Ich treffe Mirko Buri (36) mit seinem Geschäftspartner Pierre-Yves Bernasconi (41) und ihrem Team in Köniz, im No-Food-Waste-Restaurant. Mirko ist ein leidenschaftlicher Koch, ein offener, neugieriger und vielseitiger Mensch und als No-Food-Waste-Pionier mit Herzblut unterwegs. Er hat sich die Vermeidung von Nahrungsmittelabfällen zum Lebensziel gemacht. Der gelernte Servicefachangestellte und Koch arbeitete in der Spitzengastronomie in Interlaken, Gstaad und Honolulu. Dabei gewann er internationale Auszeichnungen. All dies hängte Mirko an den Nagel und gründete das Unternehmen «Mein Küchenchef».
Idee und Herzensangelegenheit
Mirko entwickelte seine Idee zu Hause. Als er den Film «Taste the Waste» zum ersten Mal sah, realisierte er, dass er mit seiner langjährigen Erfahrung und seinem enormen Wissen mehr für unsere Umwelt und Zukunft tun könnte. Es genügte ihm nicht mehr, als Koch in der 4-Sterne-Hotellerie tätig zu sein und internationale Auszeichnungen einzuheimsen. Sein Traum und seine Herzensangelegenheit wurden Realität. Die Firma «Mein Küchenchef» war geboren.
Mirkos Idee: «Mein Küchenchef» geht für dich aufs Feld, zu den Bauern, kauft überschüssige oder aussortierte Ware ein, verarbeitet, kocht und kreiert ein Non-Waste-Fertiggericht. Er habe Pierre-Yves, seinen Geschäftspartner, und dessen Schwager vor vielen Jahren kennengelernt, sagt Mirko. Pierre-Yves habe er das erste Mal im Coop Bethlehem getroffen, als dieser ihm die ersten Rollerblades verkaufte. Die Beiden fanden sofort den Draht zueinander. Pierre-Yves arbeitete damals in verschiedenen Fachmärkten. Er hatte als Geschäftsführer oft lange Arbeitszeiten. Daher war ihm sehr wichtig, auch spätabends noch frisch Zubereitetes essen zu können, was natürlich viel Zeit in Anspruch nahm. Pierre-Yves fand «Mein Küchenchef» eine super Idee. So kam es, dass er Mirkos erster Kunde wurde. Pierre-Yves, der auch sehr gerne kocht, und Mirko fuhren zusammen zu Bauernhöfen im Berner Seeland, kauften überschüssige Produkte ein, die sie daheim verwerteten. Alle zwei Wochen, jeweils am Sonntag, kochten sie zusammen und packten die vorgekochten Portionen ab. So konnten sie in der kommenden Woche ihr Abendessen jeweils einfach und schnell zubereiten.
Leidenschaft und Inspiration
Mirko erzählte mir, dass er seine Ideen und Inspirationen auf dem Feld und aus dem Kontakt mit vielen spannenden Menschen schöpft – einfach überall. Auf meine Frage, wann er mal einfach abschalte, lächelt Mirko verschmitzt, steht auf und kommt mit einem langen Brett auf vier Rädern zurück. Das Longboard sei seine grosse Leidenschaft, sagt er und düst damit wie ein kleiner Junge über den asphaltierten Vorplatz seines Restaurants. Mirko liebt es, in der wenigen Zeit, die er für sich hat, einfach durch die Natur zu boarden, mal abzuschalten und zu geniessen.
«Mein Küchenchef» kocht für die «Lesbar», das Naturhistorische Museum und den Gmüesgarte in Bern, den Düby- Spielplatz, die Tagesschule in Oberscherli und für 40 Privathaushalte. Das sind in Bern über sechs Betriebe mit 280 Mahlzeiten jeden Tag. Mirko arbeitet im Verein United Against Food Waste mit, führt Weiterbildungen für über 300 GastronomInnen pro Jahr durch, unterrichtet in Spitalküchen, in Senevita-Altersheimbetrieben, in Gefängnissen. Zudem begleitet und optimiert er bestehende Küchenstrukturen – motiviert und überzeugt von seiner No-Food-Waste-Philosophie. Mit einem weiteren Standbein «Foodoo» bietet er mit seinem sozialen Engagement Arbeitsplätze für Menschen in der Stiftung TRANSfair in Thun an. Mirko ist Pionier und will sein Wissen überall weitergeben. Seine Leidenschaft, sein Herzblut und seine Mission teilt er im direkten Kontakt mit seinen Gästen und andern interessierten Menschen. Er richtet sich an die LeserInnen von Magazinen und Büchern zu diesem Thema, an BäuerInnen, an FreundInnen und seine Familie. Nachhaltigkeit ist für Mirko ein immerwährender Prozess des Umdenkens. Wenn die Menschen ihr Bewusstsein stärken, tragen alle zu einer besseren Zukunft bei, ist seine Überzeugung. Das Ziel von Non Food Waste ist es, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren.
Vision der Nachhaltigkeit
Mirko erzählt, dass eigentlich kein Tag gleich ablaufe. Neben Rüsten, Kochen, Erzählen, dem Weitergeben von Erfahrung, gebe er Interviews und berichte an Team-Events von seiner Philosophie. Jede Woche bespreche und plane er mit Alain, dem eigenständigen Einkäufer, die Wochenbestellung. Alain fahre dann jeweils von Hof zu Hof, vorwiegend im Kanton Bern und im Berner Seeland, um das Nötige zu kaufen. Sie arbeiten mit 40 BäuerInnen und ProduzentInnen zusammen. Jeweils am Dienstagmittag fahre Alain dann mit der bestellten Ware und einer sogenannten Überraschungskiste zu ihnen nach Köniz.
Einmal im Monat ist für alle MitarbeiterInnen Feldarbeit angesagt.
Das Konzept funktioniert so, dass Alain die bestellte Ware zum normalen Preis bei den ProduzentInnen einkauft. Für den Food-Waste-Einkauf hat er dann die Erlaubnis, im so genannten «Überschuss-Frischwaren-Abfall-Container» einen Teil kostengünstig oder manchmal auch kostenlos mitzunehmen: Das ist dann die nicht bestellte Überraschungskiste. Mirko bezahlt Alain für die bestellte Food-Waste-Ware. Mit der Food-Waste-Marge bekommt Alain so seine Kosten und seine Arbeit bezahlt. Mirko trifft sich regelmässig mit den Bauern zum Mittagessen und Austausch über die angebotenen Produkte. Er übernimmt auch die Koordination und entscheidet, wieviel er den Bauern abnehmen kann.
Einmal im Monat ist Feldarbeit angesagt. Alle MitarbeiterInnen müssen auch einmal pro Monat zu seinen LieferantInnen. So sind sie sehr nahe bei den Produkten, lernen diese und die Prozessabläufe besser kennen. Dazu gehört auch das Misten im Stall. Kindheitserinnerungen und gute Vorsätze
Kindheitserinnerungen und gute Vorsätze
Wichtig sei ihm, so Mirko, sich auch jeden Tag während der Arbeit mit seinen MitarbeiterInnen in der Küche auszutauschen: über ihre Philosophie, die Verschwendung von Lebensmitteln und über die Wertschöpfungsprozesse. Das Thema Non Waste sei ihnen ein grosses Anliegen und werde von allen im Betrieb gelebt. So bräuchten sie für den Abfall pro Tag nur einen 35-Liter- Abfallsack: für den ganzen Betrieb, für Büro, Küche und Laden. Das sei einmalig und «ultra wenig».
Eine Kindheitserinnerung zum Thema Food Waste ist Mirko im Gedächtnis geblieben. Als seine Mami im Frühling jeweils die Ernährung umstellen und wieder gesünder essen wollte, kaufte sie viel Gemüse ein, welches sie dann nicht alles verbrauchte. Mit seinen 16 Jahren wusste Mirko schon, dass er dies besser konnte und schlug seiner Mami vor, dass sie ihm das Geld zum Einkaufen geben solle und er das, was übrig bleibe, als Taschengeld bekomme. Er hatte schon da durchschaut, dass seine Mami gesund zu essen versuchte, das aber im Alltag nicht umsetzen konnte. Nach dem Motto: «Jetzt kochen wir viel Gemüse, aber…».
Mirko würde in seiner Vergangenheit nichts verändern wollen. Es hätte alles so gebraucht, die Lehre, die Ausbildungen, die höheren Fachprüfungen, die Erfahrungen im Ausland und in der gehobenen Gastronomie. Jetzt fühle es sich genau so an, als wäre dies alles eine gute Vorbereitung auf sein jetziges Lebenswerk und seine Leidenschaft gewesen.
Müll und Energieersparnis
Gekocht wird mit dem Sous-Vide-Verfahren, um die zubereiteten Lebensmittel länger haltbar zu machen und wiederzuverwenden. Die Verpackung ist aus Plastik, da es zurzeit noch keine Alternative für dieses Verfahren gibt. Durch die Haltbarkeit bleibt die ganze Wertschöpfungskette voll erhalten. So werden die Liefermengen reduziert und es muss nichts weggeworfen werden. «Mein Küchenchef» führt auch Produkte im Glas. Auf den ersten Blick ist Glas nachhaltig, auf den zweiten Blick weniger. Es kommt immer darauf an, von wo aus man es betrachtet. Diese Gläser müssen alle durch einen Reinigungsprozess, es braucht mehr Seife, Energie zum Sterilisieren und Strom für den Ofen. Eigene Studien hätten aber gezeigt, dass durch das Haltbarmachen 20 Prozent der Ressourcen eingespart werden können. Zudem wird Solarstrom genutzt, und die überschüssige Küchenwärme heizt das Restaurant.
Jeder von uns
Mirko wünscht sich, dass jeder und jede von uns «häreluegt» und das Bewusstsein schärft, denn (No-)Food-Waste betreffe uns alle.