen und womöglich zu einem interessanten, generationenübergreifenden Austausch gelangen. Denn Vorurteile helfen möglicherweise, die komplexen Auseinandersetzungen zu vereinfachen und auch teilweise zu verstehen. Jedoch bringt der unvoreingenommene Dialog weitaus mehr Farbe in das Spektrum der menschlichen Begegnungen, als dies vorgefertigte Vorstellungen tun könnten. «Denn müsste eine unanfechtbare Meinung nicht aus Sachkenntnis entstehen – und aus dem Persönlichen, aus Herz, Gefühl und Vernunft?» (Peter Gerber)