Nicht wissenschaftlich fassbar – doch es klappt. GeistheilerInnen und SchamanInnen heilen mit Mitteln, die niemand versteht. Im Wallfahrtsort Lourdes werden Wunderheilungen wissenschaftlich untersucht, ohne dass man weiss, wie die Wunder wirken. Man hört von Gebetserhörungen. Vieles, was herumgesprochen wird, mag zweifelhaft sein. Aber es lohnt sich, der Sache einmal auf den Grund zu gehen.
Schamanische Heilung
GeistheilerInnen gibt es immer noch. Einige Formen sind bei uns bekannt: Reiki, Chakra-Therapie, Kinesiologie, Familienaufstellung, Therapeutic Touch. Was ist ihnen gemeinsam? Dass die offizielle Medizin sie kritisch betrachtet. Dass sie zwar ihr Handeln durch Theorien untermauern, dass aber schlussendlich niemand wirklich erklären kann, wie sie funktionieren.
Geistheilen hat Erfolg. In Deutschland sollen 15‘000 Geistheiler und Geistheilerinnen ihre Dienste anbieten. Sie erwirtschaften laut dem Geistheilexperten Harald Wiedendanger rund vier Milliarden Euro. Das Schweizer Geistheiler-Verzeichnis zählt 193 HeilerInnen auf. Vieles, was angeboten wird, ist fragwürdig. Es gibt auch finanzielle Ausbeutung. Doch es wäre voreilig, zu verallgemeinern. In Grossbritannien arbeiten SchulmedizinerInnen und GeistheilerInnen eng zusammen.
Dennoch: Geistheilen ist wissenschaftlich nicht erklärbar. Ist es eine spezielle Begabung der HeilerInnen, die heilt, oder heilt einfach das Vertrauen, das ein Mensch ihnen entgegenbringt?
Glauben an eine höhere Macht
Schon früh sprach man im Christentum von Wundern. In der Bibel steht, dass Jesus heilte. Er liess Blinde wieder sehen, befreite von psychischem oder dämonischem Leiden und erweckte sogar Tote wieder zum Leben.
Solche Heilungsgeschichten gehören nicht nur der Vergangenheit an. Viele sind überzeugt, dass Gott auch heute noch seine Wunder tut. Besonders eindrücklich, aber auch ein bisschen unheimlich zeigt das der Film «Christ in you». Vor laufender Kamera geschehen Heilungen und Wunder; einen Darsteller kenne ich, Alena, sogar und kann bezeugen, dass er viele Wunder durch Glauben bewirken konnte. Manche sagen, dass es Menschen gibt, die von Gott dazu berufen sind, zu heilen. Im «Praise-Camp» 2016 konnten solche Wunder mitverfolgt werden. Eine Teilnehmerin mit sehr starker Sehschwäche braucht keine Brille mehr, Schmerzen im Bein verschwinden, Krücken können weggelegt werden – das alles durch den Glauben an Gott.
Wallfahrtsort Lourdes
Lourdes, eine Stadt im Südwesten Frankreichs, ist bekannt für ihre Heilungswunder. 1858 erschien einem 14-jährigen Hirtenmädchen die Gottesmutter Maria in einer Grotte. Seither habe es dort rund 30’000 Heilungen gegeben. 6’000 sind dokumentiert, 2’000 davon gelten als «medizinisch unerklärbar». Wird ein Wunder vorgestellt, durchläuft es einen Prozess, der mehrere Jahrzehnte andauern kann. Zuerst wird es einem Ärztegremium vorgestellt. Hält es die Heilung für glaubwürdig, verfasst es einen Bericht und leitet diesen an das Internationale Medizinische Komitee weiter. Befinden zwei Drittel des Komitees den Fall als medizinisch nicht erklärbar, wird dies dem Bischof von Lourdes mitgeteilt. Dieser hat dann das letzte Wort.
Der Placebo-Effekt
Kommen wir nun zu einer Heilungsform, mit der sich die Schulmedizin ernsthaft beschäftigt: dem Placebo-Effekt. Kaum jemand zweifelt noch daran, dass es den Placebo-Effekt gibt. Der Arzt, die Ärztin verabreicht an zwei Patienten oder Patientinnen das gleiche Medikament. Eines der beiden enthält gar keinen Wirkstoff. In überraschend vielen Fällen tritt auch bei diesem Präparat der gleiche Effekt ein. 35 Prozent der Menschen sprechen auf Placebos an. Man schätzt inzwischen, dass die Wirkung von Medikamenten zu 20 – 30 Prozent auf Placebo-Wirkung beruht.
Die Medizin führt dies hauptsächlich auf zwei Faktoren zurück. Der eine ist die Erwartungshaltung. Wenn wir an den Erfolg glauben, tritt er ein. Das kann damit zusammenhängen, dass wir den Arzt oder die Ärztin als kompetent einschätzen. Oder dass das Medikament teuer ist und wir deshalb denken, es müsse wirksam sein. Den Erfolg erwarten heisst, den Erfolg herbeiführen.
Der andere Faktor, den die MedizinerInnen nennen, ist die Konditionierung. Wir erleben oft, dass der Arzt, die Ärztin ein Medikament verabreicht, das wirkt. Wenn das immer wieder geschieht, sind «Arzt» und «wirksames Medikament» im Hirn gekoppelt. Gibt der Arzt oder die Ärztin im gleichen Kontext ein Medikament, das keinen Wirkstoff enthält, tritt die heilende Wirkung trotzdem ein.
Das sieht nach wissenschaftlicher Erklärung aus. Doch so klar ist sie nicht. Es bleiben Fragen: Warum wirkt die Erwartungshaltung? Was steckt hinter dem Konditionieren?
Und so sehen wir es persönlich
Alena: Als ich noch klein war, besuchte ich jedes Jahr ein Jugend-Singlager. Oft hatten meine Spielkameraden Heimweh, was ja auch verständlich war, bei einer Woche ohne Eltern. Die LeiterInnen wussten sich aber zu helfen: für alle Schmerzen und Bedürfnisse hatten sie die passende Medizin dabei. Am Abend im Bett, wenn manche von uns von Heimweh geplagt ins Schluchzen kamen, versorgten sie uns mit kleinen Bonbons, Sugus genannt, in verschiedenen Farben. Rot bedeutete starkes Heimweh und gelb nur sehr schwaches, die Farben reihten sich nach der Stärke des Heimwehs. Wir mussten also entscheiden, wie stark das Heimweh war, und suchten ein Sugus aus. Ich muss zugeben, ein bisschen habe ich ihren Trick schon durchschaut, denn ein Kind mit Heimweh bin ich nie wirklich gewesen. Doch bei meinen Freundinnen schien das Sugus wie durch ein Wunder zu wirken. Es beklagte sich danach jedenfalls niemand mehr über Heimweh. Die Sugus, unsere Medizin, funktionierten. Wie beim Placeboeffekt haben die Sugus uns geholfen.
Ich bin der Meinung, dass, wenn man an etwas stark glaubt, es auch funktioniert. Dabei spielt es keine Rolle, welchen Weg wir nun einschlagen. Alle Wunderheilungen, die wir in diesem Bericht aufgezählt haben, ziehen ihre Kraft aus einem Glauben. Jeder hält an etwas fest, sei es als Kind am Glauben an ein Sugus oder vielleicht am Glauben an eine höhere Macht. Egal, ob alt oder jung, lassen wir uns gerne von positiven Gedanken beeinflussen. Das hebräische Wort für Glauben heisst „emuna“. Emuna bedeutet auch Vertrauen, sprich: Glauben findet seinen Ursprung in Vertrauen. Ein Vertrauen darauf, dass etwas funktioniert.
Werner: Da ich als Theologe viel mit Wundern und später als Psychotherapeut viel mit Heilung zu tun hatte, berührt mich das Thema. Mir fiel schon lange auf, dass Jesus nie sagte, er habe Kranke geheilt. Seine Wendung ist: «Dein Glaube hat dir geholfen». Also nicht viel anders als bei der Placebo-Wirkung. Im Johannes-Evangelium nennt Jesus die Wunder «Zeichen». So sehe ich es auch: Wunderheilungen weisen darauf hin, dass die ganze Welt ein Wunder ist. Und in der Therapie fiel mir auf, dass es Leuten oft schon nach der ersten Therapiestunde besser ging. Sie spürten, dass wir uns auf einen Weg der Heilung begaben, und die Zuversicht bewirkte bereits Besserung.
Wunderheilungen sind für mich einfach ein Ausschnitt aus dem grossen Wunder, das wir sind. «Warum gibt es etwas und nicht nichts?», fragen die PhilosophInnen. Eine gute Frage, auf die sie nie eine befriedigende Antwort fanden. Selbst wenn wir Anatomie und Physiologie studiert haben, bleibt es doch wunderbar, wie die hundert Billionen Zellen, von denen jede für sich schon ein Wunderwerk ist, zu einem lebendigen Menschenkörper zusammenwirken. Auch wenn das Leben vollständig erklärt würde – es bleibt ein Wunder!