Worüber können – und wollen – wir heutzutage lachen? Über Donald, Wladimir, Boris oder Doris? Trotz weinendem Auge? Gierige Geschäftemacher, korrupte Machthaber, pädophile Priester: Wie kommt man denen bei – etwa mit Humor? Und die Klimakrise: Darf man sich darüber amüsieren? Solche Fragen haben sie sich auch 2019 gestellt, die Cartoonistinnen, die Karikaturisten. Und wie immer seit Jahren wird ihre Ernte vorgeführt (in der Ausstellung bis 9.2.2020). Zahlreiche mehr oder weniger bekannte Schweizer Presse-ZeichnerInnen präsentierten sich mit je fünf Bildern. Daraus haben wir die folgenden Beispiele ausgewählt, weil sie uns gefallen, aber uns auch zum Nachdenken über diese Kunst und ihre Wirkung anregen.
Ui, ui, Ueli…
Elisabeth Jost (66): Eine Karikatur soll mich «anspringen», das heisst die Aussage der Illustration packt sofort meine Aufmerksamkeit und die Art der Zeichnung gefällt mir. Die Sprechblasen oder beigefügten Kommentare sind das Sahnehäubchen und lassen mich zusätzlich schmunzeln oder sogar auflachen. Einer meiner Favoriten war die Zeichnung über Ueli Maurer und die Uiguren. Viele Leute ärgern sich über die Haltung unserer Regierung und der Behörden im Umgang mit China. Diese wissen zwar um die Menschenrechtsverletzungen, die Umweltprobleme und die unnachgiebige Haltung gegenüber Oppositionellen, aber all dies darf bei Kontakten nicht die guten Geschäftsaussichten beeinträchtigen und muss deshalb möglichst umgangen werden. Der grosse Bruder soll auf keinen Fall verärgert sein. Dies führt zu einer übervorsichtigen Haltung und der verzweifelten Suche nach Erfolg versprechenden Ausweichmanövern. Dabei kann ein Magistrat schon mal ins Schwitzen kommen… Vor allem die Körpersprache und die Mimik der beiden Figuren finde ich sehr aussagekräftig. Und Uelis Ausspruch wirkt anfangs so hilflos, findet aber einen typisch schweizerisch-eleganten Ausweg – einfach grandios!
Viel Bild – wenig Worte
Margrit Roth Stadler (73): Striche, die zu Zeichnungen werden, sollen das Thema treffen – zur Pointe werden. Die Bilder können bissig-böse-sarkastisch – überspitzt –, aber auch liebevoll aufs Papier gebracht werden. Sie sollen mich zum Denken anregen. In reduzierter Weise soll Wahrem oder Ärger Ausdruck verliehen werden. Bewusst gewählte Farben sollen das Bild unterstützen. Dazu ein minimaler Text, im Sinne von: Ein Bild ersetzt 1000 Worte.
Das in Lachs-Fleischfarbe gehaltene Gesicht von Donald Trump ist absolut minimalistisch vor schwarzem Hintergrund gesetzt. Seine beiden Markenzeichen – die Haartolle, der Karpfenmund – sind deutlich erkennbar. Hat er gerade in die Welt hinaus gezwitschert? Fünf Worte als Text und die Welt erstarrt erstaunt und nimmt schmunzelnd zur Kenntnis, dass ER keine Karikaturen mehr duldet.
Beim andern Bild sind die Farben hübsch gewählt – fast ein Foto – liebevoll gestaltet. Die Pointen sind auf den Punkt gebracht. Eigentlich bleibt einem der Bissen im Hals stecken. Wir alle wissen darum: Venedig versinkt. Seufz seufz: Unter uns liegt die Seufzerbrücke.
Die Macht weniger Striche
Miriam Weber (20): Ein Schiff, ein Mann und zwanzig Worte. Mehr brauchen Karikaturen nicht, um mich von ihren Ideen zu überzeugen. America first: Entstanden ist die Karikatur aus dem Nebelspalter im Juli 2019, als die New York Times ihren täglichen politischen Karikaturen ein Ende setzte. Ausgelöst wurde dieser einschneidende Schritt durch die Veröffentlichung eines «antisemitischen» Comics über Trump, der in der Zeichnung den Israelitischen Präsidenten Benjamin Netanyahu in der Form eines Hundes an der Leine führt. Auf die Veröffentlichung folgte ein Shitstorm und die renommierte Zeitung entliess ihre Karikaturisten. Satire darf doch nicht alles! Umso schöner, dass der Karikaturist Trump zu dem umwandelte, was er zerstören wollte und konnte: einer Karikatur der New York Times. Hätten die Zeichnungen der kritischen Karikaturisten doch alle eine solche umkehrende Magie, wer weiss, dann wäre Trump ein feministischer Pazifist und Venedig würde trotz des Klimawandels doch nicht versinken. Was natürlich sehr zu wünschen wäre, denn die «Zukunft des Fliegens» sieht weder für Touristinnen noch für die Italiener rosig aus. Die Pointe der geschickten Karikatur könnte den Untergang der Stadt heilsam überleben – das wiederum nur so lange, wie es die (wachsende?) Zensur zulassen wird.
Ist nur Wahres lustig?
Lara Thurnherr (19): Ich habe eine Zeichnung von Ernst Mattiello gefunden, die mir sehr gefällt. Obwohl der Witz «meiner» Karikatur, wie du, Heinz, sagst, mehr auf Sprache als auf Darstellung baut, spielt auch sie mit einer Metapher. «Alle müssen einfach am gleichen Strick ziehen», ist so einfach gesagt. In dieser Karikatur wird dieser Satz als leere Floskel entlarvt, als massive Vereinfachung eines Problems, dessen Lösungsweg eben nicht nur offensichtlich ist. Auch wenn das Ziel klar ist, kann man sich uneinig sein, welcher Weg am schnellsten dorthin führt. Es stört mich, wenn jeder Lösungsvorschlag, der nicht dem eigenen entspricht, auf Faulheit, Gier oder Bosheit zurückgeführt wird. Ob ich die Karikatur nur deshalb so gut finde? Es ist schließlich befriedigend, die eigenen Gedanken so anschaulich dargestellt zu bekommen. Aber ist das die Aufgabe von Karikaturen?
Zwei Treppen
Heinz Gfeller (70): Diese Zeichnung von Tony Marchand aus Biel gefällt mir, weil sie so einfach daherkommt, aber viele Gedanken anstösst. Aus diesen Gründen finde ich sie, obwohl das Problem ernst ist, «lustig». Ebenso die hübschen Figuren, die mit wenig Aufwand – ihrer Mimik, ihrer Körperhaltung – das Wesentliche zeigen. Es braucht ein einziges Wort («Karriere»), um die Idee klarzustellen; ja, vielleicht brauchte es nicht einmal das, so wenig wie die Symbole für männlich/weiblich. Ein Gegensatz zu «deiner» Zeichnung, Lara, in welcher der Text das Entscheidende ist. Bei Tony Marchand ist die Botschaft krass vereinfacht: So riesige Stufen haben die Frauen ja nicht zu überwinden? Oder doch?
Da fange ich an nachzudenken: Welche Hindernisse gibt es denn, wie schlimm sind sie? Die Mehrfachbelastungen, Kinder – Küche – Karriere…, das kommt mir dann selber in den Sinn. Der Cartoon soll uns nicht alles vorkauen.
Einfach Menschen
Annemarie Voss (75): Gar nicht so einfach, unter einem Dutzend «Lieblingskarikaturen» eine auszuwählen. Meine Wahl fiel auf eine, die gar nicht lustig ist. Vier Skelette auf einer Wolke, die sich als ehemals schwarz, weiss, rot und gelb vorstellen. Jetzt sind es nur noch Skelette, waren einmal Menschen. Nicht auszumachen ist, wer früher welche Hautfarbe hatte. Eine sehr schlichte Darstellung dessen, dass wir einfach nur Menschen sind. Und es ist nicht zu begreifen, dass sich die Menschheit so schwer damit tut. Als ob der Wert und die Würde eines Menschen etwas mit seiner Hautfarbe zu tun hätte. Mit ein paar Strichen die Rassenproblematik zu thematisieren und auf den Punkt zu bringen, ganz ohne Farbe, das finde ich schon ziemlich genial.