Zum Einstieg haben wir uns zu vier Bildern sehr unterschiedlicher Art, mit zugehörigem Text, die Frage gestellt: Findest du das lustig? Prüfen auch Sie, liebe LeserInnen, an diesen Beispielen, was für einen Humor Sie sich selber zusprechen. (Aus unserem Kreis fügen wir nur je eine – eher ausgefallene – Reaktion bei.)
Wilhelm Busch: aus «Max und Moritz» (1865)
Klagt dieses tragische Bild die Massentierhaltung an?

Jacques Castelman: aus den «Objets introuvables» (1969)
Das beweist doch, dass der Mensch nichts Brauchbares schafft.

Oliver Ottitsch: im Nebelspalter (2019)
Soll Abtreiben hier salonfähig gemacht werden – oder: Warum haben sie abgetrieben?

Loriot (1960)
Macht er sich eher über die Hundehalter oder über Leute, die Hunde fürchten, lustig?

Nun also: Was finden wir lustig?
Im Grunde, meint Peter Gerber (89), können wir sozusagen jede Situation lustig finden – je nach Zeitpunkt, Umgebung oder Verfassung. Es geht um Gefühle, die sich entladen wollen. Auch kommt Lachen schneller als Überlegen; wir haben es nicht unter Kontrolle. Gut ist wohl, wenn man fähig ist, über sich selbst zu lachen. Das passiert Jovana Nikic (20) öfters; da sagt sie sich: «Wie blöd ist das, was ich gerade mache!» Seine Person oder seine Ansichten sollte niemand allzu ernst nehmen. Maurizio Piu (20): «Sich nie – oder immer ernst nehmen: Beides ist nicht gut.» Hierzu hat Jovana geschrieben:
Lächle, wenn du in den Spiegel schaust
Jovana Nikic (20): Als Kinder lachen wir unbeschwert über alles, aus der Seele heraus und ohne jegliche Bedeutung. Doch im Erwachsenenalter streben wir nach Erfolg, Beziehungen und vor allem danach zu erfahren, wer wir sind. Welches unsere Einstellungen gegenüber der Welt und der Gesellschaft seien. Um zu erkennen, wer wir sind, so glaube ich, reicht ein Blick auf unser Lachen. Dieses äussert nicht nur wie bei Kindern unsere Zufriedenheit; vielmehr sagt die Art, wie und worüber wir lachen, aus, wie wir zu uns selbst und der Gesellschaft stehen. Gerade unsere moralischen Ansichten und Prinzipien kristallisieren sich durch Humor heraus. Die Grenzen von Humor werden zu den Grenzen unserer moralischen Toleranz. Im Genre des schwarzen Humors werden wir uns unseres eigenen moralischen Toleranzbereiches bewusst.
Wir können die Welt nicht in schwarz und weiss unterteilen und genau so wenig den Humor, als Teil unserer Welt.
Jovana Nikic
Für mich stellt sich in diesem Zusammenhang aber eine wichtige Frage: Was sagt es über uns selbst aus, wenn wir diese Grenzen gar nicht oder sehr extrem wahrnehmen? Nehmen wir uns selbst zu ernst, wenn wir nicht über etwas lachen, weil wir wissen, dass wir das nicht dürfen? Oder ist es ein Beweis von Stärke, das Lachen zu unterdrücken, um mit seinen Moralvorstellungen im Reinen zu sein? Die Kunst ist es, so glaube ich, den Kontext eines Witzes zu erkennen und auf sich selbst zu hören. Wir können die Welt nicht in schwarz und weiss unterteilen und genau so wenig den Humor, als Teil unserer Welt. Worüber wir lachen dürfen, masse ich mir nicht an zu wissen, jedoch lade ich euch dazu ein, beim nächsten Lachen in den Spiegel zu schauen, denn dann kommt man dem Wunsch sich zu verstehen einen Schritt näher.
Das Zwischenmenschliche
Es kann ja durchaus nützlich sein, Situationen zu entspannen, indem ich sie ins Lustige, vielleicht Lächerliche wende. Natürlich gilt es da, die Beteiligten einzuschätzen. Leichter ist’s gegenüber Menschen, welche ich kenne, deren Reaktionen ich abzusehen vermag. Frage dich: «Fasst der Andere das, was ich vorbringe, so auf, wie ich’s meine?» – so Jorina Scheidegger (16). Eine Frage der Empathie. Denn jede, jeder hat seinen eigenen Humor. Lächeln und Lachen wirken aber auch ansteckend, oft völlig ohne Grund, weiss Maurizio.
Kann man sich Humor wohl aneignen, respektive jemanden dazu erziehen? In seiner Entwicklung wird ein Mensch das Wesen des Humors allmählich entdecken. Wir übernehmen vieles von Eltern, Verwandten, Freunden. Margrit Roth Stadler (73) dazu: «Einen wichtigen Einfluss hat die Ausstrahlung humorvoller Personen auf mich. Und: mit mir selbst im Einklang zu sein.» Oft sehen wir bei benachteiligten, armen Menschen, ja Völkern eine Fröhlichkeit, die uns abgeht. «Schaut ein Kind an, das sich freut, wenn es in einer Pfütze steht», sagt Peter. Humorvolle Menschen haben etwas Spielerisches, so Margrit. Nochmals Peter: «Humor, so kommt es mir vor: ein Tor zur unendlichen Leichtigkeit des Seins.»
Wo es kritisch wird
«Wenn man über eine Person lacht, wird sie herabgesetzt. So läuft Mobbing», mahnt Jovana. Da kommen wir auf Männer und Frauen zu reden. Die Männer: Einerseits kehren sie oft eine Würde hervor, geben sich ernsthaft, präsentieren sich. Vielleicht um ihre Verletzlichkeit zu verbergen, vermutet Jorina. Andrerseits können sie sich grob, unanständig äussern – auch eine Art von Humor –, gerade über oder gegenüber Frauen. Ob’s ihnen dabei wohl ist? Öfters hört man in ihren Runden sagen: «Das ist nicht so schlimm, wir sind unter Männern.» Es hat Tradition, Frauen lächerlich zu machen. Und die sollen dann gar mitlachen. Sind sie noch immer zu «gut» erzogen, um sich zu wehren? Haben sie gelernt, sich zurückzuhalten?
Der Frauenstreik dient als Beispiel. Männer reagierten gern mit Abwehr – oder mit Witzen. Etwa so: Ein Bild zeigt eine leere Autobahn. Erklärung? Es ist Frauenstreik – es gibt keinen Stau. Müssen wir, bei «allgemeiner Heiterkeit», alles lustig finden? Die Frage sollten sich nicht nur Frauen stellen. Jorina hat noch weitere Beispiele geliefert:
Humor im Klassenzimmer(?)
Jorina Scheidegger (16): Am Montagmorgen findet wöchentlich der Institutionskundeunterricht statt. Der Lehrer meint: «Habt ihr gewusst, dass in den USA eine Frau nur Auto fahren darf, wenn ein Mann mit roten Fahnen voraus geht und alle warnt?» Während er dies erzählt, lacht er laut. Die Horde männlicher Jugendlicher lacht dabei natürlich mit. «Ja also wirklich, das sollte man in der Schweiz auch einführen», meint einer. Weitere Witze über Frauen folgen: «Frauen haben kleinere Füsse, damit sie näher beim Herd sein können.» Ich sitze verdutzt da, ohne einen blassen Schimmer davon, was ich nun sagen soll. Ich bin sprachlos.
Früher und heute
Humor müsste etwas Zeitloses sein. Dennoch spüren wir Unterschiede auf beim Verständnis von «produziertem Humor». So hätten viele Cabaret-Nummern von damals grosse Mühe, bei heutiger Jugend anzukommen. Die Formen haben sich auch gewandelt: Heute dominiert der Einzelauftritt, der (Stand-up-)Comedian; und da überwiegen wieder die Männer. Deutlicher zeigt sich Neues jedoch in den Medien – jetzt eben in den «Sozialen». Die anwesenden Jungen geben uns Älteren Nachhilfe an einigen Beispielen; wir erschrecken über ein bedenkliches Niveau, über Härte, Unverfrorenheit. «Stephen Hawking als Stuhl» – ein Meme: «Da gibt es noch ganz anderes!», verraten sie. Das hat wohl mit dem Charakter derartiger Kanäle zu tun: Ich bekomme unendlich viel Material, ständig, ich stumpfe wohl ab. Gesucht wird das Billige und Krasse, das bestimmt ein grosses Publikum findet. Margrit schreibt uns dazu:
Humor und Haarfarbe
Margrit Roth Stadler (73): Als Wahl-Baslerin würde ich in einer Fasnachts-Clique in der alten Garde mitlaufen. Mit dunklen Haaren lachte ich damals gerne über feinen Humor oder verulkte Alltagssituationen. Mit grauen Haaren schmunzle ich über Botschaften, verpackt in Situationen mit Sprechblasen-Texten. Ich realisiere, dass heutiger Humor keine Grenzen und Tabus mehr kennt.
Soll ich – darf ich – muss ich darüber lachen?
Margrit Roth Stadler
Es flattern mir Bildchen über Schwerstbehinderte und Menschen jeglicher Religion und Couleur zu. Kabarettisten müssen heute mit Morddrohungen leben. Als graue Pantherin schüttle ich darob den Kopf – es überschreitet meine persönliche Grenze. Ich kann darüber nicht lachen. Da wären noch die Bildchen mit sexistischem Inhalt. Früher waren es meist grün gewandete Männer, die hinter Biergläsern solches zum Besten gaben. Mit dunklen Haaren fragte ich mich auch: Soll ich – darf ich – muss ich darüber lachen?
Heute stelle ich die Frage anders: «Warum habe ich mitgelacht?» Ist der Humor wirklich so anders geworden, wie ich mir anfangs gedacht habe?
Geben wir das Schlusswort aber Peter: «Ds Wort Hu – mor schnufet zersch i – nächär chräftig us.»