
In der Zeit vom 25. August bis zum 3. September fanden vier Führungen statt, jedes Mal bei schönstem Wetter. Vom Treffpunkt Aarefeldplatz, heutzutage besser bekannt als Manorplatz, ging es Richtung Othmar-Schoeckweg zum Kleistdenkmal auf dem Inseli. Das Denkmal stellt Prinz von Homburg aus dem gleichnamigen Drama dar. Das Inseli, wie auch Heinrich Kleist, haben noch ganz andere Bedeutungen für mich. Das Inseli war in meiner Jugend – ähnlich wie der Schlossberg – ein Ort, wo viele zum ersten Mal Zigaretten und Küsse ausprobierten. Und vor einem halben Jahrhundert ereignete sich dort sogar der «Inseli-Mord».
Zu Kleist habe ich ein besonderes Verhältnis. 2006 fanden in Thun erstmals die Stadtrundgänge «Kunst im öffentlichen Raum» statt. Schauspielerinnen wurden integriert und so erzählte ich den RundgängerInnen beim Kleist-Denkmal, wie die Patina auf die gegossene Bronze kommt, nämlich unter anderem durch Pferdeurin. Das Kostüm, das ich damals trug, war das blau-orangefarbene Arbeitsgewand der Mitarbeitenden des Tiefbauamtes. Beim jetzigen Rundgang las ich Kleist’s Brief an seine Schwester vor. Jedes Mal nimmt es mich wunder, welches Schreckhorn er wohl am Sonntagmorgen besteigen konnte, um zum Mittagessen wieder zurück zu sein.

Brief an die Schwester Ulrike von Kleist (1. Mai 1802)
«Jetzt leb’ ich auf einer Insel in der Aare am Ausfluß des Thunersees, recht eingeschlossen von Alpen, eine Viertelmeile von der Stadt. Ein kleines Häuschen an der Spitze, das wegen seiner Entlegenheit sehr wohlfeil war, habe ich für sechs Monate gemiethet und bewohne es ganz allein. Auf der Insel wohnt auch weiter Niemand als nur an der anderen Spitze eine kleine Fischerfamilie, mit der ich schon einmal um Mitternacht auf den See gefahren bin, wenn sie Netze einzieht und auswirft. Der Vater hat mir von zwei Töchtern eine in mein Haus gegeben, die mir die Wirthschaft führt: ein freundlich-liebliches Mädchen, das sich ausnimmt wie ihr Taufname, Mädeli. Mit der Sonne stehen wir auf, sie pflanzt mir Blumen in den Garten, bereitet mir die Küche, während ich arbeite; dann essen wir zusammen; Sonntags zieht sie ihre schöne Schweizertracht an, ein Geschenk von mir, wir schiffen uns über, sie geht in die Kirche nach Thun, ich besteige das Schreckhorn, und nach der Andacht kehren wir Beide zurück.»
Was haben Kleist und Othmar Schoeck gemeinsam?
Kleist bedeutet mir auch viel wegen seines 200sten Todestages. Die freie Theatertruppe «Schauplatz International» inszenierte 2011 auf dem Gelände des Tertianum Residenz Bellevue-Park die «Kleist-Retraite». Etliche der gebeutelten Kleistfiguren wurden in die Retraite geschickt, ebenfalls ich als «Penthesilea». Ja, und da haben wir auch den Link zu Othmar Schoeck, der 1925 eine Oper, «Penthesilea, komponierte. Diese wurde 1927 in Dresden uraufgeführt, also 116 Jahre nach Kleists Tod.

Weiter ging es über den frisch geteerten Scherzligweg mit den neu besprayten Gartenmauern. Die äussere und innere Aare überquerten wir über die Scherzligschleuse und den Göttibachsteg.

Am Brahmsquai betrachteten wir den Brunnen der «Drei Grazien», von dem ein Anwohner uns mitteilte, dass er in den fünfziger Jahren entstanden sei, was einige Tage später von einem weiteren Teilnehmer widerlegt wurde. R.W. ist nämlich auf seinem Arbeitsweg von Hünibach nach Thun auch bis in die frühen 70er Jahre nie an dem Brunnen vorbeigekommen, da er sich noch gar nicht dort befand. Ich wundere mich bloss, dass es über den Brunnen-Bildhauer Heinz Schwarz im Zusammenhang mit den Grazien praktisch nichts zu erfahren gibt.

Am «Brahmsrösi» vorbei führt der Weg über die Treppen aufs Jakobshübeli, von wo aus man eine wunderbare Sicht über die Stadt hat. Allerdings war nur eine Rundgängerin bereit, den Aufstieg über die Stufen in Angriff zu nehmen. Zwei bewältigten dann die Stufen bis zur Hälfte, bevor wir wieder umkehrten. Richtung Göttibach besuchten wir die Kirche St.Beatus. Die wenigsten wussten von der christkatholischen Kirche, die einst die erste englische Kirche in der Schweiz war. Leider ist sie geschlossen, mehr erfahren kann man über die Homepage https://christkatholisch.ch/thun/kirche-st-beatus/.

Am Göttibach entlang abwärts kommt man direkt in den Thunerhof, Verwaltungsgebäude der Stadt Thun und Sitz des Kunstmuseums. Erbaut in den Jahren 1873 bis 1875 als erstes Luxushotel in der Region. Da mich meine Arbeit als freiwillige Helferin regelmässig in den Thunerhof führt, konnte ich die Renovation der Malereien an Decken, Wänden und Säulen Schritt für Schritt verfolgen. Ich bin begeistert, kann und will hier aber nichts beschreiben, gehen Sie hin und betrachten Sie es selbst.

Hier drei Rückmeldungen von TeilnehmerInnen des Rundgangs «Mis Thun» :
Silvia Rindlisbacher:
Sympathisch, gemütlich, interessant, angenehmes Wetter, nebst Infos auch Zeit für angeregte Gespräche…
Rolf Wiggenhauser:
Frau Voss hat gemeint, dass ich ja sicher Thun bestens kenne. Nein, dem ist nicht so, auch als Bürger und Steuerzahler von hier, kennt man nicht alles. So kannte ich die kleine Kapelle hinter dem Kursaal nicht und auch die Malereien im Thunerhof habe ich noch nie gesehen, weil ich schon lange nicht mehr dort war. Dafür konnte ich Frau Voss das Baujahr des Weges zwischen dem Restaurant Dampfschiff und dem Thunerhof nennen. Es muss nach 1972 gewesen sein, den lange war hier ein Knick im Weg entlang der Aare, wo nun die drei Grazien im Wasserbecken stehen. Vielleicht sollte man sich öfters von jemandem führen lassen, auch wenn man meint, dass man eine Stadt kennt…
Es hat gefallen!

Walter Winkler:
Auch aussagekräftige Bilder sind eine positive Rückmeldung.