Manuela: Du sag mal, Werner, worüber hast du dir heute Morgen beim Frühstück Gedanken gemacht?
Werner: Eher belastete Gedanken, Manuela. Ich erfuhr gestern, dass mein dreizehn Jahre jüngerer Bruder, der ohnehin schon an grossen Beschwerden litt, nun auch noch die Diagnose Pankreaskrebs bekam.
Manuela: Oh, das tut mir sehr leid, lieber Werner. Ich wünsche ihm von Herzen alles erdenklich Gute. Ich finde, solche Nachrichten lösen immer ein Gefühl von Sprachlosigkeit und Ohnmacht aus. Wie gehst du mit solchen Nachrichten um? Findest du in solchen Momenten irgendwo Halt und Trost?
Werner: Das Wort «Sprachlosigkeit» trifft es gut. Alles, was man sagen will, kommt einem hilflos vor. Da muss ich es zuerst einmal wirken lassen. Mit meiner Frau darüber sprechen. Später mit dem Bruder selber sprechen. Und den Gedanken an die Begrenztheit unseres Lebens in mir Raum geben.
Manuela: Ich finde es schön, dass du diesem Gefühl und den Gedanken, die damit verbunden sind, Raum gibst. Mir hilft es dann oft, über meine Sprachlosigkeit oder Hilflosigkeit zu schreiben. In mir entsteht dann langsam Raum für andere Gedanken und ich beginne wieder über die grossen und kleinen Dinge im Leben zu staunen. Nicht anstelle der Traurigkeit, aber als Gefühl, das daneben existieren darf.
Werner: Gestern fragte mich jemand, wie ich reagiere, wenn ich an meinen eigenen Tod erinnert werde. Ich sagte, als erstes komme mir in den Sinn, dass ich 85 weitgehend gute Jahre hinter mir habe und ich damit eigentlich zufrieden sein darf. Aber die andere Frage ist, wie die letzten Jahre sich noch gestalten werden. Und da hat es mein Bruder viel schwerer als ich. Schmerzen und Einschränkungen warten auf ihn.
Manuela: Dieses Nebeneinander von Dankbarkeit für das, was war und ist und der Ungewissheit, wie es in Zukunft sein wird, ist tatsächlich etwas, was ich herausfordernd finde. Einerseits hat es etwas Beruhigendes und Versöhnliches an sich und andererseits etwas Beängstigendes. Aber ich denke, der Schlüssel ist – wie wir schon öfter festgestellt haben – den Fokus auf den jetzigen Moment zu richten.
Werner: Das finde ich eine weise Aussage. Doch manchmal ist gerade der Moment schwierig und belastet. Dann hilft vielleicht wieder die Übersicht über das ganze Leben, das doch so viel Gutes enthielt.
Manuela: Ja, das stimmt. Wir tragen jeden Tag einen Rucksack voller wertvoller und wundervoller Erinnerungen mit uns herum, derer wir uns vielleicht zu selten bewusst sind.
Werner: Du bist noch viel jünger als ich, Manuela. Beschäftigen dich Fragen über Begrenztheit und Endlichkeit auch gelegentlich?
Manuela: Ja, diese Gedanken beschäftigen mich auch. Weniger in Bezug auf mich als auf geliebte Menschen in meinem Leben. Eine Freundin von mir ist Palliativpatientin – da ist eine Beschäftigung mit solchen Fragen unumgänglich.
Werner: Ich danke dir, Manuela, für das Gespräch. Es hat mir gutgetan.
In der neuen Rubrik «Du sag mal…» stellen sich eine junge und eine ältere Person gegenseitig Fragen, die sie gerade beschäftigen, und tauchen ein in die Gedankenwelt des Gegenübers.