Es ist DER Treffpunkt für Strick-und Häkelbegeisterte in der Thuner Altstadt: der Laden mit dem Namen «wlw», einer Abkürzung für «wir lieben Wolle». Tritt man ins Wollgeschäft an der Oberen Hauptgasse ein, befindet man sich inmitten wunderbarer Farben und schmeichelhafter Garne. Doch nicht nur diese geben warm, sondern auch die Stimme aus dem hinteren Teil des kleinen Raumes, die mich warmherzig begrüsst. Es ist Charlotte Schmid, die Besitzerin dieses Paradieses. Wir haben uns für ein Gespräch verabredet. Obwohl ich bereits seit Jahren in diesem Laden ein-und ausgehe, mir Wolle, Garne, Fasern bekannt sind, tauchen mir immer wieder Fragen auf.Zum Beispiel, wann man von Wolle spricht und wann von Garn? «Diese beiden Begriffe auseinander zu halten, ist ganz einfach», meint Charlotte Schmid. «Alle Fasern, welche entweder durch Spinnen oder Drehen zu einem Endlosfaden verarbeitet sind, nennt man Garne. Es ist der Oberbegriff. Wolle hingegen kommt immer vom Tier.»
Aber warumspendet Garn eigentlich Wärme? Charlotte erzählt weiter: «Wie beim Menschen sind auch die Haarevon Tieren schuppenartig aufgebaut. Zusätzlich speichert sich in den Hohlräumen die Wärme. Die Isolation ist allenFasern gemeinsam–auch synthetisch hergestellten. Einen grossen Unterschied macht die Herkunft der Wolle.Besonders Tiere aus kalten Regionen, wie Shetland-und Islandschafe, müssen besonders gut geschützt sein. Diewärmste Wolle überhaupt ist die des Moschusochsen. Da sie selten geworden sind unddie Wollfetzchen nur vonBüschen und Bäumen gesammelt werden können, hat sie auch ihren Preis.»Immer wieder höre ich Menschen sagen, dass sie allergisch auf Wolle reagieren. Doch Charlotte Schmid weiss vonKundInnen, dass meistens nicht eine allgemeine Woll-Allergie besteht. Häufig ist jemand entweder auf Alpaka oderMohair allergisch und nicht auf beide Fasern. Sehr selten erlebt sie eine Kaschmir-Allergie
Kaschmir–biologisch?
Als Kaschmir bezeichnet man das Unterfell der Kaschmirziege. Jedes Tier liefert nur etwa 100 Gramm pro Jahr. Daher ist diese Wolle sehr wertvoll. Weil die Tiere sehr viel Ungeziefer im Fell haben, muss die ausgekämmte Wolle chemisch gewaschen werden. Daher ist die Bezeichnung Bio-Kaschmir falsch. Leider wird mit Kaschmirziegen in China und der Mongolei sehr brutal umgegangen
Tierwohl und Umwelt
Darf man als TierfreundIn eigentlich Wolle verstricken? «Wie in anderen Bereichen des Lebens wächst zum Glück auch das Bewusstsein für tier-und umweltfreundliche Garne stetig», meint Charlotte dazu, «ein grosses Problem ist zum Beispiel der quälende Umgang mit den Merinoschafen in Australien. Dank Filmen auf Youtube und anderen Kanälen wurde das sogenannte Mulesing bekannt. Dabei wird den Lämmern rund um die Schwanzgegend die Haut, ohne diese unempfindlich zu machen, entfernt. Das soll vor dem Befall von Fliegenmaden schützen. Dank den Nachfragen von den AbnehmerInnen der Wolle wächst aber der Druck gegen diese schmerzhafte Prozedur.» Auch im wlw findet man immer mehr Wolle, welche mulesingfrei produziert ist. Das Färben der Garne durch Chemikalien kann ebenfalls sehr umweltschädigend sein. Doch die KonsumentInnen sowie die Klimabewegung fordern ein Umdenken. Das spüren HerstellerInnen und Produzenten zunehmend.
So gibt es zum Beispiel Garne, welche aus Abfällen der Stoffindustrie gewonnen werden und ein zweites Leben bekommen. Also gibt es Wolle, welche tierfreundlich, umweltschonend und auch menschenwürdig hergestellt ist? «Ja», meint Charlotte Schmid: «Die Bestrebungen werden immer grösser. So schaut beispielsweise die Marke Rosy Green Wool nicht nur zu den Tieren, sondern auch zu den Menschen. Aber auch andere Hersteller bieten ihren jeweiligen Arbeitskräften Schutz und ein menschenwürdiges Umfeld.»Wenn Wolle also ohne Leid produziert wurde, ist es eindeutig vertretbar, dass auch Tierfreundinnen sie verwerten.Ob Ziegen, Schafe oder Alpakas–diese Tiere müssen geschoren werden, da ihr Fell stetig wächst.
Alternativen zum Tierhaar
Wer ganz auf Garne tierischen Ursprungs verzichten möchte, findet bei Charlotte Schmid ebenfalls ein grossesAngebot. Neben der allbekannten Baumwolle trifft man bei ihr auch auf Knäuel aus Papier, Leinen und Hanf.
Vergebens sucht man aber nach rein synthetisch hergestellten Fasern. Obwohl diese auch isolieren, haben sie den grossen Nachteil, Feuchtigkeit nicht aufnehmen zu können und nicht atmungsaktiv zu sein. Daher schwitzt und riecht man in solchen Kleidern schnell. Auch verlieren sie schnell ihre Form, weshalb man häufig Tier-und Naturfasern mit Kunstfasern mischt. Der Vorteil von synthetischen Fasern ist der günstigere Preis.
Selbst stricken?
Habe ich nun bei jemandem die Lust geweckt, selbst etwas zu stricken oder häkeln? Ich fragte Charlotte Schmid, worauf ich bei der Wahl des Garns achten solle:
- Was passt zu meiner Anleitung, zu meinem Stück?
- Was soll dessen Funktion sein?
- In welcher Farbe?
- Bin ich auf ein Material allergisch?
- Wie viel möchte ich in das Garn investieren?
Und wenn dann das selbstgemachte Stück fertig ist, noch ein Tipp vom Profi: «Wollenes nicht zu häufig waschen. Das mag sie nicht. Besser an der frischen Luft auslüften lassen. So regeneriert sie sich von selbst.»Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Überbegriff aller zu einem Endlosfaden verarbeiteten Fasern Garne sind. Sie speichern die Körperwärme dank den Lufteinschlüssen. Ob sich jemand für oder gegen Fasern tierischen Ursprungs, also Wolle, entscheidet, ist Geschmackssache. Das Team bei wlw schaut beim Einkauf seiner Garne aber sehr genau auf das Tierwohl, die Ökologie und die Menschenwürde. Handarbeitet man also mit Garnen von Charlotte Schmids Paradies, kann man das mit gutem Gewissen tun.
Vikunjawolle–das Gold unter allen Fasern
Die teuerste und edelste Wollsorte überhaupt ist die der Vikunjas, eine Kamelwolle. Die scheuen Kamele ohne Höcker lebenfrei und werden nur alle zwei Jahre fürs Scheren zusammengetrieben. Ein Knäuel von 100 Gramm kostet etwa 900 Euro!
Baumwolle vs. Flachs
Der Anbau und die Pflege von Baumwolle gelten als sehr umweltschädigend. Die riesigen Felder werden kaum im Fruchtwechsel angebaut. Wegen der langen Wachstumszeit der Baumwolle können auch keine Zwischenfrüchte gegen das Unkraut und die Verbesserung des Bodens eingesetzt werden. Baumwolle ist unter allen landwirtschaftlichen Produkten dasjenige mit dem grössten Verbrauch an Pestiziden. Auch der Wasserverbrauch ist enorm: Für die Produktion eines Baumwoll-T-Shirts werden bis zu 2’000 Liter Wasser benötigt.Bis ins 19. Jahrhundert wurde in der Schweiz Flachs produziert. Die Baumwolle verdrängte ihn aber zunehmend. Erst in den letzten Jahren wird er nun wieder bei uns angebaut. Hier herrschen ideale Temperaturen und genügend Niederschlag. Der Vorteil ist, dass sein Wasserverbrauch sechsmal kleiner ist. Auch die im Baumwollanbau stark eingesetzten Pestizide braucht der Flachs nicht mehr im selben Ausmass. Bereits gibt es Bestrebungen, die Schwingerhosen aller Schweizer Vereine aus Schweizer Leinenstoff herzustellen.
Alle Informationen in den Kästen aus dem Buch «HandbuchGarne» von Penny Walsh, www.bauernzeitung.ch | www.edlerzwirn.com |www.pasquali.de