Darleen: Wir beide gingen von der Annahme aus, dass der sogenannt «langsame Journalismus» auf gründlich recherchierte Beiträge setzt und vor allem im Printbereich zu finden ist, im Gegensatz zum schnelllebigen Journalismus, der überwiegend im Netz anzutreffen ist und vorwiegend News oder Schlagzeilen zu Aktualitäten liefert. Oder vereinfacht: Schnelle Medien setzen auf Quantität und sind für die Leserschaft vielfach gratis, wohingegen langsame Medien eher auf Qualität setzen, die ihren Preis hat. Printmedien wurden in dieser Diskussion auch schon als Dinosaurier der langsamen Medien bezeichnet. Gleichzeitig hatte das Reuters Institute aus Oxford für 2019 eine Trendwende im Journalismus prophezeit: mehr Qualität, weniger Quantität und noch weniger atemlose Hektik. Was stimmt nun?
Wir sahen vor, je ein Interview mit einem Journalisten/einer Journalistin aus der «schnellen» und «langsamen» Medienproduktion durchführen. Doch als Barbara das Gespräch mit Franziska Streun schon zu Papier gebracht hatte, wartete Darleen immer noch vergeblich auf eine Rückmeldung auf drei Anfragen, die sie an verschiedene JournalistInnen verschickt hatte. Trotz ihrer Enttäuschung findet sie die ausbleibende Antwort verständlich, da zu Corona-Zeiten der Stress in Medienredaktionen zugenommen hat.
Im Interview mit Franziska Streun, Journalistin beim «Thuner Tagblatt», zeigt sich nun zudem, dass diese Einteilung in «schnelle» und «langsame» Medien so nicht (mehr) stimmt.
Franziska Streun (sft), Redaktorin/Journalistin BR bei der Thuner Tagblatt/Berner Oberland Medien AG sowie freischaffende Buchautorin (franziskastreun.ch). Soeben erschienen ist ihr letztes Buch «Die Baronin im Tresor» über die Baronin Betty Lambert, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Bonstettengut in Thun/Gwatt gelebt hat.
Barbara: Franziska Streun, wie definierst du «schnelle» resp. «langsame» Medien?
Eine grundsätzliche Einteilung in «schnelle» oder «langsame» Medien finde ich irreführend, zumal heute die meisten Printmedien ebenfalls online präsent sind. Der gedruckte (Zeitungs-)Artikel erscheint bei aktuellen Berichterstattungen zwar am Folgetag und ist notgedrungen «langsamer» als Radio, Fernsehen und Online-News. Doch mittlerweile ist praktisch jedes Printmedium ebenfalls online präsent und informiert seine Leserschaft zeitnah. Auch bei uns im «Thuner Tagblatt» und im «Berner Oberländer» schreiben wir die Artikel zuerst in einem Programm für die Online-Publikation, bevor der Artikel für die Printversion gelayoutet wird. Die Aussage, dass Printmedien zu den Dinosauriern gehören, finde ich daher unpassend. Dinosaurier wären sie für mich erst dann, wenn sie ausgestorben wären – es also keine Printmedien mehr gäbe. Als Folge davon, weil zum Beispiel die Einnahmen unter anderem aus dem Werbe- und Abonnementbereich die Löhne, Druck-, Vertriebs- und überhaupt alle Kosten nicht mehr decken.
Mit der Digitalisierung ist die Produktion von Medien im Vergleich zu früher schneller, aber von der Technik her auch anspruchsvoller geworden. Dagegen ist das journalistische Handwerk mitsamt seiner fachlichen und ethischen Verantwortung gleichgeblieben: Themen herauskristallisieren, Nachrichten und Pressetexte aufbereiten, recherchieren, hinterfragen und an Themen dranbleiben, Interviews führen, Reportagen, Porträts, Kolumnen und Kommentare schreiben. Der gedankliche Prozess, bis ein Text vollendet ist, lässt sich mit der Technik nur wenig beschleunigen. Auch gleich geblieben ist der journalistische Grundsatz: So schnell wie möglich und so langsam wie nötig.
Wo siehst du die Herausforderungen des «Thuner Tagblatts»?
Einfach ausgedrückt: bei der Geschwindigkeit und beim Geld. Alles – nicht nur im Journalismus – muss heute schneller sein. Der Druck nimmt von überall her für alle stetig zu. Auch wollen zu viele Menschen gratis Medien konsumieren – und «sparen» beispielsweise bei einem Jahresabonnement für eine Tageszeitung. Dies, obwohl ein solches viel weniger als einen Kaffee pro Tag kostet. Ein weiterer Punkt ist, dass allgemein Medien und so auch Lokalzeitungen wie das «Thuner Tagblatt» und der «Berner Oberländer» in Konkurrenz zu den Social-Media-Kanälen stehen. Auf diesen können alle Menschen jederzeit schnell kommunizieren und über etwas informieren – allerdings im Gegensatz zu uns frei von journalistischen Regeln und den dazu gehörenden ethischen Grundwerten, die zu unserem Beruf gehören.
Wie lange braucht ein Artikel beim «Thuner Tagblatt» von der Idee bis zur Publizierung?
Das ist abhängig von Thema und Umfang. News-Meldungen bearbeiten und Pressetexte aufarbeiten benötigt weniger Zeit als ein aufwändiger Hintergrundartikel. Eine kleine Recherche erfordert zwar ebenfalls mehrere Telefonate oder Abklärungen, doch je nach Erreichbarkeit der Personen ist dies innerhalb eines Tages realisierbar – beziehungsweise muss es sein. Will ich jedoch beispielsweise einen Artikel darüber schreiben, welche regionalen Skilifte in der Wintersaison erfolgreich gewesen sind, kann es durchaus zwei bis vier Tage dauern, bis ich alle Informationen zusammengetragen oder alle Personen erreicht habe. Am aufwändigsten ist in der Regel ein umfangreiches Interview.
Wie gehst du bei der Recherche für einen Artikel vor?
Zuerst überlege ich mir bei allen Texten, um was und um welches (Kern-)Thema es genau geht. Ich überlege mir, welche Personen mir am besten Auskunft geben können. In komplexen Fällen ist es für mich hilfreich, wenn ich wo nötig auch einmal Informationen im Vertrauen und «off the record» erhalte. Kompliziert kann es werden, wenn eine Auskunftsperson blockt und nichts erzählen will. Dies etwa, wenn Angefragte ignorieren, dass wir Journalistinnen und Journalisten einen Auftrag zur öffentlichen Berichterstattung und Meinungsbildung zu erfüllen haben.
Was sagst du zur These: Schnelle Medien werden vor allem von jungen Menschen konsumiert, langsame Medien von älteren Menschen gelesen?
Im Grundsatz und stark verallgemeinert könnte der Medienkonsum so umschrieben werden. Erhebungen beim «Thuner Tagblatt» und beim «Berner Oberländer» zeigen, dass auch unsere Basisleserschaft mehrheitlich noch die ältere Generation umfasst. Junge Menschen lesen wohl tatsächlich eher «20 Minuten» oder News auf Online-Nachrichtenportalen. Doch ich kenne genauso viele Jugendliche, die sich gerne auch anderweitig informieren. Ein mir bekannter Elfjähriger etwa liest sogar regelmässig ausführliche Artikel in der Tageszeitung und hört Nachrichten im Fernsehen, weil ihn das Geschehen in der Welt interessiert. Von der Themenwahl her schauen wir im «Thuner Tagblatt» und im «Berner Oberländer» jedoch sowieso unabhängig von Erhebungen darauf, dass wir mit unseren Artikeln alle Altersgruppen ansprechen.
Wie beurteilst du die aktuelle Medienlandschaft, haben sogenannte «langsame» Medien überhaupt eine Chance auf dem Markt?
Unabhängig von corona-bedingten und anderweitigen Auswirkungen auch auf die Medienbranche: Mein Eindruck ist, dass immer mehr Menschen wieder den Wert von differenziertem Journalismus erkennen. Sie schätzen einen hintergründigen, gut recherchierten Artikel, der ihnen Erkenntnisse und Wissen bietet. Dies wiederum ermöglicht uns allen erst, eine Aussage oder einen Sachverhalt besser beurteilen zu können. Dabei entwickelt sich immer mehr das Gefühl dafür, was «Fake News» sein könnten oder was lediglich ein Hype ist und welche Motive hinter einer Aussage stehen.
Im «Thuner Tagblatt» und im «Berner Oberländer» setzen wir alles daran, im Rahmen unserer finanziellen, zeitlichen und personellen Möglichkeiten bestmögliche Qualität zu bieten. Wir fragen nach, ob Versprechen zum Beispiel in der Politik oder bei den Behörden eingehalten werden oder wo der Bevölkerung der Schuh drückt.
Wie wichtig unabhängige Medien gerade für die Demokratie und vor allem für die Erhaltung der Demokratie sind, wird verstärkt in Ländern sichtbar, wo keine neutrale Berichterstattung mehr möglich ist. Constantin Seibt, Journalist und Reporter bei der Online-Zeitung «Republik», beschreibt in seinem Artikel «Die Macht der Lüge in der Politik» den Prozess eindrücklich, der von der Demokratie zur Diktatur führen kann.
Welche Artikelformen resp. was schreibst du am liebsten?
Grundsätzlich schreibe ich über alles gern und liebe meinen Beruf als Journalistin und als Buchautorin. Am meisten interessieren mich Menschen, die aufgrund von ihren Erlebnissen oder nach Schicksalsschlägen viel zu erzählen haben. Solche, die tiefgreifende Erfahrungen weitergeben können, unentdeckte Überraschungen offenbaren und Lesende bereichert zurücklassen. Auch greife ich gerne Themen auf, die Geschichten zutage bringen, die im lauten Getöse der Gesellschaft untergegangen sind. Geschichten, die jenen Menschen eine Stimme verleiht, die bislang ungehört blieb. Menschen, die genau so vieles wissen und womöglich noch mehr getan haben wie die Oftgehörten und Oftgelesenen.
Wissensebbe und Informationsflut
Darleen: Durch das Interview mit Franziska Streun veränderte sich unser Verständnis für die Journalismusbranche und liess gleichzeitig Fragen offen. Gibt es nun eine Trennung in «schnelle» und «langsame» Medien? Welche konsumieren wir und wie? Um uns auszutauschen, trafen Barbara und ich uns zum corona-gemäss «Kaffee auf Distanz».
Entgegen unserer anfänglichen These stellte Franziska Streun schon zu Beginn des Interviews klar, dass die Einteilung in schnelle und langsame Medien zu kurz greift. Trotzdem versuchten wir, in «schnelle» und «langsame» Medienproduktion sowie -konsumation einzuteilen.
Wir verstehen unter einer «langsamen» Produktion einerseits eine gründlichere Recherche als in «schnellen», was auf eine bessere Qualität schliessen lässt. Andererseits vermuten wir, dass «langsam» produzierte Medien mehr Hintergrundinformationen bieten. Der Zeitdruck ist in allen Medienhäusern etwa gleich gross und somit kein Kriterium.
«Schnelle» MedienkonsumentInnen sind Leute, die sich nur oberflächlich mit den News des Tages auseinandersetzen und, wie Franziska Streun sagt, den Titel und Lead überfliegen und denken, sie hätten den Artikel gelesen. Mir ging es ähnlich, wenn ich im Bus oder Zug sass. Schon mit den wenigen Sätzen auf dem News-Bildschirm fühlte ich mich informiert. Heute sitzt kaum jemand mehr mit der Tageszeitung im Zug. Diese wurde durch das Smartphone abgelöst und mit der Online-Zeitung und Netflix ersetzt.
Eine besonders «schnelle» Produktion und Konsumation findet in den sozialen Medien statt. Meistens werden Posts und Tweets ohne Verifizierung ins Internet gestellt und beim Durchscrollen nur schnell überflogen. Damit steigt die Gefahr, dass Halbwahrheiten weiterverbreitet werden.
«Wir bevorzugen beide längere Artikel, die Bezug auf Vergangenes nehmen und Ereignisse miteinander verknüpfen.»
Darleen Pfister
Ehrlich gesagt gehörte auch ich lange zu jenen, die sich auf Instagram über das Tagesgeschehen informierten. Weil ich SRF abonniert hatte, mischten sich in den Beiträgen Ferienfotos mit News-Posts. Die dauernde Informationsflut wurde mir aber zu blöd. Lieber schaue ich die «Tagesschau» oder gehe bewusst auf die Webseite. Genau wie Barbara, die Push-Nachrichten auf dem Handy ausgeschaltet hat und sich normalerweise lieber Zeit für die Tageszeitung und den wöchentlichen Kultur-Newsletter nimmt. Zu Zeiten des Coronavirus hat sie sich dennoch das SRF-App heruntergeladen, weil die Dringlichkeit der News zunahm und sie beruflich auf den neusten Stand der Informationen angewiesen war.
Wir bevorzugen beide längere Artikel, die Bezug auf Vergangenes nehmen und Ereignisse miteinander verknüpfen. Sie dürfen auch kritisch und komplex sein.
Dennoch brauchen wir manchmal einen Kontrast zu den tiefgründigen und schockierenden Berichten. Barbara amüsiert sich über lustige Bilder auf Watson und ich scrolle durch Pferdefotos und Rezeptideen auf Instagram. Unterhaltung soll ihren Zweck erfüllen, egal ob sie nun «schnell» oder «langsam« produziert wurde.
Wir kamen zum Schluss, bewusst zu differenzieren, welches Medium wir für welchen Zweck nutzen möchten. Es spielt keine Rolle, ob der Beitrag «schnell» oder «langsam» produziert wurde, denn wir müssen selbst beurteilen, welche Qualität er hat. Wir können uns mit Push-Nachrichten zufriedengeben – mit der Gefahr, dabei zugetextet zu werden – oder bereit sein, mehr Zeit in das Lesen eines Hintergrundberichtes zu investieren. Und damit auch Geld in ein unterstützenswertes Medium.