Diesen Abend verbringt man am liebsten in Gemeinschaft und an der Wärme: Eine Kaltfront fegt über die Stadt, dicke feuchte Flocken verwandeln sich auf dem Gehsteig in eine dicke kalte Wasserschicht. Die Dunkelheit legt sich heute schon vor 17 Uhr wie ein Teppich über Bern. Dem eisigen Wind entfliehend stehen vier junge Menschen im zweiten Stock eines stattlichen Hauses in der Nähe des Bahnhofs Bern. Drinnen bekommen sie ein Hausführung.
Erika Kestenholz (69) wohnt seit bald einem halben Jahr hier mit drei Mitbewohnerinnen: Marlise Willareth (67), Catherine Spiller (56), Rosemarie Fischer (72). Auf Besuch sind Annina Reusser (23), sie wohnt in einer WG in Steffisburg mit zwei Kolleginnen; Tanja Mitric (23), sie wohnt mit einer Freundin im Berner Länggasse-Quartier; Livia Thurian (23) und Elias Rüegsegger (23) bewohnen mit einem befreundeten Paar seit zweieinhalb Jahren ein Haus in Thun.
Zum Essen gibt’s eine grosse vegetarische Lasagne – ideal für jeden WG-Abend. Für später wartet ein Orangentiramisù. Die Runde fragt sich: Warum lohnt es sich, in einer Wohngemeinschaft zu wohnen? Und was tun, wenn’s mal Streit gibt? Acht Menschen aus vier verschiedenen Wohngemeinschaften diskutieren, während die Lasagne aufgetischt wird.
Annina: Keine WG ist gleich wie die andere. Bisher kenne ich vor allem «junge» WGs – da sind alle betont locker und geniessen ihre Freiheit nach dem Auszug aus dem Elternhaus. Auch bei mir ist die WG die «erste eigene Wohnung» – den Auszug konnte ich mir nur leisten, weil ich die Miete teilen kann. In eurer WG war wohl nicht das Geld der Grund – Erika, weshalb seid ihr zusammengezogen?
«Den Auszug konnte ich mir nur leisten, weil ich die Miete teilen kann.» Annina Reusser (23)
Erika: Stimmt, das Geld war nicht entscheidend. Jede von uns bewohnte vorher eine eigene Wohnung oder ein Haus. Die Miete dieser Wohnung hier können wir uns allerdings nur gemeinsam leisten. Meine Mitbewohnerinnen hatten sich schon seit einiger Zeit mit der Idee einer WG-Gründung befasst. Sie hatten sich einige Häuser und Wohnungen angesehen und fanden im Frühling diese Wohnung. Sie war im Internet ausgeschrieben. Bei mir war es so: Meine Wohnung war zu gross für mich allein. Ich war offen für eine Veränderung, wusste von der Gründung dieser WG und kannte einen Mann, der mit seiner Familie dringend eine Wohnung suchte. Für Überlegungen blieb nicht viel Zeit. Aber gefühlsmässig stimmte einfach alles zusammen. Wie kam es bei dir zur WG-Gründung, Tanja?
Tanja: Ich wollte schon lange ausziehen, selbstständiger sein. Doch wie Annina kann ich mir als Studentin mit Nebenjobs keine eigene Wohnung leisten. Als dann eine langjährige Freundin von mir ebenfalls ausziehen wollte, machten wir uns gemeinsam auf Wohnungssuche und sind auch nach fast einem halben Jahr immer noch von unserer Entscheidung überzeugt. Meiner Ansicht nach beeinflusst das Alter der MitbewohnerInnen das Zusammenleben nicht.
Jede WG birgt das gleiche Konfliktpotenzial: Putzpläne, Besuchszeiten, verschiedene Ansichten bezüglich Sauberkeit… Trotzdem möchte ich nicht alleine wohnen. Es ist schön, jemandem von seinem Tag erzählen zu können, gemeinsam einzukaufen und abends ein Glas Wein zusammen zu trinken. Meine Mitbewohnerin und ich haben immer ein offenes Ohr füreinander. Wir schätzen die gemeinsamen Abendessen, respektieren aber auch die Privatsphäre der anderen, wenn diese den Abend mal in ihrem Zimmer verbringen möchte. Meinungsverschiedenheiten hatten wir zwar noch keine, aber ich bin sicher, dass wir zukünftige gut meistern werden. Wie sieht das bei euch aus, Marlise? Wie geht ihr mit WG-Konflikten um?
«Es ist schön, jemandem von seinem Tag erzählen zu können, gemeinsam einzukaufen und abends ein Glas Wein zusammen zu trinken.» Tanja Mitric
Marlise: Wir hatten bisher keine eigentlichen Konflikte, eher kleinere Auseinandersetzungen, bei denen es um Einrichtungsfragen ging. Jede von uns brachte einen vollständigen Haushalt mit und musste aussortieren, sich einschränken. Auch unsere Vorlieben gehen zum Teil diametral auseinander. Wenn eine Missstimmung auszumachen ist, suchen wir möglichst schnell das Gespräch. Dabei lernen wir manches über uns selbst und die andern. Rollen werden überdacht, Gewohnheiten hinterfragt. Und im besten Fall lachen wir herzlich über uns selbst. Denn es geht meistens um Kleinigkeiten: Wie wird die Spülmaschine «richtig» eingeräumt? Wie viele Paar Schuhe dürfen vor der Tür stehen? Wir suchen den Konsens, und das braucht halt oft einen langen Atem. Auf einige Dinge haben wir uns problemlos geeinigt: Einkäufe bezahlen wir aus der gemeinsamen Kasse. Nur wer privaten Besuch hat, bezahlt selber. Wer Leute zum Übernachten einlädt, schreibt das in einem Kalender ein. Gemeinsames Kochen und Essen findet spontan oder nach Absprache statt, nicht nach einem festen Plan. Wie läuft das bei euch?
«Denn es geht meistens um Kleinigkeiten: Wie wird die Spülmaschine «richtig» eingeräumt? Wie viele Paar Schuhe dürfen vor der Tür stehen?» Marlise Willareth (67)
Livia: Auch wir versuchen, Uneinigkeiten rasch zu besprechen, um Klärung zu schaffen. Zu Beginn der WG blieb manches unausgesprochen und staute sich bei allen vier BewohnerInnen auf, bis es dann zu einer Aussprache kam. Dies war das Ende des «Kalten Krieges», wie wir es in der WG heute rückblickend – und nicht ganz ernsthaft – nennen. Aus Konflikten lernt man viel über andere und sich selbst. Ein Konfliktpunkt war beispielsweise das Putzen. Das ist in unserem Haushalt aufwändiger als anderswo, da wir in einer 5,5-Zimmer-Haus wohnen. Wie regelt ihr das, Catherine?
Catherine: Wir haben das Privileg, uns eine tüchtige Putzfrau leisten zu können, und gehen diesem Konfliktpunkt so elegant aus dem Weg. Allerdings kommt sie nur zweimal pro Monat. Dazwischen putzen wir selber. Das Bad verlassen wir sauber. Auch der Küchenboden verlangt regelmässig Zuwendung. Bisher kommen wir ohne Putz- oder Ämtliplan durch. Alle beteiligen sich am Bündeln von Papier, Wegbringen von Altglas… Die Wäsche besorgt jede selber. Putzlappen und Küchentücher werden abwechselnd mitgewaschen. Wie organisiert ihr euch, Elias? Wir nehmen an, dass in Eurer WG mit zwei Paaren die klassische Rollenverteilung klappt, oder?
«Oft enden die Abende dann erst früh morgens – natürlich in einer sauberen Wohnung.» Elias Rüegsegger (23)
Elias: Klassische Rollenverteilung? Menschen, die heute immer noch die Frau grundsätzlich in der Küche und den Mann im Garten sehen, muss ich enttäuschen. Bei uns machen alle alles: Hausarbeiten ist niemandes grösste Passion und so leiden wir halt zusammen. Bei uns wird einmal in der Woche geputzt – dann jeweils, was gerade nötig ist. Müll entsorgen, grössere Putzarbeiten und so weiter erledigen wir meistens, sobald es ansteht, oft auch ein bisschen später. Lieber mag ich das Kochen für die ganze WG. Ein WG-Abend bedarf einer grossen Lasagne, wie heute hier bei euch, das bringt Stimmung in die Bude. Oft enden die Abende dann erst früh morgens – natürlich in einer sauberen Wohnung. Rosemarie, was ist für dich der Mehrwert des WG-Lebens?
Rosemarie: «Wohngemeinschaft», der Name weist auf das Wertvolle hin. Wir können allein sein, aber wir wollen uns auf das Gemeinsame besinnen. Ein «Guten Morgen», ein «Gute Nacht, schlaf gut!», ein «Wie war dein Tag?», das ist einfach schön und tut gut. ☐
Ich finde das WG-Leben grossartig. Bin mittlerweile über 50 und ich finds imer noch die beste Form!