
«Hier ist bestimmt noch ein totes Schaf drin», klagt «Dänu» (50) und hebt den viel zu schweren 110-Liter-Sack vom Strassenrand auf. Nur mit Mühe schafft er es, ihn rauf in den Schacht des Kehrichtwagens zu hieven. «Manchmal entsorgt der Besitzer Fischabfälle», erzählt Dänu, der eigentlich Daniel Brand heisst. «Bei 35 Grad haben die einmal so sehr gestunken, dass sich mein Kollege im Gebüsch übergeben musste.» Bern Bümpliz um sieben Uhr morgens: Dänu zündet sich hinten auf dem Tritt seine erste Zigarette an, als der Kehrichtwagen weiterfährt.
Wenn der Kehrichtsack in der Küche stinkt, stellen wir ihn auf den Balkon. Oder vor die Tür. Wir stopfen ihn voll, nutzen jeden Zentimeter aus, bis der viel zu dünne Plastik teils reisst. Am Abend vor der Kehrichtabfuhr stellen wir ihn auf die Strasse – wenn wir es für einmal nicht verpassen.

Knapp neben die Pulsader
Die Menschen denken in ihrem Wegwerfverhalten nicht daran, dass sie dabei den Alltag von anderen, und nicht zuletzt deren Gesundheit, gefährden. Das zeigt jedenfalls dieser Morgen in Bümpliz. Da ist zum Beispiel Dänu, dessen Job es ist, unseren Müll zu entsorgen. Für ihn ist es ein Morgen wie jeder andere. Der Gestank des Mülls hält sich in Grenzen, angenehme 20 Grad tragen viel dazu bei. Niemand muss sich übergeben. Dafür sind einige der Säcke viel zu schwer. Jener, in welchem Dänu das Schaf vermutet, stammt ebenfalls aus dem Restaurant mit den stinkenden Fischabfällen.
Dänu arbeitet seit 31 Jahren als Müllmann in der Stadt Bern. Erlebt hat er wohl schon alles. Zweimal schnitt er sich an zerbrochenen Glasflaschen in den Arm. «Knapp neben die Pulsader.» Dänu zuckt mit den Schultern, steigt vom Wagen ab und lädt weitere Kehrichtsäcke auf – diesmal etwa drei Säcke pro Hand. «Ich habe schon als Kind für meinen Vater Getränkeharassen herumtragen müssen», kommentiert er seinen Kraftakt.

Ein Männer-Job
Die Route an diesem Morgen beginnt um sieben Uhr in der Früh bei der Station der Kehrichtabfuhr Bern, führt einmal durch Bümpliz und wieder zurück. Vor der Abfahrt wird gescherzt. Frauen sind keine zu sehen, obwohl einige wenige dort arbeiten. Jean-Pierre Stricker (60), seit fünf Jahren Chauffeur, lacht. Er habe seinem Kollegen aus Spass einen Frauenstreik-Pin ans T-Shirt geheftet. Es fallen ein paar sexistische Sprüche. Die Männer verabschieden sich und teilen sich auf ihre Wagen auf. Frauen haben es in dieser Branche wohl nicht leicht.

Auf der Fahrt durch Bümpliz ist von den Sprüchen nichts mehr zu hören. Dänu erzählt von seiner Arbeit, von ungeduldigen Autofahrern und unbelehrbaren Personen. «An diese Dinge gewöhnt man sich mit der Zeit einfach. Sonst hätte ich ja schon längst ein Burn-out.» Dänu liebt an seinem Job, dass er draussen sein kann, immer in Bewegung ist. Nach der Schule begann er eine Lehre zum Metallschlosser, brach diese jedoch wieder ab, versuchte sich in einigen anderen Jobs und landete schliesslich bei der Kehrichtabfuhr. Feste Arbeitszeiten und ein Bruttolohn von durchschnittlich 5500 Franken machen die schwierigen Umstände bei der Arbeit einigermassen wett. Dänu weiss mittlerweile genau, welche Firma und welche Strasse wie «tickt», welche Container was beinhalten und wann sie geleert werden müssen. Für ihn geht es um Kunden, die er zufriedenstellen möchte.

Diese Kunden müssen jedoch manchmal auch gerügt werden. Zum Beispiel dann, wenn sie keine Gebührensäcke verwenden: «Wir schlitzen die Säcke auf, um eine Adresse zu finden.» Ist die Suche erfolgreich, erhalten die Personen einen Mahnbrief. Ein schier unlösbares Problem zeigt sich bei den Sackgebühren. Sie sind einerseits so hoch, dass die Leute viel zu viel hineinstopfen. Andererseits sind sie aber nicht hoch genug, um die Leute dazu zu bewegen, zu recyceln. «Aber die Politiker können ja die Preise nicht erhöhen, sonst werden sie nicht wiedergewählt», scherzt Dänu. Pet-Flaschen, Unmengen an Karton, Büchsen und Glas, das alles findet sich in den Säcken und Containern. Besonders auffallend ist der Container von Bernmobil: Er ist gefüllt mit Gratiszeitungen, die in Bussen und Trams liegen geblieben sind.

Problem Katzenstreu
Wie wenig die Leute auf die Mitarbeiter der Kehrichtabfuhr Rücksicht nehmen, ist erschreckend. Spritzen, Glasscherben, Blutproben aus Zahnarzt-Praxen: Dänus Liste von problematischen Gegenständen, die er immer mal wieder antrifft, ist lang. Am meisten wundert er sich aber über etwas scheinbar Unproblematisches: Katzenstreu. «Fast jeder dritte Kehrichtsack hat Katzenstreu drin! Lassen die Leute ihre Katzen nicht mehr raus? Das Motto der Leute ist klar: «Aus den Augen, aus dem Sinn.» Doch die Säcke zerreissen und zerplatzen durch die Presse im Müllwagen, manchmal aber auch bereits beim Aufheben. «Einem Kollegen ist einmal ein chemisches Mittel ins Gesicht gespritzt», erzählt Dänu. Für solche Vorfälle gibts im Wagen reinigende Flüssigkeiten.

Auf halbem Weg kommen Container einer Holzbau-Firma dazu. Zwei volle Container Sägemehl, das Dänu für den Rest der Tour begleiten wird. Denn jedes Mal, wenn die Presse des Kehrichtwagens sich öffnet und schliesst, um die Säcke in das Innere des Wagens zu drücken, bläst ihm eine grosse Wolke davon entgegen, direkt in die Atemwege. «Das geht ja noch», lächelt Dänu. «Manchmal passiert uns dasselbe mit Russ.» Die moderne Technik der elektronischen Müllwagen hat eben auch Nachteile. Nach zwei Stunden kommt, da sind sich die Müllmänner/Müllfrauen und ihr Chauffeur Jean-Pierre einig, «der schönste Teil des Tages»: das Znüni. Vorher noch schnell mit dem Kehrichtwagen auf die Waage und zur Müllkippe zum Leeren. Etwas über vier Tonnen Müll haben die beiden allein in diesen zwei Stunden in Bümpliz gesammelt. Nach dem Znüni geht es weiter ins nächste Quartier.