Herr Slongo, hört Ihre Frau überhaupt noch zu, wenn Sie vom Wetter erzählen?
Mario Slongo: Meine Frau hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich überhaupt so eine «Wetterfroschaufgabe» übernehmen konnte (lacht). Von Haus aus bin ich ja eigentlich Chemiker. Ich habe aber im Nebenfach Meteorologie, Klimatologie und Hydrologie studiert. Im Freundeskreis habe ich bereits früher Wettervorhersagen gemacht. Zum Beispiel für Alpinisten, die nach sicheren Wetterverhältnissen für ihre Touren fragten. Einmal hat mich der Vater vom aktuellen Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäpätt, Reynold Tschäpätt, der selber auch einmal der höchste Berner war, gefragt, ob man bei den Europameisterschaften im Kunstturnen die Allmendhalle heizen müsse oder nicht. Und in Basel wurde ich angefragt, ob ich nicht Wetterfrosch der Gartenausstellung Grün 80 werden wollte. Das Wetter der Zürcher Meteorologen stimme ja für Basel so oder so nie…
An Pfingsten 1980 prognostizierte ich für die Grün 80 schönes Hochdruck-Wetter, im Gegensatz zu den offiziellen Prognosen, die von kühlem und regnerischem Wetter sprachen. Und siehe da, ich hatte Recht. Leider blieben die Besucher aber aus, weil sie nicht meine lokalen, sondern die offiziellen Wetterprognosen über die Medien hörten.
Kommen wir zurück zu Ihrer Frau.
Genau. Als Chemiker und Forschungsleiter hatte ich einen Fulltimejob. Mit dem Pensum hätte ich nie und nimmer «Wetterfrosch» werden können, wenn nicht meine Frau gewesen wäre. Sie fand, doch, sie unterstütze mich in diesem Hobby. Daher musste ich zu Hause nicht Staub saugen und Gartenarbeiten machen. Ich schaute auch weniger zu den Kindern, als das heute von jungen Vätern gefordert wird. Ich bekam damit genügend freie Zeit und konnte die «Wetterfrosch»-Radiosendungen vorbereiten.
Meine Frau war immer meine erste Hörerin. Wenn ich eine Sendung bereit hatte, hörte sie diese an. Da konnte sie gelegentlich sagen: «Du, die ist fürchterlich langweilig. Das musst du noch mal umschreiben! Wenn du von 300 ppm Ozon in der Ozonschicht sprichst, dann bin ich mit meinen Gedanken als Zuhörerin schon beim Einkaufszettel und höre dir gar nicht mehr richtig zu. Das verstehen auch viele andere Zuhörer nicht.» Also musste ich bei so einer Sendung nochmals über die Bücher. Denn meine Idee war, die Erkenntnisse aus der Wissenschaft auf populärwissenschaftliche, das heisst verständliche Art zu vermitteln. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, überlegte ich dann eben manchmal viele Stunden im Büro, wie ich etwas formulieren wollte.
Der «Wetterfrosch» muss immer in die Zukunft schauen. Ist der Blick nach vorne auch für Mario Slongo ein Lebensrezept?
Ja, eindeutig. Man nimmt von der Vergangenheit das Beste, lebt in der Gegenwart und hat für die Zukunft eine gute Erwartungshaltung. Das ist meine Losung.
Aber können Sie vor lauter Prognostizieren überhaupt noch im Hier und Jetzt leben?
Ja, eindeutig. Aber ich muss mir Mühe geben. Viele Menschen haben heute keine Zeit mehr. Die Essenszeit zum Beispiel war früher eine hohe Kultur. Sie war auch Gesprächszeit. Heute im Zeitalter von Fastfood ist diese Kultur verschwunden. Ich sehe viele Personen mit grossen Taschen und einem riesigen Sandwich herumrennen. Eigentlich wäre die Essenszeit die Zeit des Zusammenseins. In meiner Zeit in der Chemiebranche hasste ich es, wenn in der Kantine jemand auf meine Papierserviette Formeln von Molekülen kritzelte. Sorry, sagte ich: Jetzt ist Mittagszeit, ich will von Chemie nichts wissen. Jetzt reden wir über Alltägliches, unsere Familien, über Literatur, Musik – über Kulturelles. Übrigens habe ich vor meiner Zeit als Wetterfrosch oft Trompete gespielt. Die Musik hat mich schon immer fasziniert. Klassisch, Jazz, Volksmusik – Unterhaltung weniger.
Eine Vorhersage nimmt die Zukunft vorweg. Was fasziniert Sie daran?
Das ist in jedem Menschen drin – so ein «Orakel von Delphi»-Effekt.
Bitte?
Das Orakel von Delphi, bekannt aus der griechischen Mythologie und Sagenwelt. Dieses Orakel wurde befragt, wenn man etwas über die Zukunft wissen wollte. Das Orakel sagte dann: Ja, machen Sie das! Oder auch: Erzürnen Sie die Götter nicht! Das Orakel von Delphi hatte einen hohen Stellenwert – vor allem in der griechischen Kultur. Heute sind es die Horoskope: Jeder möchte gerne wissen, was auf ihn zukommt. Ganz extrem ist das zu Beginn des Jahres. Da wünschen sich alle das Beste fürs neue Jahr.
In der Chemie habe ich mich auch öfters gefragt: Wohin führt ein vorgegebener Syntheseweg? Das fand ich besonders interessant, denn in der Chemie kann je nach dem ein eingeschlagener Weg plötzlich zu etwas ganz anderem führen, als man sich gedacht hat. Auch im Leben muss man positiv in die Zukunft denken!
Prognosen: Sind Sie also ein Ersatz für Horoskope?
Heute nicht mehr. Aber vor 2000 – 3000 Jahren war die Meteorologie eine sogenannte Astrometeorologie gewesen. Die Wissenschaft hatte viel mit Astrologie zu tun gehabt. Ich denke da an die Chaldäer, einen Volksstamm, der dort angesiedelt war, wo heute Kuwait liegt. Sie waren Weltmeister im Interpretieren von Planetenkonstellationen. Astronomie ist die Sternkunde und Astrologie die Sterndeutung. Die damaligen Wissenschaftler haben sich gesagt, wenn wir fähig sind, das Leben des Menschen aufgrund von Konstellationen vorauszubestimmen, dann sollten wir auch fähig sein, das Wetter vorhersagen zu können. Erst recht! Also hat man die Meteorologie gleich mitintegriert. Es entstand die Astrometeorologie.
Im Laufe der Menschheitsgeschichte ist immer mehr Wissen zusammen geflossen. Wie entsteht heute eine Wetterprognose und können Sie diese selber aus Ihrer Wetterstation im Garten erstellen?
Nein. Die Instrumente, die ich hier habe, zeichnen das aktuelle Wetter auf. Damit kann ich sagen, dass es gestern Abend ein heftiges Gewitter gab. Das sehe ich in meiner Luftdruckkurve. Aber mit meinem Instrumentarium kann ich nicht vorhersagen, wann ein Gewitter kommt.
Es gibt kurz-, mittel- und langfristige Prognosen. Der Blick auf die kommenden drei Tage ist heute schon so genau wie vor 30 Jahren eine 24 Stunden Prognose. Da hat sich also einiges gewaltig verbessert. Übrigens sprechen wir ab dem dritten Tag nicht mehr von einer Prognose, sondern von einer Entwicklungstendenz. Ich prognostiziere also niemandem das Wetter des nächsten Wochenendes. Heute wollen die Leute immer mehr wissen, wie das Wetter am nächsten Wochenende wird. Es interessiert an einem Montag nur noch wenige, wie sich das Wetter am Dienstag oder am Mittwoch entwickelt.
Wie funktioniert denn jetzt eine Prognose?
Eine kurze Prognose, auch Nowcasting genannt: Da muss man die aktuellen Wetterelemente wie Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Lufttemperatur, Winde, Wolken, Niederschläge und so weiter genau analysieren und ihre Veränderungen beobachten. Solche Beobachtungen führen zu einer guten und brauchbaren Prognose über ein paar Stunden. Das braucht aber auch viel Geschick und Erfahrung. Sobald es aber weiter als sechs bis zwölf Stunden geht, brauche ich numerische (also rechnerisch hergeleitete) Wetterkarten. Diesen Karten liegen Modelle mit physikalischen (thermodynamischen und hydrodynamischen) Gleichungen zu Grunde. Angefangen mit einer möglichst genauen Beschreibung des Ist-Zustandes der Atmosphäre kann dann ein Grossrechner in 10-Minuten-Schritten bis auf 10 Tage hinaus Wetterabläufe berechnen. Inzwischen sind diese Modelle so gut, dass sie sogar Tippfehler selber erkennen. Wer also in warmen Gebieten statt plus 20 minus 20 Grad eingibt, muss das nicht mehr selber korrigieren. Das System erkennt den Fehler selber.
Die Daten für diese Berechnungen kommen von einem Netz von Wetterstationen aus der ganzen Schweiz. Alle zehn Minuten werden diese Daten abgerufen.
Was passiert mit dieser Menge an Zahlen?
Zweimal pro Tag rechnet der grosse Rechner der ETH mit allen Daten bis auf 10 Tage im Voraus. Die Resultate sind aber nicht öffentlich zugänglich – diese bleiben den Profis vorbehalten. Von MeteoSchweiz gehen diese Daten weiter nach Reading in England. Dort, südlich von London, sind noch grössere Rechner, die für ganz Europa Prognosen berechnen. Für unseren Alpenraum existiert noch das COSMO-Modell. Es ist ein Modell mit einer recht hohen Auflösung. Es wurde vom Deutschen und dem Schweizerischen Wetterdienst zusammen erstellt. Forscher sind permanent daran und verbessern das Modell immer wieder. In den letzten Jahren gab es auch Verbesserungen der Grossrechner, die immer mehr Daten in noch grösseren Geschwindigkeiten verarbeiten können. Mit den daraus gewonnenen Wetterkarten kann allerdings ein Laie nichts anfangen.
Dafür braucht es dann wieder die MeteorologInnen.
Genau. Sie müssen das alles noch interpretieren. Mittlerweile ist die Meteorologie dadurch zu einer wichtigen mathematischen und physikalischen Wissenschaft geworden. Es gilt aber auch heute noch: Modelle geben nie zu 100 Prozent die Wirklichkeit wieder – es sind immer noch Modelle. Die Natur lässt sich nicht in ein Schema zwingen. Trotzdem: Heute ist die Trefferquote schon sehr gut. Eine Prognose im Flachland trifft zu 87 Prozent zu. In langgezogenen Nord-Süd-Tälern wie im Engadin oder Ost-West-Tälern wie im Wallis können aber immer noch Abweichungen auftreten…
Wenn der Wetterfrosch wissen will, wie das Wetter wird, schaut er eigentlich SRF-Meteo?
Ich habe keinen Fernseher aber eine Ausbildung als Meteorologe und damit gelernt, wie man Wetterkarten interpretiert. Das war von 1967-71 an der Uni Bern bei meinem Meteorologielehrer, Professor Max Schüepp. Doch die Wetterkunde hat sich natürlich in all den vergangenen Jahren stark verändert. Früher bekam man vom Wetterdienst zweimal pro Tag die aktuelle Wetterkarte. Die kamen per Post mit der Früh- und der Spätzustellung. Später konnte ich die Wetterkarten vom Deutschen Wetterdienst per Langwellenfax rund um die Uhr abrufen.
Diese Karten haben Sie also kostenlos erhalten?
Damals, bis die privaten Wetterdienste aufkamen. Diese mussten mit dem Wetter Geld verdienen. So hat der Deutsche Wetterdienst als Kartenlieferant für die Karten ebenfalls Geld verlangt. Für mich allein wäre das zu teuer geworden. Aber MeteoSchweiz hat mir dann die wichtigsten Wetterkarten zur Verfügung gestellt. Am Freitagabend habe ich alle Karten, die ich benötigte, ausgedruckt. Damit konnte ich meine Prognosen für das Wochenende erstellen und habe sie dann auch mit den offiziellen Versionen verglichen.
Die wöchentliche Wetterfroschsendung gibt es nicht mehr. Sind Sie «Wetterfrosch» geblieben?
Ja, im privaten Stil. Manchmal rufen mich die Bauern unserer Umgebung an und fragen, wann sie drei Tage schönes Wetter zum Heuen erwarten können. Das Gras muss 80 Prozent seiner Feuchtigkeit verlieren, sonst besteht die Gefahr, dass es zu modern beginnt, was zu einem Brand im Heustock führt. Also ist es meine Aufgabe zu sagen, ob es in meiner Umgebung diese drei Tage schönes Wetter geben wird – oder nicht. Hier habe ich den Ruf, dass meine Prognosen im Allgemeinen gut stimmen. Einem Bauer in Schaffhausen kann ich das nicht so leicht sagen, ausser es gibt eine super Hochdrucklage, aber dann weiss er es auch selber…
Heute kann jeder seine Prognosen auf dem Handy ansehen. Aber wissen wir eigentlich überhaupt, was für Wetter im Moment gerade ist.
Nein. Ich behaupte, die meisten Leute interessieren sich fürs Wetter, wenn es um einen spezifischen Anlass geht. Wenn man konkret wissen will, welches Wetter für die Bergtour am Wochenende zu erwarten ist.
Die Leute interessiert also nicht das Wetter an sich. Das ist bei Ihnen ganz anders…
Das ist völlig anders! Ich persönlich habe an Wolken, an ihrem Entstehen und Vergehen eine grosse Freude. «Wolken sind Gedanken, die am Himmel stehen.» Das hat Hermann Claudius gesagt, ein Vetter des Dichters Matthias Claudius. Besonders interessiert mich auch, wie man früher mit dem Wetter umgegangen ist.
War das Wetter früher mehr als blosses Mittel zum Zweck?
Ja sicher! Früher war das Wetter ein Ausdruck der Stimmung der Götter. Bei den alten Griechen zum Beispiel gab es einen achteckigen Turm der Winde, jede Windrichtung einer Gottheit gewidmet.
Dann war Wetter auch etwas, das mit Religion zu tun hatte?
Die Beobachtung war: Das Wetter kommt von «oben». Es kommt vom Himmel herunter. Jeder der heute gefragt wird, wo dieser ist, zeigt sicher nicht nach unten (lacht). Der Himmel ist mit einem Gott, mit Göttern verbunden. Und diese Götter galt es in früherer Zeit gut zu stimmen, damit es zur rechten Zeit regnet, der Wind bläst oder die Sonne scheint. Vor 12’000 Jahren, als der Mensch sesshaft wurde, waren die Menschen noch viel mehr aufs Wetter angewiesen. Angewiesen auf das, was vom Himmel herunter kommt.
Wenn es eine Überschwemmung gab, die Hütten fortspülte, musste man über die Bücher gehen und sich fragen, warum die Götter so erzürnt sind. Solche Geschichten und Zusammenhänge faszinieren mich.
Früher waren es die Götter. Später in der Literatur schreibt Goethe die Gefühlswelt seiner Figuren an den Himmel.
Ja, aber sehen Sie heute einmal in die vielen Illustrierten und Heftchen hinein. Was wird gerne gelesen? Das Horoskop. Jeder will wissen, wie seine Zukunft aussieht. Niemand gibt etwas für die Vergangenheit. Aber wenn man in die Zukunft schauen könnte, würden wir ein Vermögen ausgeben. Wir haben heute grosse Schwierigkeiten, die Zeit auszunützen, die Zeit zu geniessen. Wir laufen unserer Zeit davon. Das ist unser grosses Problem.
Wie meinen Sie das?
Wir teilen uns die Zeit nicht mehr so ein, wie wir das für unsere Gesundheit, für unser Leben eigentlich sollten. Man rast von einem Termin zum anderen und am Schluss hat man das Gefühl: Ah, jetzt ist der Tag wieder vorbei. Oder: Schon wieder Sommer, es war doch erst gerade Winter…
Haben Sie dieses Gefühl eigentlich auch?
Sagen wir so: Ich muss selber auch schauen, dass ich meiner Zeit nicht davon laufe.
Wie machen Sie das?
Indem ich mich einmal ganz bewusst hinsetze und ein Buch lese, Musik höre, mit meiner Frau diskutiere. Gesprächszeiten – Lebenszeiten erlebe. Es geht um Lebensqualität. Der Fernseher ist ein Zeittöter. Das heute so verbreitete Burnout, das kommt vom Davonlaufen. Wir können auf lange Sicht gar nicht so leben. Burnout ist eine typische Zeiterscheinung. Die Zeit, die wir vernichten, kommt aber nie mehr zurück.
Vielleicht können wir vom Burnout einen Sprung zum Klimakollaps machen. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte wurde immer klarer, was dieser Wandel bedeutet. Sie wollen die komplexen Tatsachen populärwissenschaftlich verkaufen, wie Sie in Interviews vielfach sagten. Heute sagen viele: Der Klimawandel, das glaube ich nicht…
Dann frage ich diese Leute: Warum glauben Sie denn nicht dran? Und sie sagen: «Ja, jetzt hatten wir einen wunderbaren Winter, der bis in den Mai angedauert hat. Da kann es keinen Wandel geben.» Dann muss ich sagen: Diese Leute haben nicht verstanden, was der Unterschied zwischen Wetter und Klima
ist. Wetter ist die Beschreibung des aktuellen Zustands der Atmosphäre. Wetter ist also etwas Kurzfristiges, das wir total erleben.
Das Klima ist etwas Langfristiges. Dieses fasst man aus mindestens 30 Jahren Wetteraufzeichnungen zusammen. Es kommen also rein statistische Durchschnittswerte für die Temperatur, den Luftdruck, die Luftfeuchtigkeit, die Winde, die Sonnenscheinzeiten und so weiter heraus. So erleben wir das Klima nie direkt, können aber nach jeweils 30 Jahren Veränderungen gegenüber der Vorperiode ausmachen.
Das Wetterempfinden schliesst also nicht aufs Klima.
Nein. Wenn wir so weitermachen wie bis anhin, werden wir im Jahr 2100 4.5 Grad höhere Durchschnittstemperatur haben, als dass wir sie heute haben. Das ist der Punkt. Doch darunter kann sich niemand etwas vorstellen. Es kann auch dann immer noch einen Winter geben. Aber insgesamt natürlich einen weniger intensiven, als es in unseren Breitengraden zu erwarten wäre. Wer sagt: «Klimawandel, ja hör doch auf», der hat es nicht begriffen. Das Klima hat keine kurzfristige direkte Auswirkung auf unser Wetterempfinden. Wir wissen auch nur in den wenigsten Fällen, was zum Beispiel im Jahre 1957 für Wetter war, ausser wir haben ein extremes Elefantengedächtnis. Das habe ich nicht. Das kann man aber jederzeit in Annalen nachschauen.
Dass der aktuelle Klimawandel menschgemacht ist, hat sich in den letzten Jahren von einer These zu einem Fakt gewandelt.
Schauen Sie, wie sich die Menschheit entwickelt hat. 1815 hatten wir ein Jahr ohne Sommer, weil in Indonesien ein Vulkan ausgebrochen war. In den Folgejahren hatte man weniger Sonne. Es gab gefrorene Böden in der Schweiz. In St.Gallen allein gab es 5’000 Hungertote. In den Kantonen Appenzell starb ein Sechstel der Bevölkerung! Viele Leute mussten auswandern. Tausende Pferde starben oder mussten notgeschlachtet werden, weil es keinen Hafer mehr gab.
Man musste also umdenken. Dazu entwickelte man die Dampfzüge und heizte sie mit Kohle. Mit der Kohle konnte man viel grössere Distanzen zurücklegen. Das begünstigte den Bau der Eisenbahntunnel. Dann hat man immer mehr Arbeiter aus dem Ausland auf die Baustellen geholt.
Die Bevölkerung hat sich vermehrt. 1820 hatte die Industrialisierung begonnen. Man zählte damals etwa eine Milliarde Erdbewohner. 2011 waren es sieben Milliarden. Und unsere Population wächst weiterhin. Nicht mehr so stark – aber immer noch. Vor allem in den Entwicklungsländern. Nun möchten die Menschen in diesen Ländern auch einen ähnlichen Wohlstand haben wie wir.
Wann erkannten Sie selbst, dass der Mensch einen so grossen Einfluss aufs Klima nehmen kann?
In den 90er Jahren. Und 2007 sagte ein IPCC Bericht (International Pannel on Climate Change, Anm. d. Red.), dass der Mensch mit grösster Wahrscheinlichkeit der Verursacher ist. Man hat es damals noch als Wahrscheinlichkeit ausgedrückt. Und seit 2013 ist es zu 98 Prozent sicher, dass der Mensch den Wandel verursacht.
Die Experten warnen schon seit Jahren. Doch es geschieht nicht viel. Bleiben Sie optimistisch, dass der Klimawandel noch abzuwenden ist?
Nein. Ich glaube es geht nicht mehr um Optimismus. Heute sprechen wir eigentlich nicht mehr nur von der Klimaveränderung – sondern von den Klimafolgen. Also von den Folgen der Veränderung… Die Politik hat jetzt 30 Jahre geschlafen! Vor 30 Jahren begegnete ich meinem Lehrer, Prof. Hans Oeschger von der Uni Bern. Er forderte mich auf: «Sagen Sie den Leuten im Radio, wenn wir einmal alles bewiesen haben, ist es zu spät! Wir müssen jetzt handeln.» Das war vor 30 Jahren. Wir hätten damals die Emissionen in den Griff kriegen müssen.
Das ist nicht geschehen. Was bringt es heute noch, die Emissionen zu kontrollieren?
Es wird einfach nicht noch viel schlimmer. Wir können das Ausmass mindern. Man spricht ja immer von den höheren Jahresdurchschnittstemperaturen weltweit. Heute erleben wir bereits eine Erwärmung von 0.8 Grad. Im Alpenraum sind es sogar 1.6 Grad.
Diese Veränderung ist Tatsache?
Ja. Heute ist es im Alpenraum wärmer als im langjährigen Mittel – 1.6 Grad. Was das heisst? Nehmen wir an, bis 2050 sind die meisten Gletscher ausser dem Aletschgletscher verschwunden. Wir werden im Winter nach wie vor recht massive Niederschläge haben. Aber diese werden nicht mehr in Gletschereis gespeichert. In den Wintermonaten gibt es mehr Hochwasser – in heissen Sommern Trockenheit. Die Extreme werden zunehmen. Die Klimafolgeforschung gibt mir sehr zu denken. Man rechnet, dass der Bodensee in den heissen Sommermonaten einen ein bis drei Meter tieferen Pegelstand aufweisen wird. Das bedeutet, dass sich auch das Grundwasser erwärmt und mehr schädigende Keime aufweist. Wir werden mit neuen Krankheiten Probleme bekommen.
Wann geschieht das?
In 30 Jahren.
Dem sind wir also ausgeliefert?
Ja. Wenn wir von heute auf morgen all unsere Emissionen einstellen würden, dann gäbe es vielleicht eine Chance. Aber das müsste weltweit geschehen.
Ein anderes Beispiel für eine Klimafolge in der Schweiz: Das Lavauxgebiet mit seinen vielen Weinbergen (UNESCO-Welterbe, Anm. d. Red.). Eine neue Publikation sagt: Bei zwei Grad höheren Jahresdurchschnittstemperaturen kann man die Chasselat Trauben vergessen. Sie halten diese grössere Wärme nicht mehr aus. Und wenn wir das Welterbe, also auch die Rebberge, aufrechterhalten wollen, dann muss man jetzt beginnen, hitzebeständigere Trauben anzupflanzen, zum Beispiel Merlot oder Shiraz. Aber Chasselat und Pinot gris, diese Sorten kann man bei uns in der Schweiz vergessen.
Im Moment realisieren viele die Grenzen des Wachstums. Jetzt steht die Ecopop-Initiative an. Was sagen Sie dazu?
Ich glaube, da wird das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Das ist Chabis, völliger Blödsinn! Wir müssen bei uns anfangen. Wir müssen nicht mit dem Finger auf den Anderen zeigen. Jeder ist ein Mosaiksteinchen. Aber wenn niemand beginnt… Wir müssen nicht mit Ecopop und Einwanderungsinitiativen kommen. Die Leute kommen wegen unseres Wohlstands. Das sind nicht die, die uns die Umwelt versauen – sicher nicht. Das sind die, die helfen, unseren Wohlstand aufrecht zu erhalten. Könnten wir nicht ein bisschen mehr über unseren überbordenden Wohlstand nachdenken?
Der «Wetterfrosch» hatte immer etwas Pädagogisches. Sie wollten die Leute aufklären. Gebracht hat es scheinbar nicht viel. Sind Sie frustriert?
Nein, ich bin nicht frustriert. Ich höre nämlich immer wieder, wie gerne die Leute die «Wetterfrosch-Sendung» am Samstagmorgen gehört haben und – dass ich sie doch manchmal zum Nachdenken angeregt habe. Ich halte nach wie vor viele Vorträge. Dort versuche ich ein ganzheitliches Denken zu vermitteln, wie ich es ja schon am Radio tat. Ein jüdischer Rabbiner hat mir einmal Folgendes erzählt: In der Bibel steht: «Macht euch die Erde untertan». Der Rabbi meinte, das sei mit grösster Wahrscheinlichkeit ein Übersetzungsfehler aus dem Hebräischen. Richtig müsste es heissen: «Macht euch der Erde untertan».
Das Gegenteil?
Ja (lacht). Der Mensch hat als höchst entwickeltes Geschöpf viele Freiheiten. Mit diesen soll er etwas machen. Der Mensch ist das Lebewesen, das in zeitlichen Dimensionen denken kann. Aber der Mensch soll nicht meinen, dass er die Natur je einmal beherrschen wird.
Der Schöpfer hat uns Menschen die Freiheit gegeben, zu forschen und vieles zu entdecken. Aber wir sollen daraus nicht etwas machen, das gegen uns, gegen die Welt gerichtet ist. Wir Menschen meinen nämlich zunehmend, dass wir alles beherrschen müssen und überall in Kreisläufe und Gleichgewichte eingreifen. Das bereitet mir Sorgen.
In einem Interview haben Sie gesagt, der Mensch sei Teil der Schöpfung. Wie wichtig ist Ihnen die Religion?
Ich bin überzeugt, dass die Natur, die sich selbst reguliert und organisiert, kein Zufall ist. Da muss ein Schöpfer hinter dieser Schöpfung sein. Wie man diesen Schöpfer nennt, ob «Gott» oder «Allah» oder «Brahma» und so weiter, hängt von der Religionszugehörigkeit ab. Für mich steht das Ganzheitliche im Vordergrund. Das ist doch alles sehr interessant und darum engagiere ich mich auch in unserer Kirchgemeinde als Lektor.
Gibt Ihnen dieser Glaube Halt in der Frustration über den Menschen?
Ich verspüre keine Frustration. Der Mensch ist noch nicht verloren. Aber: Er wird in tausend Jahren anders aussehen. Der Mensch hat es immer wieder verstanden sich anzupassen. Sein Geist und seine Schöpferkraft werden ihm helfen. Es ist zum Beispiel faszinierend, wie sich die Technik entwickelt hat. Es entstehen immer wieder neue Technologien, die unsere Erkenntnisse verändern. Ich glaube nicht, dass der Mensch verloren ist, aber wir müssen uns auf enorme Veränderungen einstellen.
Jean Ziegler sagt: Die Erde verträgt noch mehr Menschen, wenn wir mit den Ressourcen richtig umgehen. Andere sagen, wir sind bereits jetzt zu viele.
Ich nehme einen Mittelweg. Ich denke, die Erde verträgt noch wenige Milliarden. Aber sicher nicht zu den heutigen Bedingungen. Wir müssen unseren Luxus zurückschrauben, um Menschen in Entwicklungsländer mehr zu ermöglichen. Dazu engagiere ich mich auch im Präsidium der Caritas Schweiz.
Ich bin jetzt 67 Jahre alt. Wenn ich 100 Jahre alt werde, dann geht das mit den Folgen so richtig los. Meine Grosskinder sind dann zwischen 30-40 Jahre alt. Was hinterlassen wir, die Generation, die den Luxus aufgebaut und von ihm profitiert hat, den Kindern der Zukunft. Was hinterlassen wir?
Es gibt Leute, die sagen: Heute noch Kinder zu haben sei nicht mehr verantwortungsvoll.
Diese Argumentation kann als logisch angesehen werden. Aber irgendwann bricht die Altersvorsorge zusammen. Wir müssten nur den Überfluss abbauen. Doch ich sehe nirgends Anzeichen dafür.
Sie sagen: Jeder muss bei sich selber beginnen, da die Politik bisher versagt hat. Ist es nicht auch schwierig, als einzelne Person etwas zu tun?
Ja, aber wir müssen trotzdem beginnen und dann halt «Seilschaften» aufbauen, gemäss dem Motto: «Vereinte Kraft macht stark».
Machen das nicht schon viele Leute?
Vielleicht.
Dann braucht es die Politik…
Schon. Aber dann kommt ein Politiker, der sagt, wir müssen den Benzinpreis erhöhen. Der Politiker wird nicht mehr gewählt. Es ist eben unglaublich komplex. Ich fliege zum Beispiel nicht mit Easy Jet nach Barcelona oder nach Thailand zum Golfen. Ich bleibe lieber in der Schweiz, wo ich viele Winkel von diesem schönen Land noch gar nicht kenne.
Da haben Sie Ihre persönliche Linie. Haben Sie das Recht, jemanden, der das nicht so wie Sie macht, zu kritisieren?
Nein, aber ich kann sagen: Das würde ich nie machen. Lehren ist eines – belehren etwas anderes. Ich wollte die Leute nie belehren, sondern sie zum Denken anregen.
Zum Schluss noch eine Frage zum Generationendialog, den ja UND Generationentandem fördert. Was halten Sie von den Jungen?
Ich halte viel von den heutigen Jugendlichen! Man hört und liest immer nur das Negative – aber das verkauft sich auch besser. Es gibt sehr viele Jugendliche, die die Probleme sehen, welche auf sie zukommen. Sie nehmen zum Beispiel heute schon sehr häufig die öffentlichen Verkehrsmittel. In meiner Jugend wäre noch mehr Töffli gefahren worden. Und man hat sie noch frisiert (lacht). Ich kann nicht sagen, dass die heutige Jugend schlechter ist als früher. Im Gegenteil: Sie ist viel früher reif, als wir es waren und das lässt bei mir für die Zukunft Hoffnung und Zuversicht aufkommen.
UND mehr zum Thema
Ein Bericht, der aus diesem Gespräch mit Mario Slongo entstand, ist in der Sommerausgabe von UND-print zu lesen. Die Ausgabe gleich hier bestellen.