Meine Porträtanfrage beantwortete er gleich positiv und schrieb mir bereitwillig, worüber er sprechen wolle, unter anderem: «Was bedeutet es, gut zu leben?» Eine ideale Eintrittsfrage, dachte ich und stellte sie Noah Werder (22) gleich bei unserem Erstgespräch im Februar via Zoom: «Wie gut lebst du im Moment?»
«Relativ gut», meinte er darauf entwaffnend lächelnd. Denn das Studium habe wieder begonnen. Viel, fast zu viel Spannendes stehe an.
Noah studiert in Bern Philosophie und Betriebswirtschaftslehre, interessiert sich aber auch für Volkswirtschaftslehre, kurz VWL. Noah macht den Bachelor im Sommer 2022. Ein Masterstudium wäre eine Option, eventuell ein Doktorat – oder aber doch nicht… das Praktische lockt, und das Komplexe, in dem verschiedene Menschen mit Ansprüchen und Emotionen zusammenarbeiten, interessiere ihn halt auch sehr, Menschen an Schnittstellen generell und auch das Analytische.
«Momentan ist alles offen» gestand er, denn sich bloss für etwas entscheiden, weil es folgerichtig und weiterführend ist, das sei nicht sein Ding. Noah schaute mit einem Mal fast etwas ratlos aus dem Bildschirmkachel und zählte weitere Wissensgebiete auf, die ihn ebenso gepackt hätten, in denen er auch viele Möglichkeiten für sich sähe. Bereits in unseren Mailwechseln hatte er eine Fülle von Aktivitäten aufgezählt: Viele Begabungen – Qual der Wahl!
«Was interessiert dich eigentlich nicht?»
Diese zweite Frage lag auf der Hand und Noah beantwortete sie erwartungsgemäss mit: «Schwierig, mega schwierig!» Ihn interessiere eben sehr viel: Sport, Kochen, Denken, Studieren, Lesen, Schreiben, Kommunizieren, Philosophieren… und das dürfte beileibe nicht alles sein.
Zudem: Noah will kaum je etwas als «gegeben» hinnehmen. Der Sinn dahinter muss ihm klar sein. So überlegt er sich beispielsweise, ob die eine Herangehensweise bereits richtig ist oder ob er doch noch etwas verbessern kann. Fühlen sich er oder sein Umfeld richtig wohl dabei? Ist es schon etwas langweilig, da zu repetitiv? Hat er sich bereits zu lange an einem Thema festgebissen?
Kindheit und Jugend in der Ostschweiz
Geboren wurde Noah in Herisau und wuchs da in einem ganz besonderen, grossen Mehrparteienhaus auf. Er zeigte es mir online: Riesiges Dach, viele Fenster, grosser Garten, und ich stellte mir turbulente Szenen mit vielen spielenden Kindern vor. Doch Noah erzählte, er sei das einzige Kind im Haus gewesen und sein Bruder viele Jahre älter.
Etwas verlegen zitierte Noah seine Mutter: «Atomgetrieben», sei er gewesen, als er ein kleines Kind war. Nie müde, furchtlos, allzeit zu jedem Unfug bereit. «Anstrengend war ich», seufzte er und grinste schon wieder. Die Schule und der strukturierte Tagesablauf brachten aber Beruhigung in sein Leben. Anstrengend war er auch in dieser Zeit, weil stets «gnadenlos ehrlich» … aber das gelte auch für den heutigen Noah: Immer noch «gredi use»!
Er spielte Eishockey, war in der Jungwacht und ging dann nach Trogen ins Gymnasium. Anschliessend ein Zwischenjahr mit Arbeiten auf dem Bau, Zivildiensteinsatz in der Spitalküche und in der Schule, auf Reisen und daraus die Erkenntnis: «Ausschliesslich Praktisches wäre auch nichts für mich.»
Noah vergnügt
Das tönte alles eher ernsthaft. Im Gegensatz zu dem zuweilen verschmitzten Gesicht, das mir aus dem Bildschirm entgegenleuchtete. Alles ernst, keine Witze? Doch, doch, gehe es nach ihm, so dürfe man über alles Witze machen, bloss nicht Personen als eindimensional abstempeln.
Jeder Mensch habe viele verschiedene Facetten, die gesehen, beachtet und respektiert werden wollen. In Gesellschaft von Freunden könne er sich kringeln vor Lachen beim Beobachten von Alltagsszenen.
Gemeinschaft: Familie, Liebe, Freunde
«Familie bedeutet mir wahnsinnig viel.» Die enge Familie, aber auch nahe Freunde, die Freundin und viele Beziehungen gewährten ihm ein Lebensnetz und bedeuteten Freiheit. Freiheit zu denken, auszuprobieren. Sie gäben auch Sicherheit, Geborgenheit und das Gefühl verstanden zu werden. Er verspüre dafür grosse Dankbarkeit und möchte ebenso verlässlich sein – egal, ob für Eltern, Bruder, Partnerin oder Freunde.
«Oft mit dem Kochlöffel anzutreffen»
So gelesen auf www.generationentandem.ch. Schnippeln, rollen, rühren, braten. Das sind Dinge, die Noah liegen. In der Küche oder auch an jeder Kochstelle werkelt er am liebsten in Gesellschaft von Freunden. Daheim kochen er und Freundin Tabea abwechslungsweise oder gemeinsam. «Das Go-To-Essen bei uns ist nicht Pasta, sondern Linsendal», schrieb Noah und lieferte gleich das Rezept dazu:
Rezept Linsendal
Zwiebeln, Ingwer (gerieben)
Knoblauch andünsten
Garam Masala, Kreuzkümmel, Paprika, Salz, Pfeffer, Kurkuma dazugeben
Rote Linsen (abgespühlt) dazu
Gehackte Tomaten und Wasser aufkochen, köcheln lassen, bis die Linsen gut sind
Kokosmilch dazu und abschmecken.
Essen mit Noah
Essen und Gespräche mit Noah dürften einerseits satt, andererseits Hunger auf mehr machen. «Wie können wir einen konstruktiven Diskurs in der Gesellschaft fördern?», mailte Noah mal. Strikte Essensregeln mit moralischem Anspruch seien ihm suspekt wie beispielsweise grundsätzlich nie Fleisch, immer alles vegan oder nie Zucker essen. Er wolle wissen, wieso das Gegenüber so denkt. Vielleicht passe ein Teil der Überlegungen auch für ihn? Oder aber er sehe, dass dies für ihn überhaupt nicht in Frage komme und respektiere die andere Ansicht. «Es geht ja nicht ums Gewinnen», meinte er schon fast weise, und stellte klar: «Ein gesundes Mass», das müsse schon sein.
Wir trafen uns Wochen später im Hof des Berner Generationenhauses wieder. Auf einem winzigen Tischchen drapierten wir unsere Menüs und konnten den unterbrochenen Gesprächsfaden gleich wieder aufnehmen.
Seit unserem letzten Zoom-Treffen war viel geschehen: Noah hatte Corona und blieb in Isolation. Er sei schon lange nicht mehr krank gewesen, meinte er und wand sich etwas: «Ich werde immer krank, wenn mich etwas beschäftigt.» Damit meinte er vor allem seine momentane Unschlüssigkeit. Zudem bewegt die Welt jetzt der Krieg in der Ukraine. Zeit für einen Espresso und etwas Süsses, um die Nerven zu beruhigen.
Porträt-Tandem
Wir schlossen unser Gespräch ab mit «Geschäftlichem»: Noah wird künftig den jungen Part im Porträt-Tandem übernehmen. Er wird sich in lockerer Folge mit älteren UND-Menschen unterhalten und seinerseits Porträts gestalten und seine grossen und kleinen Fragen stellen. Die Porträtierten und wir alle dürfen gespannt sein, denn alltäglich und diesem Porträt ähnlich werden seine Texte bestimmt nicht rauskommen. Noah schweben schon die buntesten Formate vor. Wen wundert’s?
4 Fragen an Noah
Wofür würdest du mitten in der Nacht aufstehen?
Für eine Ski- oder Wandertour
Welche wichtige Person/Persönlichkeit möchtest du einmal treffen?
Michael Sandel würde mich interessieren
Wieso machst du bei UND mit?
Durchs UND komme ich mit ganz verschiedenen Leuten jeden Alters zusammen. So werde ich immer wieder angeregt und inspiriert über Verschiedenstes nachzudenken
Was bringt dich auf die Palme?
Fehlende Grosszügigkeit
Ein spannender Beitrag, den du wieder einmal gezaubert hast! Solche Portraits über persönliche Geschichten sind immer wieder interessant.
Ich schliesse mich dem Kommentar von Darleen an und freue mich auf alle zukünftigen Porträts.