
Ich suche Fritz im Berner Generationenhaus, warte noch kurz, bin sowieso zu früh dran. Erst als ich ihn sehe, merke ich, dass wir vor etwa einem Monat abgemacht hatten, dass wir uns im Eingang zum Generationenhaus treffen. Und er war natürlich da, im Gegensatz zu mir (immerhin nur 5 Min zu spät). Ich sehe Fritz zum ersten Mal. Wir holen einen Kaffee und Fritz beginnt zu erzählen…
Vergangenheit
Im Emmental wuchs Fritz als Bauernsohn auf. Er liebte die Arbeit auf dem Land, von Hand und mit der Familie – Die einzige Familienzeit, die es gab. Ganz anders als heute ging man nicht auf den Spielplatz mit Mutter und Vater. Man tat eben neben Mutter und Vater das, was man gerade tun konnte.

Doch die Kindheit und die Zeit auf dem Bauernhof gingen vorbei, als Fritz an’s Lehrerseminar in Langenthal wechselte. Er kam bei einer «Schlummermutter» unter und war von Montag bis am Samstagmittag (Sechstagewoche) in der Schule. Zuhause war er nur noch am Wochenende. Aber nicht die wenige Zeit zuhause setzte ihm zu. Was damals passierte, war eine Entwurzelung. Er gehörte nicht mehr zu der heilen Bauernwelt, war jetzt Auswärtiger, zukünftiger Studierter. Was er am «Seminar» lernte, wollte er mit nach Hause nehmen: Er wollte reden, über die Konflikte, die nicht ausgetragen wurden. Über Probleme, die man stillschwieg (oder es versuchte). Über das, worüber eben geredet werden musste:
Fritz wurde Primarlehrer und lehrte ein paar Jahre lang. Aber danach zog er weiter, studierte Geografie und Biologie an der Universität Bern.
Dass er nochmals studierte,sich weiterbilden wollte und seiner Neugier freien Lauf liess, passt auf den ersten Blick sofort zu Fritz. Er sieht aber nicht aus wie der typische Geograf, keine Wanderkleider im Alltag und auch keine Scarpa-Schuhe (zugegeben mein Stereotyp ist nicht gerade ausgefeilt). Er wirkt für mich vielmehr wie ein Philosoph. Es sind die Fragen, die er voller Begeisterung stellt, das Nachhaken. Aber er wirkt nicht wie ein auf Logik getrimmter Philosoph. Viel mehr wie einer, der sowohl in den Beweggründen des Menschen im Individuellen als auch im sozialen Kontext nachfragt. Jemand, der sich auch für Psychologie und Soziologie interessiert. Zwei Fächer, die Fritz heute studieren würde.

Eigentlich wollte er nach dem Studium als «Gymer-Lehrer» arbeiten. Kurze Stellvertretungen hat er gegeben, aber danach kam der Einstieg in die Erwachsenenbildung. In der Heimstätte «Gwatt» in Thun organisierte Fritz Seminare und Tagungen im Themenbereich «Landwirtschaft und Ökologie».
Und dort im «Gwatt» hat Fritz viel erlebt: berührende Begegnungen, Überforderung und grössere Konflikte, es war alles dabei. Wie das war:
Der nächste Halt (Achtung schlechtes Wortspiel) machte Fritz bei der SBB. In der Personalentwicklung fand er einen Platz, wo er viel lernte und Freunde fürs Leben fand. Die SBB war aber nur der Anfang einer langjährigen Tätigkeit im Bereich «Öffentlicher Verkehr». Als Leiter der Personalentwicklung wechselte er später zu BERNMOBIL. Auch dort gab es viel zu lernen: im Coachen von den Bus- und TramfahrerInnen, aber auch den Kontrolldienstangestellten, in der Begleitung von Teams, zu der Frage, was denn eigentlich gute Führung ist:
Dieser kleine Gesprächsausschnitt scheint mir etwas von Fritz’ Wesen einzufangen: ein offener Mensch, der stets dazulernen möchte. Er ist kein Studierter, der es besser weiss, sondern einer der allen zuhört, egal wie gebildet oder wie hoch auf der Karriereleiter jemand ist. Darauf angesprochen erzählt Fritz mit einem Lächeln, dass er es mit beiden, hohen Tieren und einfachen Arbeitenden kann und eben ein Brückenbauer sei. Fritz der Brückenbauer, ein für mich sehr stimmiges Bild.

Während seiner Zeit bei SBB und BERNMOBIL arbeitete Fritz irgendwann nicht mehr nur als Angestellter. Nebenher hatte er sein eigenes Beratungsgeschäft und unterrichtete an der Berner Fachhochschule als Dozent für Führungsfragen.
Dann war die Zeit vorbei, in der Fritz «normal» arbeitete. Irgendwann ist man 65 und dann muss man sich neuen Herausforderungen stellen. Fritz hat diese unter anderem bei UND gefunden, wo er (und das wissen alle) ausserordentlich engagiert mithilft und sich vielseitig einbringt. Seine Verbindung zum Land hält Fritz auch heute stets aufrecht: Regelmässig hilft Fritz einem alten Freund beim Unterhalt eines Rebbergs im Seeland.
Gegenwart
Und was tut Fritz jetzt? Fritz stellt grosse Fragen, wie eh und je. Und viele Fragen beschäftigen ihn schon sein Leben lang: Was ist Zufriedenheit? Was ist Wohlstand? Und was ist Glück?
Angestossen wurden diese Frage von einem Buch. «Grenzen des Wachstums» vom «Club of Rome» las Fritz im «Seminar». Zum ersten Mal stellen sich diese wichtigen Fragen: Warum sind wir in dieser Negativspirale gelandet und beuten unseren Planeten dermassen aus? Und danach die Folgefragen: Brauchen wir das denn, um glücklich und zufrieden zu sein? Was bedeutet «glücklich sein» oder «zufrieden sein» überhaupt?
«Uns fehlt eine Verbundenheit. Verbundenheit zueinander, zu der Welt, zu uns selbst und das macht uns einsam.»
Fritz Zurflüh
Es gibt viele Sätze aus unserem Gespräch und Mailverkehr, die es wert wären, zitiert zu werden und allen mit auf den Weg zu geben, doch der Platz dazu fehlt schlichtweg. Aber zwei Inputs, die mir persönlich sehr geblieben sind:
- Uns fehlt eine Verbundenheit. Verbundenheit zueinander, zu der Welt, zu uns selbst und das macht uns einsam. Fritz beschreibt das sehr schön: «Diese Verbundenheit spürte ich noch bei meinem Vater, einem Emmentaler Bauern. Wenn das Lebensende einer Kuh gekommen war, die jahrelang gute Leistungen erbracht hatte, ging er mit ihr zum Metzger und kraulte ihr den Kopf, bis der Metzger sie erschossen hatte. Klar, auch er nutzte die Tiere – aber er respektierte sie und gab seinen Dank auf seine Art zurück. Mich beeindruckte das immer.»
- Wir sind gut ausgebildet, aber nicht wirklich gebildet. Für Fritz ist Bildung eine Frage der Persönlichkeitsentwicklung und von Haltungen. «Wofür, für welche Welt stehe ich ein? Worin sehe ich als Mensch meine Aufgabe, was macht für mich Sinn? Zunehmend denke ich, dass ich das im Aussen sehe und bewirke, was ich im Innen bin!»
Und mit dieser Art der Bildung sollten wir uns vermehrt auseinandersetzen.
«Wir sind gut ausgebildet, aber nicht wirklich gebildet.»
Fritz Zurflüh
Wenn Fritz nicht die grossen Fragen des Lebens stellt und ihnen auf den Grund geht, beschäftigt er sich mit Verschiedenstem. Freundschaftspflege, Velofahren oder Schwyzerörgeli spielen, Musik hören und selbstverständlich lesen.

Zukunft
Was bringt die Zukunft? Und welche Ziele hat Fritz? Natürlich wird Fritz weiterhin im UND mitwirken. Ein Thema bleiben wird natürlich auch das Lesen und das Zusammenfassen von Literatur. Doch Fritz wird auch nachdenklich beim Blick in die Zukunft: Eine Arbeitsgruppe, in der er tätig war, wurde aufgelöst und auch andere Ziele sind eher in den Hintergrund gerückt. Er meint: «Eigentlich dürfte da mehr sein.» Ich weiss nicht genau, was sich Fritz vorstellt: Mehr Engagement und mehr Diskussionen über die wichtigen Fragen, wichtige Haltungen und Visionen, wie unsere Gesellschaft mal sein könnte? Wer weiss, für was Fritz sich entscheiden wird, aber es wird ganz sicher eine Bereicherung sein, für alle.
Mit der Zukunft ist das Ende dieses Porträts gekommen. Eine bereichernde Erfahrung für mich.