Meinrad Schuler (77) wuchs in der Nähe von Wollerau auf, zusammen mit neun Geschwistern. Als sein Vater starb, war er 13 Jahre alt, die jüngste Schwester erst drei Monate. Das bedeutete, dass Meinrad nach der Schule schnell Geld verdienen musste. So arbeitete er in einem Baugeschäft als Eisenleger. 1970 kam er ins Bernbiet, um Wegmeister beim städtischen Bauamt in Thun zu werden. Am liebsten arbeitete er draussen und scheute sich nicht, mit dem Kehrichtwagen in Thun für Sauberkeit zu sorgen.
Die Leidenschaft beginnt
1964 nimmt Meinrad aus Freude an einem Volksmarsch teil. Das macht ihm Spass. Er erfährt schnell, dass Jodelclubs, Samariter-, Turn- und Musikvereine regelmässig derartige Volksmärsche durchführen. Jeder kann mitlaufen, das Startgeld ist mit fünf Franken nicht zu hoch. Schnell sind die Wochenenden des Meinrad Schulers verplant. Meinrad läuft so Woche für Woche. Entweder an Volksmärschen, sonstigen Läufen oder sogar an Marathons. Das ergibt durchschnittlich 3’000 Kilometer im Jahr. Dafür läuft er mindestens zwei Paar Laufschuhe durch. «Wenn sie neu und nicht eingelaufen sind, wird es schmerzhaft mit Blasen an den Füssen», erzählt Meinrad.
Trophäen, Medaillen, Plaquetten
1970 tritt Meinrad dem neu gegründeten Volkssportverband in Rapperswil bei. Ab 1972 dokumentiert er jeden seiner Läufe. Seine Leidenschaft ist nicht zu bremsen. Unzählige Medaillen und Preise füllen ein ganzes Zimmer. 31 Mal lief Meinrad den Berner Zweitagemarsch, 20 Mal den 100 Kilometer langen Bieler Lauf, zweimal den Schilthorn-Marathon und zweimal den Swissalpin in Davos. Bei der internationalen Thunerseewanderung von 1996 läuft er 188 Kilometer, ein Jahr später ganze 208 Kilometer und 1998 sogar 215 Kilometer – ein Rekord!
Er ist auch viermal von Nijmegen nach Rotterdam gelaufen, das sind 106 Kilometer. Von Paris nach Tubize sind es 287 Kilometer, die nur nachts gelaufen werden, wegen der Verkehrsbehinderung, welche die circa 1’000 Läufer verursachen würden. In Irland nahm er auch an einem Viertagemarsch teil und 1996 ist Meinrad – inzwischen als Senior – beim Boston-Marathon dabei. Sorgfältig dokumentiert er jeden Marsch, klebt die oft bunten Ausschreibungen in spezielle Tagebücher und zählt gleich die Kilometer zusammen.
89’879 Kilometer waren es Ende 2014. Damit ist er zweimal um den Erdball gelaufen. Und es hört nicht auf: Im Januar 2015 sind bereits 89 neue Kilometer dazugekommen. «Schaffe ich wohl die 100’000 Kilometer bis ans Lebensende?», fragt Meinrad Schuler im Gespräch. Zuzutrauen wäre es ihm – er ist nicht zu bremsen.
Hürden und Hindernisse
Doch ganz so einfach, wie das klingt, war es nicht immer: Einmal fuhr ihm ein Container über den Fuss, Meinrad wurde operiert und lief dann mit Krücken und Gips. «Das war nicht so praktisch, der Dreck schob sich unter den Gips», erinnert sich der Läufer. Auch das Wetter spielt laut Meinrad Schuler eine grosse Rolle. «Bei Gewitter laufen ist gefährlich, im Sommer kann es ziemlich anstrengen in der Hitze zu laufen, aber die kalte Luft im Winter ist ebenso unangenehm für die Atmung.» Meinrad Schuler kennt alle Strapazen. Zum Beispiel die Anfahrten zu den Läufen; die Nacht vor dem Lauf verbringt man meist in einer Turnhalle auf Luftmatratzen. Kein Hindernis hingegen ist, dass Meinrad keine Fremdsprache spricht. «Ich bin bis jetzt immer zurecht gekommen.»
Wie sieht die Zukunft aus?
Die meisten Vereine organisieren keine Märsche mehr. Andere Sportarten sind in Mode gekommen. Aber der 77-Jährige läuft nach wie vor jedes Wochenende einen oder zwei Märsche. «Dabei fühle ich mich wunderbar!»