Schon von weitem erkennen wir die ausladende Himmelstreppe an der Fassade des Stapferhauses, die ins «Jenseits», den ersten Ausstellungsraum führt. Zuerst treten wir neugierig ins Foyer ein und lassen uns von der Dame an der Theke darüber informieren, dass wir die Ausstellung direkt besuchen könnten. Bezahlen würden wir am Ende. Sie weist uns zur Himmelstreppe und bald darauf stehen wir tatsächlich in einer Art Paradies.

Beruhigende Musik und Vogelgesang begleiten uns auf dem Weg, der sich zwischen Geldbäumen, Goldeseln, geldspeienden Vulkanen durchschlängelt und über einen mäandernden Geldfluss führt. Wahrlich Geld im Überfluss. Der Raum ist eine Einstimmung auf das, was folgt.
Etwas abseits des Weges steht eine Bank. Wenn man sich setzt und gut hinhört, ertönen aus dem Lautsprecher flüsternde Kinderstimmen. Die Kinder erzählen, was sie mit ganz viel Geld machen würden: einen Fernseher kaufen, der alle Fussball-Matches zeigt; der ganzen Familie den liebsten Wunsch erfüllen; sparen, damit man noch Geld hat, wenn man alt ist. Offenbar ist der Bezug der Kinder zum Geld sehr zweckbezogen: Geld ist zum Ausgeben da, entweder jetzt oder in Zukunft. Mit Geld kann man sich alles kaufen, was man will. Aus Geld kann alles werden.
Streit unter Propheten
Plötzlich öffnet sich ein Tor und wir werden gebeten, in den nächsten Raum zu treten. Grosse Denker und Philosophen der Geschichte erwarten uns, um ihre Meinung über Geld, Gold und Gier kundzutun: Da sind Aristoteles, Martin Luther, Voltaire, Adam Smith und andere. Die würdigen Herren führen eine Diskussion über Geld. Die Meinungsunterschiede über Epochen hinweg sind eindrücklich: Geld sei einzig zum Zweck des Tauschens da, meint Aristoteles, worauf Luther entgegnet, Geld und Geiz sei das Übel der Menschheit. Laut Voltaire macht Geld frei und unabhängig und Thomas von Aquin kritisiert die Erfindung der Zinsen, denn Zinsen machen aus Zeit Geld, die Zeit jedoch gehöre allein Gott. Adam Smith, der Wirtschaftsphilosoph, hält ein Plädoyer für den freien Markt und die unsichtbare Hand, die alles regelt und gerät in ein Streitgespräch mit John Keynes. Der Schlagabtausch der «Propheten» lässt kaum Zeit und Platz für eigene Gedanken, schon werden wir durch die nächste Tür weitergebeten.
Macht Geld glücklich?
Eine Video-Installation lässt verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichem Bezug zum Geld zu Wort kommen: Reiche und Arme, Junge und Alte, mit unterschiedlichen Ansichten und Gedanken. Da spricht Christoph Trummer (58), der sich im Bachbett der Engstligen häuslich eingerichtet hat, umgeben vom Rauschen des Wassers, von seinem einfachen Leben. Geld sei eine Droge, schlimmer als Heroin, und er halte sich auf kleiner Dosis. Geld anhäufen und ausgeben will er nicht, er will gelebt haben. Geld mache vielleicht kurzzeitig zufrieden, aber das wahre Glück bringe es nicht.

Nicht vergleichen damit lassen sich die Aussagen von Daniela Spillmann, Modedesignerin, und Hans Widmer, Unternehmer. Geld gibt beiden die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Geld in ein Projekt zu stecken, jemanden zu unterstützen, Entwicklungshilfe zu leisten und ein positives Ergebnis wachsen zu sehen, das macht sie glücklich. Für Daniela Spillmann ist dieses Glück zweiseitig: Sie kann jemandem Glück schenken und dabei Glück empfinden. Hans Widmer meint abschliessend, dass Geld ermöglicht zu leben, aber gelebt habe man noch nicht. Geld für sich genommen sei absolut wertlos. Es sei die Widerspiegelung der Möglichkeit, etwas zu bewegen.
Im Geld schwimmen
Zweihunderttausend Franken. In goldenen Fünfräpplern auf dem Boden verteilt. Die Füfis knirschen unter den Füssen und klimpern, wenn man mit der Hand hindurch fährt. Der Raum glitzert und glänzt im Dämmerlicht, und die Spiegel an den Wänden lassen das Glitzern unendlich weit erscheinen. Im ersten Moment kommt es mir vor, als würde ich Dagobert Ducks Geldspeicher betreten. Als die Kulturvermittlerin die Türe schliesst und das Licht dimmt, geht es mir eher wie dem «Hobbit» Bilbo Beutlin, der im Einsamen Berg die Höhlen voller Schätze betritt, bewacht vom Drachen Smaug. Auch dort glitzert und glänzt es schier ohne Ende, und Bilbos Unterfangen riecht nach Gefahr.

Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, dass ich mich hier auf zweihunderttausend Schweizerfranken setze. Das ist zu abstrakt. Hätte ich zweihundert violette Banknoten in den Händen, wäre mir der Wert eher ersichtlich. Ich lasse ein Handvoll goldfarbener Münzen wie Sand durch meine Finger rieseln und lausche der Stimme, die uns erklärt, was Geld für uns alles bedeuten kann.
Für mich waren die Schlagwörter «Unabhängigkeit» und «Sicherheit» wohl die treffendsten. Geld gibt mir persönlich die Möglichkeit, das zu kaufen, zu erleben, zu bezahlen, was ich möchte und was mir Nutzen bringt. Gleichzeitig schützt es mich vor Armut; es sichert mir meine Zukunft. Geld macht vielleicht nicht glücklich, überlege ich mir, aber kein Geld auch nicht: Geldsorgen zu haben und jeden Monat darum bangen zu müssen, die Miete nicht bezahlen zu können, das belastet. Ist Geld ein nötiges Übel? Ein willkommenes Mittel zur Freiheit? Ich finde die Antwort nicht, während ich mich vom Anblick der vier Millionen Fünf-Rappen-Stücke überwältigen lasse.
Abgelauscht in der Schatzkammer
Ich nehme gar nicht wahr, dass es wirkliches Geld ist, worauf wir sitzen, und überlege nicht, was ich mit den zweihunderttausend Franken anstellen würde, wenn sie mir gehörten. Eher fühle ich mich wie mitten drin in einem Piraten-Film-Dekor. Gleichzeitig kommen mir die folgenreichen Wendepunkte meines Lebens in den Sinn, wo ich die Wahl für mehr Lebensqualität gegen mehr Geld getroffen habe. Zuallererst entschied ich mich für eine Stelle mit weniger Lohn, dafür mit mehr persönlicher Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten; später verzichtete ich vorübergehend auf das eigene Einkommen zugunsten der Familie.

Wie verhalten sich Besucher in diesem Raum, genannt «Offenbarung»? – fragen wir die zuständige Kunstvermittlerin.
«Ganz unterschiedlich» – erzählt Nina Tshomba, 27, Studentin der Internationalen Beziehungen in St. Gallen, die an der Ausstellung jobbt. «Die extremsten Beispiele können wir schon als Spiele anordnen. Es gab einmal einen älteren Herrn, der schreiend: «Ich habe es geschafft, ich habe es geschafft», mehrere Handvoll Münzen in die Höhe warf. Ein anderes Mal war es ein dunkelhäutiger Jugendlicher, der sich bei Rufen «Rich Nigger Nigger, rich Nigger Nigger» mit dem Geld überschüttete. «Ich darf Letzteres schon sagen, ohne des Rassismus’ verdächtigt zu werden» – schmunzelt sie. Nina ist selber dunkelhäutig als Tochter einer Schweizer Mutter und eines politischen Flüchtlings aus der Demokratischen Republik Kongo. «Da man sprichwörtlich im Geld schwimmen kann, probierte eine Jugendliche eine – entschuldigen Sie den Ausdruck – Arschbombe. Aber dabei hat sie sich schon weh getan. Beeindruckt war ich einmal von einem etwa zwölfjährigen Jungen, der traurig aus dem Offenbarungsraum kam und feststellte, dass mit dem hier herumliegenden Geld der Hunger von vielen Menschen in der Welt hätte gestillt werden können». Nina hat Freude an vielen Begegnungen mit Ausstellungsbesuchenden, deswegen möchte sie auch die Durchführung von Workshops für die Schulen übernehmen.
Wertschätzung
Bevor wir die Ausstellung verlassen, erhalten wir, wie alle anderen Besucherinnen und Besucher, ein Souvenir: eine Münze, die auf einer Seite mit «GUT», auf der anderen mit «BÖSE» bedruckt ist. Es liegt eben an uns selbst, welche der Seiten in unserem Umgang mit dem Geld zum Vorschein kommt…


Die Ausstellung «GELD. Jenseits von Gut und Böse» findet bis zum 25. Juni 2016 im Zeughaus Lenzburg statt. www.stapferhaus.ch
