
Was zum Teufel…?
Der Begriff «Satanismus» erschreckt. Das Wort löst tief in unserer Fantasie wilde Vorstellungen aus: Anbetung eines teuflischen Wesens, geheime Messen, Schlachtung von Kindern, sexuelle Orgien. Satanismus tritt in unserer Gesellschaft allerdings bedeutend vielfältiger und differenzierter auf. Während in der Antike und im Mittelalter meist davon ausgegangen wurde, dass Satan ein existierendes und wirkendes Wesen sei, brauchen heutige Satanisten das Wort meist nur als Symbol.
Satan, der Gegenspieler Gottes
Aus der Bibel kennen wir Satan als Gegenspieler Gottes. Seine Macht ist begrenzt. Oft wird er dargestellt als der abtrünnige Engel Luzifer. Im Buch Hiob verhandelt er mit Gott, wie man den braven Hiob prüfen könnte. Anders wird diese Frage im Zoroastrismus angegangen, einer antiken persischen Religion. Da gibt es zwei Götter, den guten Ahura Mazda und den bösen Ahriman. Letzterer entspräche dem biblischen Satan, ist aber ein existierender Gott mit grosser Machtfülle. Im Islam ist Iblis das Prinzip des Bösen. Er ist als ein personales Wesen gedacht, das die Menschen zum Bösen verführen will. Er ist aber kein Gott. In Mekka wird er bei der grossen Pilgerschaft symbolisch gesteinigt.
In all diesen Glaubenssystemen geht es letztlich um den Kampf zwischen Gut und Böse. Sie setzen sich mit der Frage auseinander, woher das Böse in die Welt kommt. Sind Gut und Böse gleichwertige Kräfte oder ist das Böse dem Guten untergeordnet? Es sind Vorstellungen, die in dieser grundlegend menschlichen Frage eine Lösung suchen.

Formen in der heutigen Zeit
Im heutigen Satanismus geht es meist nicht um Satan als eine überirdische «Person», sondern um eine Einstellung zur Welt und zum Leben. AnhängerInnen des Satanismus betonen dabei die Freiheit des Menschen, sein aufgeklärtes Denken, seine Unabhängigkeit von geltenden Normen. Oft grenzen sich satanistische Kreise bewusst von kirchlichen Vorstellungen und Geboten ab.
Die grösste Gruppe heutiger Satanisten ist die «Church of Satan», gegründet 1966 von Anton LaVey. Sie sieht sich bewusst als Gegenbewegung zur christlichen Religion und zur damit oft verbundenen bürgerlichen Bravheit. Es geht hier nicht mehr um einen Teufel, sondern um «Lust und unbedingte Freiheit». Ihr Gründer schrieb 1969 die «Satanische Bibel», die hier noch in einem eigenen Beitrag beschrieben wird. Eine weitere grössere Gruppe ist der «Order of Nine Angles». Er entstand in den 1970er-Jahren. Er strebt die Entwicklung des Menschen durch Selbstüberwindung und geistiges Wachstum an.
In der Musik wird die Gothic-Subkultur oft dem Satanismus zugerechnet. Satanismus ist bei ihr aber kein zentrales Thema. Satanistisch gefärbt ist hingegen die Metal-Subkultur. Sie betont Freiheit und Rebellion, will auch provozieren. Diese und andere bei Jugendlichen beliebte Strömungen werden oft unter dem Begriff «Jugendsatanismus» zusammengefasst. Es handelt sich nicht um eine einheitliche, organisierte Bewegung, auch kaum um ein wirkliches Glaubenssystem. Oft geht es einfach um die Lust, die Gesellschaft zu provozieren.
Satanismus als Sinnersatz?
Wenn Satanismus heute auf viele eine grosse Faszination ausübt, hat das auch mit dem schwindenden Einfluss traditioneller religiöser Werte zu tun. Konnten früher die Kirchen in der Gesellschaft ihre Vorstellung von Sinn und Orientierung vermitteln, so haben sie heute stark an Einfluss verloren. Die Sinnsuche, vor allem bei Jugendlichen, bewegt sich teils in Bereichen, die von den traditionellen Institutionen nicht besetzt sind oder sie infrage stellen. War früher Gott die tragende gesellschaftliche Instanz, orientieren sich Satanisten an seinem Gegenspieler. Das muss nicht das Böse an sich sein. Gesucht ist letztlich ein Wert, der sich deutlich vom Alten abhebt.
«Sünden kennen sie nicht»
Auch die Satanisten haben eine Bibel. Die «Satanische Bibel» wurde 1969 von Anton LaVey verfasst und gilt SatanistInnen auf der ganzen Welt als Anhaltspunkt. Der Satanismus, welcher in dieser Bibel vorgestellt und erklärt wird, wird als der einzig wahre Satanismus dargestellt. Ihr Verfasser LaVey ist darin bestrebt, «seinen» Satanismus von den in vielen Köpfen etablierten Vorstellungen der Bewegung abzugrenzen. In dieser Bibel steht zum Beispiel, dass das Misshandeln von Kindern oder Tieren sowie Exorzismen abzulehnen sind. Es werden ausserdem keinerlei schandhafte Rituale vorgestellt, um die Seele an den Teufel zu verkaufen. Stattdessen wird lediglich der Glaube zu Papier gebracht, dass alle selbst für ihr Glück verantwortlich sind.
Allerdings gibt es einige Stellen, welche provozierend auf LeserInnen wirken könnten. Wie zum Beispiel: «Wer glaubt, dass Satan böse ist, sollte einmal an all die Männer, Frauen, Kinder und Tiere denken, die bei terroristischen Anschlägen gestorben sind, weil es ‹Gottes Wille› war.» Oder: «Verschwende deine Zeit nicht an Menschen, die dich letztlich zerstören, sondern konzentriere dich stattdessen auf diejenigen, die deine Verantwortung ihnen gegenüber schätzen.» Die Satanische Bibel kennt keine Nächstenliebe.

Grundsätzlich beschreibt LaVey eine andere Sicht der Welt, in welcher der Gott, den die meisten von der christlichen Bibel her kennen, keine Rolle mehr spielt. Anstatt sich auf eine höhere Macht zu verlassen, nehmen Satanisten die Dinge lieber selbst in die Hand. Anstatt ihren Feind zu lieben, bekämpfen sie diesen und lieben nur die, welche es auch verdient haben. Passend zum Thema «Liebe» steht in der Satanischen Bibel auch etwas über das Sexleben. Ein ganzes Kapitel wird dem Thema gewidmet.
Im Text wird eindeutig klargestellt, dass alle Arten des Liebeslebens zu unterstützen seien, so lange die Beteiligten mit der Beziehung einverstanden sind. Auch homosexuelle Menschen und Polyamorie (Liebe mit mehreren PartnerInnen) werden, im Gegensatz zu einigen christlichen Gemeinschaften, unterstützt. Hier gilt wieder die Devise, dass man für das eigene Glück selbst verantwortlich ist. Offenheit für die eigenen Bedürfnisse, Toleranz und Konsens unter den Beteiligten stehen dabei an oberster Stelle. Ebenfalls ein spannender Aspekt: Satanisten glauben weder an die Hölle noch an das Fegefeuer, in welchem man schmoren muss, oder an irgendwelche andere Geschehnisse nach dem Tod.
Manches führt zur Annahme, dass Satanisten letztlich einfach Atheisten sind.
Valeria Wüthrich
Nach dem Tod kommt also das Nichts. Es ist wichtig, das Leben, welches man hat, zu leben, und zwar so, dass es einem selbst gut geht. Anstatt Zeit damit zu verschwenden, den Feind zu lieben oder in der Kirche um Vergebung zu bitten, tun Satanisten einfach, was sie glücklich macht, ohne Konsequenzen zu fürchten. Anstatt sich von ihren Sünden reinzuwaschen und zu warten, bis Gott ihr Leben verbessert, tun sie auch dies selbst. Sünden kennen sie nicht. Manches führt zur Annahme, dass Satanisten letztlich einfach Atheisten sind. Im Unterschied zu Satanisten glauben Atheisten jedoch an gar nichts. Sie haben auch keinerlei Rituale oder Götter. Satanisten hingegen haben etliche Rituale und auch Predigten, in welchen sie aus der besagten Bibel vorlesen.
Satanismus als Jugendkultur?
Seit rund 35 Jahren gibt es die Bewegung der Satanisten bereits. Man spricht schon lange nicht mehr von einer Welle oder einem Trend. Nein, der Jugendsatanismus ist aktuell. Zumindest schreibt dies die Evangelische Informationsseite «relinfo», welche auch Hintergrundinformationen zur Bewegung liefert. Satanismus umfasst für Jugendliche viele Motive, wie Macht, Identitätssuche, Nervenkitzel, Leben in einer Gruppe oder als Protest. Was wollen Jugendliche bewirken, wenn sie ihre Zimmerwand schwarz streichen? Was bringt es ihnen, wenn sie Personen mit satanistischen Sprüchen provozieren?
Ein Teenager zu sein ist nicht immer leicht. Man hinterfragt vieles, versucht seinen Weg zu finden, seinen Platz, seine Passion und hat eine Meinung, die man vertreten will. Man will sich von den bürgerlichen Normen abgrenzen, sucht Aufmerksamkeit oder will einer Gruppe angehören, die die gleichen Visionen teilt. Oft hoffen Jugendliche, sich mit dem Satanismus ausdrücken, ihr derzeitiges Lebensgefühl wiedergeben oder aus den Werten, welche die Eltern oder die Gesellschaft vermitteln, entfliehen zu können. Als Jugendlicher fühlt man sich oft machtlos und eingesperrt im Angewiesensein auf andere Autoritäten, wie zum Beispiel die Eltern. In Bezug auf diese Machtlosigkeit bietet der Satanismus mit seinen Machtfantasien Fluchträume. Jugendliche provozieren mit ihrem Auftreten, ihrem Outfit oder mit satanistischen Sprüchen die Personen, von denen sie sich bedroht fühlen. Die Verunsicherung dieser Person ruft ein Machtgefühl bei dem Jugendlichen hervor. Für die Jugendlichen verkörpert der Satanismus die Freiheit, Stärke und Rebellion, die sie suchen.

Die zuvor aufgeführten Beschreibungen und Beispiele waren alle sehr auf das Individuum bezogen. Jedoch kann der Jugendsatanismus auch aus dem schwarz gestrichenen Zimmer des Jugendlichen ausbrechen – es kann zu Schmierereien und Grabschändungen kommen. Dort jedoch bleibt der Jugendsatanismus beim Neinsagen stecken, es zeigt sich eine Hilflosigkeit, es wird keine positive Alternative zur Gesellschaft gestaltet. Es wird nur Nein gesagt.
Satanismus dient oft auch als Abgrenzung nach aussen. Es werden diejenigen ferngehalten, die nichts damit zu tun haben. Es gibt sogar Mutproben, um in einer Clique aufgenommen zu werden. Viele Jugendliche verschaffen sich so eine eigene Gruppenidentität. Der Hauptgrund des Zusammenkommens ist der Freundeskreis und nicht der Satanismus an sich. Die «Rituale» basieren auf Texten aus der Bravo-Zeitschrift oder aus dem Fernsehen. Meistens wird das alles gar nicht ernst genommen, und Aufklärungsbücher werden sogar als Ritualvorlage missbraucht. Es geht den Jungen da mehr um den emotionalen Kick als um die religiöse Vergewisserung. Der Satanismus ist für die meisten Jugendlichen ein Abenteuer in ihrer sonst so monotonen und langweiligen Welt. Alles in allem dient der Satanismus den Jugendlichen oder der jüngeren Generation dazu, verdrängte Persönlichkeitsanteile zeigen zu dürfen, zu rebellieren oder den gesellschaftlichen Normen zu entfliehen – in ihren Augen: der Freiheit näher zu sein, sich stark zu fühlen oder Aufmerksamkeit zu bekommen.