Eine kleine Geschichte der Traumdeutung
Wer ist Freud, was sagte Adler, warum waren die alten Griechen wichtig für die Traumdeutung? Ein paar Hintergründe dazu, von der griechischen Antike bis zur heutigen Forschung.
Alle sprechen darüber, aber wenige wissen genau, was Traumdeutung eigentlich ist. Das Wort «Oneirologie» (Traumdeutung) kommt aus dem Griechischen. Das Wort oneiros bedeutet nämlich so viel wie «Traum». Die Traumdeutung versucht, im Traum erlebte Bilder, Handlungen und Gefühle zu deuten.
Was die Griechen begannen….
Angefangen hat also alles im antiken Griechenland. Dort gab es viele Gelehrte, die sich mit dem Thema «Träumen» auseinandersetzten. Ein besonders bekannter «Traumdeuter» um etwa 800 vor Christus war das Orakel von Delphi. Die Menschen gingen davon aus, dass alle Träume Mitteilungen der Götter seien. Das Orakel half zur Entschlüsselung dieser göttlichen Botschaften. Von weit her pilgerten Menschen nach Delphi, um es zu befragen. Aristoteles, der in diesem Dialog spricht, wirkte erst etwa 400 Jahre später, doch war ihm die Geschichte Delphis bekannt, dessen Orakel bis in die Spätantike existierte. Er vertrat aber nicht die Auffassung, dass Träume direkt von den Göttern kommen. Er sprach ihnen eine praktische Funktion zu und sagte, dass die Bewegungen, die sich im Schlaf zeigten, Ursprung der Alltagshandlungen seien. Der Traum ist nach Aristoteles also wichtig, damit man sich auf alltägliche Handlungen vorbereiten kann.
…führten die Christen weiter…
Im Altertum sah man in den Träumen oft die Stimme Gottes. Der Traum enthielt eine wegleitende Botschaft. Das ist auch in der Bibel sichtbar, so zum Beispiel im ersten Buch Mose, wo Josef mit seiner Traumdeutung wichtige Ereignisse auslöste (Genesis. 41,1 folgende). Aus dem Gefängnis deutete er zwei Träume des Pharao. Dieser hatte von sieben mageren und sieben fetten Kühen geträumt und kurz danach von einer dürren und einer prallvollen Ähre. Beides deutete Josef als Warnung vor einer Hungersnot, worauf der Pharao ihn aus dem Gefängnis befreite und ihm die nötigen Vollmachten gab, um für Abhilfe zu sorgen.
…bis hin zur Deutung des Unbewussten
Die moderne Traumdeutung wurde 1900 von Sigmund Freud (1856-1939) begründet. Sein Buch «Die Traumdeutung» hatte enormen Einfluss. Freud sieht in den Träumen die verschlüsselte Form von Triebbedürfnissen, vor allem sexueller Art. Das «Über-Ich», die Instanz der verinnerlichten Normen, unterdrückt tagsüber unangepasste Triebbedürfnisse. In der Nacht lässt diese Kontrolle nach, und die Bedürfnisse dürfen sich melden, wenn auch in verschlüsselter Form. Freuds Methode der Entschlüsselung ist das freie Assoziieren. Die PatientInnen legen sich hin und sprechen alles unkontrolliert aus, was ihnen zum Traum (oder einem Symbol des Traumes) einfällt. Mit diesem Material, das aus Eindrücken aus der Kindheit und aus Tagesresten besteht, können Rückschlüsse auf den verborgenen Traumsinn gezogen werden.
Vom Adlertraining…
Auch Alfred Adler (1870-1937), der lange mit Sigmund Freud zusammenarbeitet, sich aber dann gegen dessen Sexualtheorien auflehnt, beschäftigt sich mit Träumen. Für ihn bestehen die Träume aus vorweggenommenen Elementen des zukünftigen Tages. Der Traum ist Training für kommende Aufgaben. Er probiert aus, wie man diese lösen könnte. Da die Realität nachts nicht korrigierend im Wege steht, kann die Lösung ganz nach den persönlichen Mustern ablaufen. Der Traum kann so helfen, diese Muster zu erkennen. Die Traumdeutung geschieht im offenen Gespräch. Adler analysiert die vorkommenden Muster und ermutigt dann den Menschen, die im Traum erscheinenden Aufgaben auf konstruktive Weise zu erledigen.
…zum malenden Jungianer…
Carl Gustav Jung (1875-1961) hat eine sehr differenzierte Traumlehre entwickelt: Der Traum ist Ausdruck einer konstruktiven Kraft, die den träumenden Menschen zur «Individuation», zur Entwicklung seiner Persönlichkeit führen will. Der Mensch kompensiert dabei einseitige Einstellungen im Denken und Handeln. Viele Träume sind Ausdruck des kollektiven Unbewussten und enthalten Ur-Symbole des Menschseins (sogenannte Archetypen). In Traumserien wird besonders deutlich, wohin die Träume zielen. Jung lässt die Patienten ihre Träume oft malen. Träume mit archetypischen Symbolen erläutert er durch Einbezug von Symbolen aus früheren Kulturen und Religionen.
…bis hin zu den kreativen Perls-Spielen
Fritz Perls (1893-1970) ist der Begründer der Gestalttherapie. Auch für ihn enthält der Traum sehr wichtige Botschaften. Alle Traumgegenstände sind dabei als Teil des träumenden Menschen aufzufassen. Dem entspricht seine Traumdeutung: Sie ist eine spielerische Auseinandersetzung mit den Traumsymbolen. Der oder die Träumende spricht mit den Elementen des Traumes, spielt mit ihnen, stellt sie auch selbst als Teil davon dar. Der Kreativität der Traumdeutung sind keine Grenzen gesetzt.
Heute gilt alles als «Eso»
Und wie sieht die Traumdeutung heute aus? Gibt man den Begriff im Internet ein, gelangt man auf Seiten, die viele Leute als «stark esoterisch angehaucht» bezeichnen würden. Die Traumdeutung als Disziplin, wie es sie früher gab: vom Aussterben bedroht? Heute scheint Traumdeutung eher etwas für Unterbeschäftigte zu sein, die im Internet Interpretationen zu ihren Träumen suchen oder sich einen Ratgeber zur Traumdeutung kaufen.
Zum Teil liegt dieser Trend bestimmt am raschen Erkenntnisgewinn durch die Neurowissenschaften: Diese ordnen immer häufiger dem Träumen nur zufällige Funktionen des Gehirns zu, statt tiefergehende Bedürfnisse. Es gibt aber in der Neurowissenschaft sehr viele Richtungen, und nicht alle sehen das Träumen als derart bedeutungslos an. In der Schlafforschung wird die Gehirnaktivität meistens mit Elektroden bei schlafenden Personen gemessen. So ist auf einem Bildschirm ersichtlich, was im Gehirn während des Schlafes vor sich geht. Man kann also heutzutage vieles messen – und somit wird es empirisch, also durch Erfahrung zugänglich.
Das Thema «Traum» bleibt auch in der heutigen Zeit spannend: Noch ist vieles dazu unbekannt, und manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als frei zu interpretieren und halt – wenn das nichts bringt – doch einen Ratgeber zu kaufen. Denn nicht alle Traumfragen können durch die Neurowissenschaften beantwortet werden. Auch wenn viele Traumfragen offen bleiben, ist es bereichernd, sie sich zu stellen.