Fabi und ich grinsen uns vorfreudig an. Unsere Augen sind noch schläfrig. Es ist noch früh am Morgen des 10. April 2016, Zürich Flughafen. Ein kurzer Moment aufregender Schwerelosigkeit, als das Flugzeug abhebt. Für meine Freundin Fabienne Zimmermann und mich beginnt ein neues Abenteuer. Ein ganzer Monat Japan wartet auf uns. Next stop: Tokyo.
Genaues Planen im Voraus kam für uns beide Spontanitätsliebenden nicht in Frage. Unser Weg führte dort durch, wo wir eine Bleibe fanden. Japanische Austauschschüler, die während meines Auslandjahres in Costa Rica meine Freunde geworden waren, beherbergten uns für ein paar Nächte. Auch eine Japanerin, die für ein Jahr bei mir in Zweisimmen gewohnt hatte, nahm uns eine ganze Woche bei sich auf.
Die restlichen Nächte organisierten wir über Couchsurfing. So konnten wir eine Menge Geld sparen und mussten nur zwei von insgesamt 28 Nächten in einer Herberge übernachten.
Unsere Route führte uns dank Railpass durch weite Teile Japans. Nach vier Tagen Tokyo ging es nach Shin Sanda, ein kleines verschlafenes Kaff in der Nähe von Kobe. Dort wohnt eine Freundin von mir, die uns für zwei Nächte in ihrem Landhaus aufnahm. Die Häuser auf dem Land sind gross und weiträumig und die Natur überwältigend nach einer Riesenstadt wie Tokyo. Dann machte uns das Erdbeben von Kyushu einen Strich durch die Rechnung und wir konnten nicht wie geplant den Süden bereisen. Spontanerweise landeten wir in Kanazawa (Goldfluss), wo wir zwei Nächte in einem Guesthouse blieben. Im neu eröffneten Guesthouse Stella waren wir die allerersten Gäste überhaupt. Der Besitzer Shuji war ganz aufgeregt und wollte uns jeden Wunsch erfüllen.
Kanazawa ist ein Ort, der vom Tourismus lebt. Das Castle, umgeben von einem traditionellen japanischen Garten, die Geishas und das Samurai–Viertel locken Besucher aus der ganzen Welt an. Das Städtchen ist auch für seinen exzellenten Grüntee bekannt. Shuji organisierte auf unser Interesse hin sogar eine kleine Teezeremonie.
Von Kanazawa ging es weiter in die Präfektur Nagano, wo ein Couchsurfing-Pärchen uns für zwei Nächte in ihrem traditionellen japanischen Haus aufnahm. Sie zeigten uns wunderschöne Plätze mit Sakura (Kirschblütenbäumen) und ein Onsen (vulkanisch gespiesene Thermalquelle). Mit ihnen besuchten wir eine Papierfabrik, wo wir unsere eigenen japanischen Postkarten schöpften. Von dort ging unsere Reise nach Kyoto, wo wir eine ganze Woche blieben und Tagesausflüge nach Nara, Osaka und Hiroshima unternahmen.
Hiromi (sie) und Iwami nahmen uns zwei Nächte bei sich zuhause auf und zeigten uns ihre Region (Präfektur Nagano). Sie bieten Couchsurfing erst seit einigen Monaten an und geniessen den interkulturellen Austausch.
Hiroshima
Als wir uns durch die lebhafte Stadt bewegten, konnten wir uns nicht vorstellen, dass hier vor 71 Jahren die erste Atombombe abgeworfen wurde. Die Bombe wurde in 600 Metern Höhe gezündet, damit die Explosion sich möglichst weit ausbreitete. Von insgesamt 50 Gramm Uranium ist nur 1 Gramm explodiert. 80’000 Menschen starben sofort, die Zahl stieg auf geschätzte 166’000 an, da Unzählige den Spätfolgen erlagen. Die Erdoberfläche erwärmte sich auf 3000 bis 4000 Grad Celsius, worauf die ganze umliegende Stadt in Flammen aufging. Das einzige Gebäude, welches an die menschliche Gräueltat erinnert, ist das Mahnmal eines Doms, der seither unverändert stehen blieb. Das Museum nebenan ist eindrücklich. Wer Japan besucht, darf es nicht auslassen, diesen Ort zu besuchen. Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, wie gross die Verwüstung und das Leid in Hiroshima nach dem Bombenabwurf war. Als erster Amerikanischer Präsident wird Barack Obama Hiroshima in den nächsten Wochen besuchen. Unfassbar: Weltweit gibt es nach wie vor über 15’000 registrierte Atomwaffen! Allen voran in den USA und Russland, dicht gefolgt von Frankreich und Grossbritanien.
Nächster Halt war Morioka, eine untouristische Stadt im Norden. Von dort machten wir einen zweitägigen Abstecher nach Sapporo, die fünftgrösste Stadt des Landes. Sapporo liegt auf der Nordinsel Hokkaido. Ein Shinkansen durchquert das Meer in einem Unterwassertunnel. Hokkaido ist definitiv ein längerer Besuch wert, am liebsten wäre ich ein paar Wochen dort geblieben. Die Natur ist atemberaubend. Hohe Schneeberge ragen hinter steppenartigen Stränden des japanischen Ozeans in die Höhe und bieten eine prächtige Kulisse.
Für die letzten Tage kehrten wir nach Tokyo zurück. Von da machten wir einen Ausflug nach Lake Kawagutchiko im Gebiet der fünf Seen. Das war eines der schönsten Erlebnisse unserer Reise. Dort kann man den höchsten Berg Japans, Mount Fuji (3776 müM) bestaunen, der als perfekt symmetrischer Kegel in die Höhe wächst. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages im Sommer nach Japan zurückkehren kann, um diesen magischen Berg zu besteigen.
Unsere Reiseroute. Wer darauf klickt kann sie sich noch genauer ansehen.
JPY Japanische Yen
Japan ist ein teures Land! Beispielsweise eine Nacht in einem Mehrbettzimmer eines Guesthouse kostete uns 30 Franken pro Person. Das Essen im Supermarkt ist etwa gleich teuer wie in der Schweiz, produkteabhängig. Brot, Teigwaren, frisches Gemüse und Früchte sind teuer, während der Fisch und Reis natürlich billig sind. Essen im Restaurant kann man für 1000 bis 2000 YEN, das sind 10 bis 20 Franken. So haben wir es uns gutgehen lassen und die asiatische Gastronomie genossen. Das ist übrigens Teil der dortigen Kultur. Mit Freunden, Arbeitskollegen, Familie und sogar alleine gehen die JapanerInnen mehrmals pro Woche auswärts essen.
Gohan – Von Reis, Miso – Soup und Nudeln
Das japanische Essen besteht vor allem aus Reis (gohan), Fisch, Fleisch, Soja, Algen und Meeresfrüchten. Aus diesen Grundnahrungsmitteln gibt allerlei Kombinationen. Miso- Soup ist traditioneller Bestandteil jeder japanischen Mahlzeit. Die Miso Paste wird aus Sojabohnen, Salz und einer speziellen Art Hefe gemacht. Sie wird wie unser Hartkäse jahrelang gelagert und je älter sie ist, desto stärker wird der Geschmack. Man verfeinert die Suppe dann mit regionalem und saisonalem Gemüsen, Tofu oder Meeresfrüchten. Getrunken wird ungesüsster Grüntee, Weizen- oder Oolong Tee. Das Essen mit Stäbchen ist sehr viel leichter als ich es mir vorgestellt habe, da der Reis sehr klebrig ist und fast von selbst an den Stäbchen haftet. Mein Favorit: Tempura, Gemüse und Meeresfrüchte werden nur sehr spärlich frittiert. Die Nahrungsmittel verlieren bei dieser Verarbeitung fast nichts von ihrem Eigengeschmack und bleiben frisch und saftig.
AusländerInnen – Gajin
Es ist wirklich auffallend, wie wenig Andersfarbige wir unter den japanischen Gesichtern ausfindig machen konnten. Tatsächlich: Nur zwei von gesamt 126 Millionen Menschen sind AusländerInnen. Das sind 1.7 Prozent. Warum die tiefe Quote? Die japanischen PolitikerInnen vertreten die Ansicht, dass die eigene Bevölkerung die Arbeitsplätze in ihrem Land besetzen soll. So kann Arbeitslosigkeit vermieden werden. Im Jahr 2016 waren nur 3.4 Prozent der JapanerInnen arbeitslos. Lustig; alle Emigranten, die wir auf unserer Reise angetroffen haben, hatten die gleiche Beschäftigung: Englischlehrer.
Der Inselstaat nimmt auch kaum Asylsuchende auf. Im Jahr 2014 erbaten rund 5000 Personen um Asyl, davon wurden nur gerade elf angenommen. Die Bedingungen, die ein Flüchtling erfüllen muss, sind fast unmöglich zu erreichen. So bleiben die JapanerInnen allein mit dem Problem einer überalternder Gesellschaft und mit zu wenig Nachwuchs.
Kinderlose Familien
Als junges Ehepaar in Japan eine Familie zu gründen ist eine mutige Entscheidung. Die Arbeitswoche ist sechs Tage lang und Ferien sind auf zwei Wochen pro Jahr reduziert. Viele Japaner pendeln eine Stunde oder mehr zu ihrem Arbeitsplatz, wo sie dann bis abends spät bleiben, da niemand geht, bevor jeder Einzelne im Betrieb mit seinen Aufgaben fertig ist. Dies vor allem aus Solidarität zu den Mitarbeitern und um selber nicht als faul dazustehen. Die Aufgaben im Haus fallen noch immer mehrheitlich der Frau zu. Es wird erwartet, dass die Frauen arbeiten. Prozentstellen sind nicht verbreitet. Ein Platz in der Kinderkrippe zu bekommen ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit und fast unbezahlbar. Der Platzmangel kommt noch hinzu: die Häuser sind klein, die Mieten hoch, besonders in Metropolen wie Tokyo. Viele Ehepaare bleiben aus diesen Gründen kinderlos. Dies reitet Japan mehr und mehr in eine ökonomische Krise: Auf der einen Seite stehen immer mehr Rentenbezüger – auf der anderen Seite immer weniger ArbeiterInnen.
Toiletten mit Sitzheizungen und Spülprogrammen
Japan ist weltweit das sicherste Land. In überfüllten U-Bahnen blitzen Handys und Brieftaschen aus Jeanstaschen, für Diebe ein gefundenes Fressen. Unsere Freundin aus Tokyo sagt, sie habe schon zwei Mal ihr Handy im Zug liegenlassen und es noch am gleichen Tag im Fundbüro abholen können. Der zwischenmenschliche Umgang im öffentlichen Raum ist sehr distanziert. Auch die Männer. Kommentare oder Blicke, die man als ausländische Frau in vielen Ländern auffängt, spürten wir in Japan nicht. Die Grundregel für alle JapanerInnen ist: «Never disturb» also «Störe niemanden!». Diese ungeschriebene Regel zieht sich durch alle Lebensbereiche. Es geht sogar so weit, dass auf den modernen Toiletten sobald man sich setzt ein Wasserrauschgeräusch losgeht, damit die Person in der Kabine nebenan auch ja nichts hört wenn man sein Geschäft erledigt.
Toiletten sind sowieso eine amüsante Erscheinung in Japan. Neben der automatischen Sitzheizung gibt es noch viele weitere Knöpfe für Spülprogramme oder Musik, Lautstärke verstellbar. Öffentliche Toiletten gibt es an jeder Ecke. Sie sind immer gratis und das Hahnenwasser ist überall trinkbar.
Shinkansen by Japan Railpass
Da man diese nur aus dem Ausland bestellen kann, haben wir im Vorfeld einen sogenannten Japan Railpass bestellt, der uns 21 Tage den Gebrauch aller Hochgeschwindigkeitszüge (Shinkansen) und aller JapanRail (JR) Linien zusicherte. Dieses 21 Tage Generalabonnoment für Japan (498 Franken) würde ich jedem weiterempfehlen. Die Shinkansen werden von der gleichen Firma hergestellt wie die TGVs und fahren mit einer Geschwindigkeit von circa 300 Kilometern pro Stunde. So kommt man in einem Tag fast durch ganz Japan. Die Züge fahren ultrapünktlich und sind extrem komfortabel. Fast alle restlichen Züge sind im JR angeschlossen, vergleichbar mit dem Netz der SBB in der Schweiz.
Couchsurfing
Ist eine Internetplattform, auf der man Reisenden gratis sein Sofa anbietet. Das können Familien, Einzelpersonen, Ehepaare, Alte oder Junge sein. Wer gerne Gäste aufnimmt, kann sich anmelden. Wie kann man sichergerhen, dass man nicht an komische Leute gerät? Die Profile sind fast immer sehr ausführlich und mit Fotos ausgestattet. Ebenfalls muss angegeben sein, ob man in einem Zimmer für sich schlafen kann, oder ob man sich das Zimmer mit dem Gastgeber teilen muss. Ausserdem hinterlassen frühere Gäste Kommentare, worin sie den Gastgeber und ihren Aufenthalt beschreiben. Es kann auch gefiltert gesucht werden. So werden zum Beispiel nur weibliche Anbieter angezeigt. Meistens schläft man dann nicht wortwörtlich auf einem Sofa, sondern es werden Betten oder in Japan Futons (matrazenartige Unterlagen) bereitgestellt. Wir machten unglaublich tolle Erfahrungen mit vier verschiedenen Hosts. Die Gastgeber gaben sich stets wahnsinnig Mühe, uns Japan von seiner besten Seite zu zeigen. Sie nahmen uns auf Ausflüge mit, wo wir als Touristen niemals hingekommen wären. Beispielsweise zu abgeschiedenen Thermalbädern inmitten der japanischen Voralpen, die man nur per Auto erreicht.
Die Autorin
Sarah Liebi (20) war in diesem Frühling in Japan. Weitere Berichte von der UND-Autorin gibt’s hier.
Danke für den spannenden und informativen Bericht – habe ich gerne gelesen. Jürg