Iva Carapovic (20):
Wenn wir im Kleiderladen schöne Sommerhosen finden, wenn eine neue Sonnencrème verspricht, hautfreundlich zu sein, wenn der Preis für Wanderschuhe reduziert ist − immer wieder fragen wir uns: «Kaufen oder nicht kaufen?» Besonders in den letzten Jahren wird unser Konsumverhalten verstärkt hinterfragt und diskutiert. Möglicherweise gab es diesen Konsumwahn schon immer, und ich war einfach zu jung, um mich damit auseinanderzusetzen. Als Kind hatte man es viel einfacher. Man wurde gar nicht erst mit solchen Fragen konfrontiert. Vielleicht war das Interesse aber schlicht nicht da. Ich war früher viel einfacher zufriedenzustellen als heute. Damals kauften mir meine Eltern Kleider, die ich dann wegen des Wachstums nur wenige Jahre trug.
Jetzt, wo ich nicht mehr wachse, bin ich unausweichlich mit sich anhäufendem Besitz konfrontiert. Zu Hause mehren sich Schuhe und Jacken, weil ich mir oft ein neues Stück zulege. Ich mag den Luxus, zum Wandern die Wanderjacke anzuziehen, zum Brunchen jedoch eine andere Jacke auswählen zu können. Tatsächlich nerve ich mich manchmal über das Chaos, das entsteht − so viele Jacken und Schuhe müssen auch irgendwo ihren Platz finden! Ich bin aber froh, dass ich kein exzessives Konsumverhalten habe. Kaufe ich etwas, so bleibt es lange in meinem Besitz. Arbër, wie sieht das bei dir aus? Man sagt doch, Männer hätten einen bescheideneren Kleiderschrank.

Arbër Shala (25):
Ob das für alle Männer so stimmt, kann ich nicht wirklich sagen, da ich relativ viele Kleidungsstücke und Schuhe besitze. Fakt ist aber, dass ich sie sehr lange trage und vieles auch spende, so dass mein Kleiderschrank kaum überfüllt ist. Unser Konsumverhalten wird oftmals von äusseren Reizen wie der Werbung gesteuert. Was für einen als absolut lebensnotwendig gilt, ist für die anderen möglicherweise unnötig. Ich kann beispielsweise sehr gut ohne Kaffee leben. Hingegen täte ich mich schwer, auf einmal keine Fussballspiele mehr zu schauen. Die klassische Werbung greift dabei die möglichen Bedürfnisse der Menschen auf. Sie weckt in uns oft ein Verlangen nach «etwas, was wir gerade nicht haben, aber unbedingt brauchen». Die Werbung bietet uns vieles in verlockender Weise an.
Uns scheint dann häufig die Frage, ob wir es wirklich und auch langfristig brauchen, zweitrangig zu sein. In letzter Zeit zeichnen sich viele Gegentrends zu diesem Phänomen ab: Als Frugalisten werden beispielsweise Menschen bezeichnet, die sehr sparsam leben, häufig nur gebrauchte Sachen statt neue kaufen und sich indirekt immer die Frage stellen, was für sie das Nötigste zum Leben ist. Gewisse Haltungen aus dem Frugalismus können helfen, den eigenen Konsum zu überdenken. Aber ist das tatsächlich so einfach? War es vielleicht früher einfacher? Was denkst du, Karin?

Karin Mulder (80):
Als Kriegskind hatte ich damals mit dem Allernötigsten leben müssen. Da war zunächst das tägliche Brot, das aus Maismehl gebacken wurde und von dem ich oft Sodbrennen bekam, und die wässrige Milch, die bläulich aussah. Meine Kleider nähte mir meine Grossmutter aus alten Kleidern. Erst im Alter von 18 Jahren konnte ich mir mit meinem eigenen verdienten Geld eine hellblaue Latex-Keilhose kaufen. Ich war so glücklich, dass ich sie bis heute noch habe; und ich passe noch hinein.
Ich habe inzwischen weit mehr als das Nötigste. Mein Kleiderschrank ist übervoll, weil ich mich so schlecht von den Sachen trennen kann. Da passierte einmal etwas Lustiges: Ich zog meinen etwa 30-jährigen Jeansrock – es ist ein Jupe mit enger Taille, weit und glockig, am Saum blitzt eine weisse Spitze – mit einer nostalgischen weissen Bluse an und fuhr damit nach Bern. Im Zug sprach mich eine junge, modische Frau an, ob ich ihr sagen würde, wo sie einen solchen kaufen könne. Ich lachte und erzählte ihr die Herkunft.
Ähnlich geht es mir mit diversen Kleidungsstücken. Beim Kauf habe ich oft auf Qualität, gute Verarbeitung und sportlichen Stil geschaut. «Things of beauty are joy forever» sagt ein Sprichwort. Das stimmt; so kann ich heute meine Garderobe sehr lange tragen. Man muss nur lange genug warten, dann werden solche Kleider sogar wieder modern. Ab und zu bringe ich auch einiges in die Brockenstube. Verzichten kann ich zum Beispiel auf Strassencafés und auswärts essen. Es wird mir zu teuer und ich lade gern meine Freunde zu mir nach Hause ein. Wie hast du es, Telsche?

Telsche Keese (82):
Es ist schwierig, nur die Augen spazieren zu führen und nichts zu kaufen, denn es macht Spass, auszusuchen und sich mit einem Kauf zu belohnen. Ihr denkt an Kleidung, aber ein eigenes Dach über dem Kopf war mir immer wichtiger: Eine eigene Wohnung, vielleicht ein Haus, um darin zu leben, wie ich will. Ich habe mir stets Städte vorgestellt, wo ich wohnen möchte. Es war ein Langzeitziel, dem musste sich der Konsum in der Familie unterordnen. «Nein» zu sagen ist ein Kampf, besonders, wenn man Kindern etwas versagen muss.
Besitzen meine Mitmenschen wenig, halte ich meine Wünsche leichter im Zaum. Das ist gar nicht so einfach, wenn der Lebensstandard so hoch wie in unserem Land ist. Der Traum vom eigenen Haus wurde wahr, aber Skiferien lagen nicht drin, ein Auto habe ich persönlich nie besessen, und ich lebe noch immer in den 1966er-Möbeln unserer Zürcher Anfangsjahre. Sollte ich sie in den Keller stellen? Verschenken? Mein Herz und so viele Erinnerungen hängen daran, sie sind mir lieb und teuer.
Wenn ich in zehn Minuten das Nötigste zusammenraffen müsste, wären es mein Pass, Familienfotos, meine Mundharmonika und einige Briefe und Bücher. Zu wissen, dass das letzte Hemd keine Taschen hat, ist hart, aber wahr.

