Hast du schon einmal in einer WG gewohnt, Gaby?
Gaby: Nein, das habe ich nie, dieses Bedürfnis hat mich nie gepackt.
Welche Gründe hielten dich davon ab?
Gaby: Ich teilte lange ein Zimmer mit meinen Geschwistern. Erst als unsere Eltern in eine 4-Zimmer-Wohnung umziehen konnten, bekam ich ein eigenes Zimmer. Da stand ich kurz vor dem Start in meine KV-Lehre. Eigene vier Wände zu bewohnen, empfand ich damals als riesiges Privileg. Mit 20 Jahren zog ich von zuhause aus in eine kleine 1.5-Zimmer-Wohnung, worauf ich sehr stolz war. Das erste Mal selbstständig in einer eigenen Wohnung zu leben, war für mich ein tolles Lebensgefühl. Diese Wohnung mit jemandem zu teilen, hätte ich mir damals nicht vorstellen können.

Könntest du dir heute vorstellen, in einer WG zu wohnen?
Gaby: Jein. Diskussionen mit FreundInnen und Bekannten drehen sich häufig ums Thema «Alters-WG». Darüber reden ist das Eine. Die Umsetzung eines solchen Projektes ist jedoch mehr, als nur darüber reden. Über die Besetzung einer solchen WG ist man sich meist rasch und eher oberflächlich einig: Mindestens eine Person sollte noch gut sehen, eine andere noch gut hören und eine weitere noch gut gehen können. Heutzutage wäre es sicherlich hilfreich, wenn in eine solche Alters-WG ein digitales Genie mit an Bord genommen werden könnte. Weiter sind mit Vorteil alle MitbewohnerInnen überaus tolerant und anpassungsfähig.
Ich denke, alleine alt zu werden, ist niemandes sehnlichster Wunsch. Doch meine Hürde, in einer Alters-WG zu wohnen, ist im Moment zu hoch. Es bräuchte, meiner Meinung nach, mehr altersdurchmischte genossenschaftliche Wohnmöglichkeiten, mit sowohl individuellen als auch gemeinschaftlichen Wohnbereichen. Im günstigsten Fall könnten sich die dort lebenden Menschen gegenseitig unterstützen, so weit dies gewünscht und möglich wäre. In einer solchen Wohnumgebung zu leben, könnte ich mir vorstellen.
Was hat sich deiner Meinung nach in Sachen gemeinsames Wohnen in den letzten Jahrzehnten verändert?
Gaby: Meine 68er-Generation hatte das Bedürfnis, möglichst rasch von zuhause auszuziehen. Oft waren die Wohnverhältnisse eng. Vor allem ging es aber darum, frei und unabhängig zu sein, möglichst rasch der elterlichen Kontrolle zu entkommen. Ich spreche aber auch von einer Zeit, in der das unverheiratete Zusammenwohnen mit einem Freund oder einer Freundin (noch) nicht legitim war. Um eine Wohnung zu mieten, musste man verheiratet sein.
Heute, so meine Wahrnehmung, ist es eher so, dass junge Leute wieder wesentlich länger bei den Eltern wohnen bleiben und sich offenbar dabei auch gut aufgehoben fühlen. Sicherlich spielen finanzielle Gründe mit: Das Wohnen bei den Eltern ist günstiger als eine eigene Bleibe und bietet oft auch weiterhin eine Rundumbetreuung. Wie weit das Nicht-Alleinsein-Wollen oder -Können eine Rolle spielt, möchte ich als Frage an dich weitergeben. Aktuell sind die Medien voll mit Berichten über sich einsam fühlende Jugendliche.
Was denkst du, Melina, hat dies einen Einfluss auf das Wohnbedürfnis junger Menschen?
Melina: Ich denke, heute ist das Bedürfnis nach Alleinsein ganz unterschiedlich. Ich kenne junge Menschen, welche alleine wohnen oder sich dies sehr wünschen. Sie fühlen sich auch nicht einsam, sondern sind sehr vernetzt. Mit den heutigen sozialen Medien ist man auch schnell an einem Fest oder einer Zusammenkunft und wird spontan informiert. Bei mir war es so, dass ich als Letzte von meinen Geschwistern von zuhause ausgezogen bin. Ich war 20 Jahre alt, frisch am Studieren und wollte einfach unter die Menschen. Zuhause auf dem Land fühlte ich mich oft alleine, und das Suchen nach einer Wohngemeinschaft stand im Vordergrund.

Den eigenen Haushalt zu führen, die eigenen Regeln aufzustellen, dies alles war mir wichtig. Natürlich muss man neben dem Studium jobben, um die Miete finanzieren zu können. Doch genau dies ermöglicht einem doch die Unabhängigkeit und den Einstieg in das Berufsleben, neben dem oft sehr theoretischen Studium. Natürlich habe ich auch viel Glück gehabt mit meinen Mitbewohnerinnen und der günstigen Miete. Heute eine gute und günstige Wohnung in der Stadt Bern zu finden, gestaltet sich eher schwierig. Ich denke, diese Mietpreise und die hohen Ansprüche an die erste Wohnung führen dazu, dass die Jungen manchmal eher spät von zuhause ausziehen.
Was denkst du über eine altersdurchmischte Wohnform?
Melina: Rein rational finde ich die Idee super. Es würde sich in vielen Aspekten lohnen. Dadurch findet ein Generationenaustausch statt, es treffen Studierende auf Berufstätige oder Pensionierte, es wird aufeinander geschaut, die Jungen profitieren von der Lebensweisheit, die Älteren von Unterstützung im Alltag, und so sind die Menschen weniger einsam. Für mich macht es aber einen grossen Unterschied, ob die WG nur aus gegenseitig verwandten Jungen und Alten besteht, oder ob man einander nur bekannt ist oder sich vorher nicht gekannt hat.

In einem Mehrgenerationenhaus zu leben könnte ich mir nicht vorstellen. Da brauche ich heute noch zu sehr Abstand und fürchte, jemand könnte mir dreinreden. Aber vielleicht ist dies nur die Ablösungsphase und ich werde anders denken, wenn ich einmal selber Kinder habe.
Meine Wunschvorstellung für die Zukunft mit Familie wäre eher, dass ich mit all meinen Freunden in einem grossen Haus mit verschiedenen Wohnungen wohne, mit einem gemeinsamen Garten und einem Hund. Ich würde es aber eher vorziehen, mit Gleichaltrigen zu leben!
Ich bin bald 65 und denke, alleine in einem Haus alt zu werden, ist niemandes Wunsch. Doch meine Hürde, in einer Alters-WG zu wohnen, ist im Moment einfach zu hoch. Meine Freiheit ist mir sehr viel wert.