Zusammen mit 13 TeilnehmerInnen gab es im April eine fesselnde Zoom-Besprechung. Dabei stellten sie sich die Frage «Was glaubst du (noch)?». Ein generationendurchmischtes Quartett hat sich erneut mit einigen Punkten auseinandergesetzt, entstanden ist diese Diskussion in Text und Ton.
Was glaube ich?
Werner: Die Frage nach dem, was wahr und richtig ist, beschäftigt mich seit meinem 16. Lebensjahr. Manchmal kommt mir mein Leben vor wie ein Forschungsprojekt zu dieser Frage. Immer mehr traten die theoretischen Fragen wie «Gibt es Gott?», «Hat das Christentum recht?» und so weiter zurück hinter die Frage «Worum geht es in meinem Leben?» Anders gesagt: Ich vollzog eine innere Reise von fundamentalistischen Vorgaben zu einem Lebensentwurf aus Freiheit.
Géraldine: Für mich ist es einfacher, damit zu beginnen, was ich nicht glaube. Ich glaube an keinen Gott, nicht an Allah oder Buddha und auch an keine höhere Macht. In anderen Worten, ich verspüre keine Verbindung zu vorher genannten Quellen. Die Tatsache, dass wir in vielen Bereichen und Situationen unwissend und ratlos sind, empfinde ich als Motivation, im Leben neugierig und aufgeschlossen weiterzugehen, immer der Antwort auf der Spur.
Ein Gott hätte doch kein solches Chaos, Kriege und sogar den Holocaust zulassen können.
Annemarie (75)
Annemarie: Als Kind hätte ich gerne fromm sein wollen, was gleichbedeutend gewesen wäre, wie ein guter Mensch zu sein. Die Geschichten der Bibel haben mich fasziniert, da passierten Wunder über Wunder. Gott half den Schwachen, beschützte die Guten und strafte die Sünder. Aber bereits als Jugendliche konnte ich keinen Gottesglauben mehr finden, weil sonst die Welt ein besserer Ort hätte sein müssen. Ein Gott hätte doch kein solches Chaos, Kriege und sogar den Holocaust zulassen können. Ich fand aber nach und nach einen Weg, trotzdem Vertrauen ins Leben zu finden und ohne Angst leben zu können.
Elias: Ich glaube an Gott. Diesen Satz will ich sagen können – tue es aber selten. Warum? Sowohl «Glaube» als auch «Gott» sind Worte, die jede und jeder anders definiert. Bei vielen sind die Begriffe belastet. Was?! Du denkst, dass es den bärtigen Mann über den Wolken gibt? Was?! Du wendest dich von der Wissenschaft ab? Was?! Nein, natürlich nicht! Doch merke ich, dass ich glauben will. Dabei geht es mir weniger darum, woran ich glaube, wichtig ist mir eher, dass ich glaube. Glauben verstehe ich nicht als Katalog von Dogmen, glauben ist für mich eher eine Praxis, ein Tun.
Was ist der Glaube?
Werner: Da gibt es die Welt der Fakten. Alles, was ist, was greifbar ist, was manipulierbar ist, was die Naturwissenschaften beschreiben. Alles interessant, aber es nährt mein Leben nicht. Es gibt mir Wissen, aber nicht Sinn. Sinn beginnt erst mit Werten, die darüber hinausweisen: Liebe, Güte, Schönheit, Geborgenheit, Tiefe. Mich davon inspirieren zu lassen und sie im Leben umzusetzen, das ist für mich Glaube. Und das ist es meiner Meinung auch, was die Religionen in der Form symbolischer Erzählungen ausdrücken wollen.
Géraldine: Ich glaube, der Glaube ist ein Entscheidungshelfer. In einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten suchen wir offensichtlich nach Orientierung. Wie wir uns orientieren und Entscheidungen treffen, ist individueller Natur. Ich behaupte von mir, dass meine Entscheidungen stark geprägt sind durch mein Vertrauen in meinen Glauben. Meinen Glauben an die Liebe.
Annemarie: Es ist einfacher für mich, ohne Glauben zu leben. Ich kann das Leben akzeptieren, wie es ist, nach dem Motto: Es ist, wie es ist, und es kommt, wie es kommt. Das heisst nicht, dass ich an ein vorbestimmtes Leben glaube, aber es gibt so vieles, was ich nicht beeinflussen kann und mich auch nicht darüber grämen muss. Ich erfreue mich an den schönen Dingen, an Begegnungen, an der Natur, an Zuneigung, und ich freue mich darüber, dass ich gesund und fit bin. Das sind Geschenke des Lebens für mich. Die geben mir Kraft und Vertrauen. Auch um Verluste anzunehmen. Freude, Liebe, Vertrauen, Zuversicht – alles ist schon in uns drin.
Der Glaube im Leben und Tod
Elias: Ein schöner Gedanke, dass die ganze Kraft im Menschen steckt. Ob nun diese Kraft und Freude, Liebe, Vertrauen und Zuversicht in uns selbst sind oder von aussen kommen, ist vielleicht gar nicht wichtig. Aber dass da etwas ist, dass da mehr ist als das das bloss Existierende, das glaube ich. Wenn ich die Welt betrachte, das Leid da draussen, aber auch in meinem eigenen Leben sehe – dann brauche ich diese Perspektive des Glaubens. Werner, du bist inzwischen 82 Jahre alt. Wird da der Glaube wichtiger, vielleicht gerade, wenn du an den Tod denkst?
Werner: Der Tod ist der Abschluss. Ich habe das Leben immer als eine Aufgabe erlebt. Der Tod wird mich von meiner Aufgabe entlasten. Von der Aufgabe, in der Not der Welt und dem eigenen Ungenügen meinen persönlichen Weg zu finden. Meine innere Ganzheit, meinen inneren Frieden zu suchen und daraus Liebe und Engagement fliessen zu lassen. Der Aufgabe werde ich nie ganz gerecht. Muss ich auch nicht. Es genügt, wenn ich in Achtsamkeit lebe und mich von inneren Inspirationen führen lasse.
Ich weiss noch nicht viel von diesem Lebensspiel und verstehen tue ich es auch noch nicht ganz.
Géraldine (20)
Géraldine: Ich empfinde das Leben mehr als ein Spiel. Ein Spiel, welches bei mir eine unbeschreibliche Faszination und Leidenschaft ausgelöst hat. Ich weiss noch nicht viel von diesem Lebensspiel und verstehen tue ich es auch noch nicht ganz. Trotzdem liebe ich es und werde es ganz bestimmt bis zum Ende spielen.
Annemarie: In meinem Alter hat man viel Vergangenheit und weniger Zukunft, da denkt man auch mal an den Tod. Angst habe ich keine davor, denn auch hier hilft mir meine Zuversicht, dass alles gut sein wird, auch wenn es danach wirklich nichts mehr geben sollte. Das würde auch zeigen, dass ich vielleicht nur zu 95 Prozent (oder so) glaube, dass danach nichts mehr kommt.
Elias: Was mir gefällt: Vor diesen grossen Fragen werden wir alle gleich. Niemand weiss letztlich, was nach dem Tod kommt. Wir werden sehen.