Liebe Hannah, woher kommst du?
Ich hatte eine behütete und friedliche Kindheit in Homberg bei Thun. Den Kindergarten und die Schule besuchte ich dort. Zwei bis vier Jahrgänge wurden zusammen in einem Schulzimmer unterrichtet. Die Klassen waren klein und so wurde jedes Kind individuell wahrgenommen. Ich war oft rebellisch, wollte stark sein wie die Buben. Eine gute Freundin lacht heute noch darüber, wie dominant ich sein konnte. Ich erlaubte mir damals nicht, meine sensible Seite zu leben. Nach der Schulzeit verbrachte ich in Genf ein Welschlandjahr. Ich wollte stark und unabhängig werden, aber das Heimweh plagte mich sehr. In den Freundschaftsbüchern, die wir als Kinder untereinander austauschten, schrieb ich unter Berufswunsch immer: «Osterhase», da dieser Süssigkeiten verteilt. Während der Lehre als Confiseurin musste ich einige Monate pausieren wegen eines Burnouts. In dieser Zeit arbeitete ich auf dem Hof meiner Eltern mit und hatte viel Zeit zum Nachdenken und Lesen. Das war etwas vom Besten, was mir passieren konnte. Ich fand den Weg zur Spiritualität und entdeckte unter anderem, dass ich nicht das Zentrum der Welt bin. Glücklicherweise konnte ich meine Lehre erfolgreich beenden. Danach unternahm ich eine Pilgerreise von Homberg bis zum Cap Finisterre, ans «Ende der Welt». Ich glaube, dass die Lektüre des «Medicus» von Noah Gordon mich dazu inspiriert hatte, einfach mal loszulaufen.
Wo stehst du im Moment?
Ich befinde mich auf einer Reise durch die Welt. Begonnen hat sie in Santa Rosa, Peru.
Ich wollte sehen, wie Kakao wächst und verarbeitet wird und was die Kakaobauern für ein Leben führen. Die Schweizer Firma ChobaChoba, die dort produziert, überzeugt mich sehr, weil die Bauern an der Firma beteiligt sind und einen würdigen Lohn erhalten. Nun bin ich in Kanada und habe hier ein Haus, einen Garten und die Hunde gehütet. Die Hausbesitzerin ist seit einer Woche wieder da. Wir haben viel Spass zusammen, machen zum Beispiel Essiggurken ein, hüpfen in den See und klappern die Märkte ab. Ich möchte viel über mich, die Leute und die Welt lernen.
Auf meiner bisherigen Reise bin ich vielen hilfsbereiten und gastfreundlichen Menschen begegnet. Ich lerne zu vertrauen und gegebene Situationen anzunehmen, denn «erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt».
Wohin gehst du?
Meine letzte Station in Kanada ist Vancouver Island. Ende September fliege ich nach Japan und helfe in einem buddhistischen Tempel mit. Mein dortiges Hauptziel ist der Pilgerweg der 88 Tempel auf der Insel Shikoku. Weihnachten werde ich voraussichtlich in einem indischen Ashram verbringen, mit einer Freundin zusammen. Die jetzige Idee ist, im Februar nach Deutschland zu fliegen, dort mit meinem Freund circa zwei Monate zu wwoofen* und nachher nach Hause zurückzuwandern. Ich will herausfinden, was mich glücklich macht. Sicher möchte ich nicht alleine alt werden. Ich sehe ein schönes Bild vor mir: Eine Gruppe von Häusern, umgeben von Gärten und Wald. In jedem Haus lebt eine Familie oder eine Wohngemeinschaft. Sie versorgen sich weitgehend selbst. Einige gehen ihrem Beruf oder ihrer Berufung nach. Kinder zu haben wäre schön. Aber mein Glück soll nicht davon abhängen. Im Alter möchte ich, wenn möglich, immer noch meine täglichen 30 Hampelmänner machen und grüne Smoothies schlürfen.
*wwoofen = World-Wide Opportunities on Organic Farms, weltweit auf ökologischen Farmen arbeiten.