Das Generationenforum «Generationenwohnen – Utopie oder Mehrwert» vom Oktober 2020 hier im grossen Rückblick. Die Diskussion zum Nachschauen, die Zusammenfassung des Podiums und die Vorstellung verschiedener Generationenwohnprojekte.
Beteiligte:
Samuel Müller, Patrick Liechti (Technik)
Marco Kauer (Moderation)
Marianne Scheuter (Text)

Mit der zunehmenden Urbanisierung in unserem Land haben sich auch unsere Wohn- und Lebensformen verändert. Obwohl wir viel näher zusammenwohnen, führt das verdichtete Bauen nicht zu mehr Gemeinschaft, sondern oft zu mehr Anonymität. Das «Stöckli» für die Alten neben dem Bauernhof, die dörfliche Gemeinschaft sind für immer weniger Menschen Lebensrealität. Und wir vereinsamen immer mehr in Kleinfamilien, in fast leerstehenden Häusern, wo die Jungen ausgeflogen sind, in der Studiowohnung in einer Satellitensiedlung.
Gemeinschaftliche Wohnformen
So wundert es nicht, dass viele Menschen – jung und alt – dieses «Kleinzellen-Dasein» leid sind und nach Formen des gemeinsamen Wohnens suchen. Austausch, Begegnung, zum Teil explizit ein generationenübergreifendes Zusammenleben mit Rückzugsmöglichkeit und Selbstbestimmung einerseits, aber auch mit geteilten Aktivitäten und Räumen sind gesucht. Wohnen darf mehr sein als die eigenen vier Wände. Allmählich entwickeln sich schweizweit, auch in Thun, konkrete neue Formen des gemeinsamen Wohnens.
Infomärit via Zoom: Generationenwohnprojekte stellen sich vor
Im Fernsehstudio
Grundlage der Diskussion sind Gedanken von Menschen aller Generationen in Videoform. Marco Kauer (27) moderiert das Podium (ganz oben im Beitrag).
Vera Aebi (40), Zukunft Wohnen engagiert sich gemeinsam mit dem Team der WBG ZUKUNFT WOHNEN dafür, die Vision von einem zukunftsweisenden Wohn-Pionierprojekt (auch) in Thun Realität werden zu lassen.
Fabian Gugger (33), Stuckimatte: «Der Wunsch nach gemeinschaftlichem Wohnen ist bei mir schon länger vorhanden. Mit wohnenplus ist dieser nun erhört worden und ich kann nun meine ersten Erfahrungen sammeln.»
Markus Widmer (61), Gemeinschaftliches Wohnen: «Sich für ein gemeinsames Ziel einsetzen und sich gemeinsam auf den Weg machen.»


Das Podiumsgespräch findet im UND-Raum statt und wird auf verschiedenen Kanälen live übertragen. Die ZuschauerInnen können laufend Fragen stellen. Der Raum hat sich in ein kleines «Fernsehstudio» verwandelt – mit Kameramann, Tontechniker und Techniksupport. Eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten, weil der Anlass doch ursprünglich als öffentliches Event geplant war und nun das Publikum fehlt. Überraschend lebendig und vielfarbig, engagiert und pointiert entwickelt sich das Gespräch.
Die Projekte der Gäste
So verschieden wie die drei Podiumsteilnehmer sind, sind auch ihre Erfahrungen und Ziele. Was sie verbindet, ist der Wunsche nach gemeinschaftlichem Wohnen.

Vera Aebi und das Team WBG ZUKUNFT WOHNEN Wohn- und Begegnungsraum für viele Menschen aller Generationen schaffen. Das Ziel ist eine Siedlung mit gegen 200 Wohneinheiten, die auch eine Infrastruktur anbietet: Quartierladen, Café, KITA und mehr. Nachhaltiges Wohnen, regionale Verankerung, ein lebendiges Miteinander von Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund sind zentrale Ziele. Die Genossenschaft sucht in Zusammenarbeit mit der Stadt Thun einen geeigneten Ort, möglicherweise das Areal Bostudenzelg zur Realisierung des Projektes. Weitere Interessenten sind willkommen.

Fabian Gugger zieht demnächst in die neue Siedlung Stuckimatte in Steffisburg als Mieter ein. Das Projekt wurde vom Architekturbüro Stucki von Anfang an für gemeinschaftliches Wohnen konzipiert. Es gibt grosszügige Begegnungsräumen wie Dachterrasse, gemeinsamer Garten, weitläufige Treppenhäuser. Die künftigen MieterInnen hatten keine Mitsprache, wurden aber von einer Kerngruppe sorgfältig auf eine gute Durchmischung und gemeinsame Werthaltungen ausgewählt. Fabian Gugger schaut neugierig und optimistisch der neuen Erfahrung entgegen.

Markus Widmer lebt nach der Familienphase im Eigenheim nun seit einem Jahr mit seiner Frau und drei anderen Paaren in einem grossen Haus an der Jungfraustrasse 21 in Thun. Gemeinsam haben sie eine 4-jährige Planungs- und Umbauphase bewältigt. In einer älteren Liegenschaft sind pro Paar je eine identische kleine Wohnung entstanden. Die grosse Parterrewohnung und der Garten werden gemeinschaftlich genutzt. Er ist überrascht, wieviel gemeinsame Aktivitäten in der neuen Wohnform gelebt werden.

Wie es funktioniert
Im Gespräch zeigen sich neben der Unterschiedlichkeit der Wohnformen gleichwohl viele gemeinsame Erfahrungen, Empfehlungen und Grundsätze – hier auf den Punkt gebracht.
- Generationenübergreifendes und gemeinschaftliches Wohnen bedingt eine persönliche Klarheit und Zielfokussierung. Ist dies für mich die passende Zukunft? Welches Projekt passt zu meinen Bedürfnissen?
- Hohe Motivation, gemeinsames Engagement, Geduld und Beharrlichkeit sind die Zutaten, damit ein Projekt realisiert werden kann.
- Welche Werte und Haltungen will ich in Gemeinschaft leben? (Nachhaltigkeit, Verbindlichkeit, gemeinsame Aktivitäten, Füreinander da sein…)
- Wie ist die Balance von Individualität und Gemeinschaft? Welchen Grad an Rückzug brauche ich?
- Wie werden Differenzen und Krisen bewältigt, wie werden Entscheide getroffen? Demokratisch, einstimmig, mit Hilfe einer Mediation? Differenzen entstehen in Gemeinschaften sowieso. Deshalb sollten Methoden zur Konfliktbereinigung von Anfang an bereitstehen.
- Wie ist die Gemeinschaft hierarchisch organisiert?
- Gemeinsame Werte und Ziele werden idealerweise bereits in der Planungsphase geklärt.
- Architektur kann trennen oder verbinden.
- Die Anzahl der MitbewohnerInnen hat einen grossen Einfluss auf Nähe, Gemeinsamkeit, Verbindlichkeit und Vertrautheit. Die individuell richtige Grösse der Gemeinschaft bestimmt das Wohlbefinden in dieser Wohnform. Je kleiner die Gruppe, desto besser muss die Chemie stimmen.
- Gibt es Leistungsverpflichtungen oder kann ich mich nach Bedarf einbringen?
- Gemeinschaft muss wachsen. Zu grosse Erwartungen sind gefährlich. Gespräche und Geduld gehören zum Prozess.
Nur ein Hype?
Marco Kauer kommt zur Schlussfrage. Ist generationenübergreifendes Wohnen nur ein gesellschaftlicher Hype?

Vera Aebi bedauert, dass es in Thun nicht genug neue Wohnformen gibt. Das Bedürfnis nach gemeinsamem Wohnen widerspiegle den Zeitgeist. Mehr Menschen möchten heute lieber teilen als besitzen. Es brauche neben Bestehendem auch neue Wohnformen.
Fabian Gugger sieht darin mehr als einen kurzfristigen Trend. Menschen sind gemeinschaftliche Wesen und brauchen Begegnung. Wer eine neue Wohnform sucht, muss selber aktiv werden, sich über Bestehendes informieren, Neues entwickeln. Neben neuen Projekten benötigt es auch bisherige Wohnformen.
Der Hype besteht wohl eher im Bedürfnis nach Reduktion und Entschlackung, findet Markus Widmer. Besitz ist auch Last. Es ist auch ökologisch sinnvoll, Wohnraum zu verdichten. Die zunehmende Isolation, vor allem bei jungen und alten Alleinstehenden macht Menschen krank.

Was ist UND Generationenforum?
UND Generationenforum ist die Denk- und Machfabrik der Zivilgesellschaft in und um Thun. Viermal im Jahr sollen Menschen verschiedener Generationen zusammenkommen und über ein für sie relevantes Thema diskutieren, Inputs hören und ihr eigenes Wissen weitergeben. Dies in Form von Podien und Workshops. Konkrete Projekte und Positionen sollen das Ergebnis von UND Generationenforum sein. Das Forum ist politisch und konfessionell unabhängig und wird vom Verein UND Generationentandem organisiert. Entstanden ist es nach der Auflösung des Seniorenrates im April 2019. Die Stadt Thun fokussierte danach auf das «Miteinander der Generationen» – so wurde der Verein «und» Generationentandem unterstützt. Der Verein wiederum organisiert nun UND Generationenforum zu verschiedensten Themen. Diskutiert wurde bereits über Einsamkeit, Kommunikation und Klimanotstand