Wir haben eine Aufgabe, die Sinn macht.
Erika und Livia, ihr beide wurdet zu Co-Präsidentinnen von UND Generationentandem gewählt, immerhin einem Verein von etwa 400 Mitgliedern. Euch wurde Macht zugeteilt. Worin besteht diese Macht und wie erlebt ihr sie?

Erika Kestenholz (76): Wir unterscheiden uns von anderen Vereinen darin, dass der Vorstand und das Präsidium nicht alle Macht auf sich vereinen. Wir legen Wert auf Partizipation und auf die Mitwirkung aller Mitglieder. Neben uns und dem Vorstand gibt es den Gründer des Vereins, Elias. Er ist die wichtigste Person im Verein.
Wir legen Wert auf Partizipation und auf die Mitwirkung aller Mitglieder.
Erika Kestenholz
Wie verteilen sich Aufgaben und Kompetenzen zwischen euch, Elias und dem Vorstand?
Livia Thurian (29): Aufs Ganze gesehen läuft unser Betrieb demokratisch. Natürlich beziehen wir als Co-Präsidentinnen Stellung, wenn etwas für uns nicht stimmt. Wir können aber nicht einfach ein Machtwort sprechen. Wir begegnen uns alle auf Augenhöhe. Wir diskutieren miteinander.
Erika: Wenn etwas entschieden werden muss, wird oft lange diskutiert, bis man sich einigt; es wird nicht einfach abgestimmt. Oft diskutieren wir lange, bis wir uns einig sind. Wenn der Vorstand einmal geschlossen einer Meinung gegen uns wäre, würden wir überstimmt.
Livia: Natürlich greifen wir gelegentlich ein, wenn uns ein Vorschlag nicht durchführbar scheint. Da gibt es dann lebhafte Diskussionen.
Erika: Elias, der Gründer des Vereins, hat keine Stimme als Geschäftsleiter. Er ist ausführendes Organ. Weil er die Übersicht über den ganzen Verein hat, übt er grossen Einfluss aus. Er ist das Bindeglied zwischen uns und dem ganzen Betrieb.
Livia: Wir als Co-Präsidentinnen haben eine Sonderrolle als Vertreterinnen von UND Generationentandem nach aussen. Zudem bereiten wir die Traktandenliste vor und leiten die Sitzung. Da intervenieren wir oft und achten auf das Einhalten der Traktandenliste.

Sieht dieser Führungsstil in den anderen Arbeitsbereichen ähnlich aus?
Livia: Die einzelnen Bereiche haben viel Entscheidungsbefugnis auf ihrem jeweiligen Gebiet. So entscheidet die Leiterin weitgehend, wie ein Apéro gestaltet wird.
Erika: Im ganzen Verein wird Wert daraufgelegt, dass alle mitwirken und mitentscheiden können. Auch ein Vereinsmitglied, das keine Leitungsfunktion hat, kann Vorschläge einbringen und hat Macht im Sinn der Partizipation. Natürlich werden wir oder der Vorstand eingreifen, wenn ein Vorschlag nicht zu unserm Konzept passt.
Bei der letzten Hauptversammlung gab es zu den Anträgen des Vorstands keine Gegenstimmen. Zeigt das nicht auf, dass ihr mit euren Vorschlägen viel Macht ausübt?
Erika: Die Einstimmigkeit heisst wohl einfach, dass es gut läuft. Die Mitglieder nehmen an, wir hätten unsere Anträge gut überlegt. Sicher ist es jederzeit möglich, gegen die Vorschläge des Vorstandes zu sprechen und zu stimmen.
Livia: Übrigens war es nicht immer so. Es gab Hauptversammlungen mit grossen Diskussionen, z.B. als es um die Schadaugärtnerei ging. Die Wogen haben sich geglättet, und es läuft wieder rund.
Bei diesen Hauptversammlungen herrscht eine ausgesprochen fröhliche Stimmung. Ist eure Arbeit als Präsidentinnen durchgehend so fröhlich, oder stehen Konflikte und bürokratische Belastungen im Vordergrund?
Erika: Im ganzen Verein herrscht eine gute Stimmung. Auch in der Zusammenarbeit mit der Geschäftstelle zeigt sich das. Das scheint mir auch die Voraussetzung zu sein, dass die Zusammenarbeit funktioniert.
Livia: Es ist eine Freude, in einem solchen Verein zu arbeiten. In einer freudlosen Atmosphäre möchte ich nicht wirken.
Es ist eine Freude, in einem solchen Verein zu arbeiten.
Livia Thurian
Erika: Natürlich gibt es auch schwierige Aufgaben zu lösen, da spüren wir die Verantwortung. Doch man hat Vertrauen in uns, und vor allem: Wir haben eine Aufgabe, die Sinn macht.

Mitwirken macht Freude
Eine kleine Gruppe Engagierter trifft sich im Höchhus. Sie repräsentieren jeweils einen Tätigkeitsbereich von UND Generationentandem. Sie sollen Auskunft darüber geben, wie Macht und Einfluss bei ihnen ausgeübt werden.
UND Generationentandem lebt einen partizipativen Führungsstil. Darüber sind sich alle einig. Alle können mitwirken, Ideen einbringen, mitentscheiden. Man begegnet sich auf Augenhöhe.
Natürlich gibt es Führungsaufgaben. Im Höchhus gebe es einen Chef, berichtet Antonietta (57). Er koordiniere und entscheide zusammen mit seinem Team. Doch auch die Leitenden einer Abteilung haben Entscheidungsbefugnisse in ihrem Bereich. Antonietta betont, gelegentlich könne auch sie ein «Machtwort»» sprechen, da, wo sie Fachkompetenzen habe. Aber grössere Entscheide, wie z.B. über das neue Höchhus-Konzept, entscheiden selbstverständlich alle gemeinsam.
In der Redaktion, so berichtet Heinz (75), werde sorgfältig diskutiert, Entscheide werden gemeinsam getragen. In seltenen Fällen müsse ein Beitrag zurückgewiesen werden, weil er nicht ins Konzept des Magazins passe. Das werde dann gründlich geprüft. In der Auswahl der Themen sei die Macht beschränkt durch ein Quartalthema, das von einer anderen Gruppe ausgewählt werde. Auch die Erfahrung gewähre einen gewissen Einfluss. Man respektiere die Meinung jener, die schon länger dabei seien. Da oft einige Mitwirkende abwesend seien, stehe die Macht einfach bei den Anwesenden.
Entscheide werden gemeinsam getragen.
Heinz Gfeller
Annemarie (79) vertritt das Team des Generationenfestivals. Oft habe das Geld die Macht, sagt sie. Sie hat im Generationenfestival die Aufgabe, Künstler: innen zu suchen. Da gäbe es oft sehr interessante Angebote, die einfach nicht in Frage kommen, weil sie zu teuer seien.
Eine spezielle Form von Macht habe Elias. Auch darüber sind sich alle einig. Er vertritt als Gründer und Geschäftsführer den Verein nach aussen und hat mit allen Bereichen Kontakt. Sein Einfluss sei gross, aber nicht, weil er sich mit seinen Ideen aufdränge, sondern weil alle Fäden bei ihm zusammenlaufen und er so die Übersicht über das ganze UND habe.
Eine spezielle Funktion haben die Angestellten, die für ihren Einsatz Geld verdienen. Im Höchhus zum Beispiel sind vier Personen fest angestellt. Haben sie da nicht Macht über die andern, die «Freiwilligen»? Rebekka Flotron (29), Koordinatorin der Kernredaktion, gibt zu, dass diese Frage Problempotential in sich trage. Momentan gebe es aber keine Schwierigkeiten. Was die Angestellten speziell einbringen würden, sei ihr Fachwissen. Und vor allem: Sie seien zwar bezahlt, aber gleichzeitig auch «Freiwillige», da sie sich meist weit über ihre Arbeitszeit hinaus engagierten.
Oft müssen wichtige Entscheide getroffen werden. Wird da gestritten? Natürlich gebe es Spannungen sagt Heidi (70), welche im Bereich «Kommunikation und Events» mitwirkt. Gerade jetzt, da sie in einer Konsolidierungsphase stehen, sei es wichtig, dass alle Stimmen gehört werden. Offene Kommunikation sei wichtig. Nur so gebe es gute Entscheidungen.
Es ist wichtig, dass alle Stimmen gehört werden.
Heidi Bühler
Worüber sich wieder alle einig sind: Es macht Freude, bei UND Generationentandem mitzuwirken. Das Ganze motiviere die Mitwirkenden so gut, dass man sich gerne engagiere. Man spüre Wertschätzung und könne seinen Teil aktiv einbringen. In dieser Freude könne Macht eigentlich kaum zum Problem werden. Man habe Vertrauen zueinander, auch zu den Leitenden. Es herrsche eine Stimmung der Freude, sagt Annemarie. Man sei einfach stolz, dabei zu sein.
In dieser Freude wird Macht kaum zum Problem.
Annemarie Voss
Inzwischen hat sich die Gruppe in eine Begeisterung hineingeredet. Die gesprochenen Worte haben sich auf die Stimmung der Gruppe übertragen. Die Freude an der Macht ist erlebbar geworden.
Übersicht und Verantwortung
Elias, du bist der Gründer von UND Generationentandem und heute der Geschäftsleiter. Wie würdest du deine Stellung innerhalb von UND beschreiben?

Elias Rüegsegger (29): In einer Weiterbildung tauchte in mir das Bild auf, dass UND ein grosses Schiff ist und ich auf der Schiffsbrücke stehe. Ich habe den Blick nach aussen, sehe langfristig, wo es hingehen könnte. Gleichzeitig aber habe ich immer wieder Gelegenheit, mich mit der Crew abzusprechen. Alle haben ihre Aufgabe, und so kann daraus ein grosses Ganzes werden.
Offiziell bist du nicht der Chef, hast aber grossen Einfluss.
Ich leite und führe die Geschäftsstelle, und in diesem Sinn bin ich Chef, obwohl ich dieses Wort nicht schätze. Da sind die Angestellten, aber auch die Freiwilligen. Bei den Freiwilligen achte ich darauf, dass sich alles auf Augenhöhe abwickelt. Es ist wichtig, dass der Vorstand achtsam ist auf das, was unter den Mitgliedern gedacht und gesprochen wird. Das Co-Präsidium, zusammen mit dem Vorstand, ist zentral. Hier bin ich anwesend, habe aber kein Stimmrecht. Die grösste Macht hat die Hauptversammlung. Diese vertraut aber in jene, die führen und leiten.
Du hast von Augenhöhe gesprochen. Kann man in einem Verein mit 500 Mitgliedern auf Augenhöhe bleiben? Braucht es da nicht eine starke Führung?
Wir versuchen wirklich, mit allen auf Augenhöhe zu sein. Doch wir glauben nicht, dass alle bei allem mitreden müssen. Wer eine Aufgabe hat, soll möglichst in seinem Bereich selbst entscheiden können. So bestimmen zum Beispiel die Redaktion oder das Kernteam Offenes Höchhus weitgehend selbst, was und wie sie etwas umsetzen wollen.
Wer eine Aufgabe hat, soll möglichst in seinem Bereich selbst entscheiden können.
Elias Rüegsegger
Wird Macht und Einfluss bei UND diskutiert?
Ja, zwischen Geschäftstelle, Vorstand und Co-Präsidium wird immer wieder darüber diskutiert, in letzter Zeit vor allem über die Rolle der Angestellten und die Rolle der Freiwilligen. Doch wir sind ein grosses Wir, wichtiger als die zugeschriebenen Rollen sind die Menschen.

Du hast eine zentrale Stellung bei UND. Ist diese Macht nicht auch eine Gefahr für den Verein im Fall, dass du dich beruflich einmal anders orientierst?
Auf jeden Fall ist es eine Gefahr. Die Gefahr ist jedoch kleiner als vor fünf Jahren. Es gibt inzwischen Bereiche, in denen ich nicht präsent bin, die ganz selbständig laufen. Wir spielen einander die Bälle zu.
Wie laufen wichtige Entscheidungen? Zum Beispiel die Entscheidung, ins Höchhus einzuziehen? Wer entscheidet? Und wer entscheidet in letzter Instanz?
Bei Entscheidungen, die weniger wichtig sind, zum Beispiel was im Höchhus an Verpflegung angeboten wird oder welcher Beitrag ins Magazin aufgenommen wird, entscheiden die Engagierten, die Gruppen, selbständig. Wichtige Entscheide hingegen werden breit diskutiert. So wurde zum Beispiel die Frage neuer Räumlichkeiten vom Vorstand sowie der Geschäftsstelle vorbesprochen und dann der Mitgliederversammlung vorgelegt, die ihrerseits dem Vorstand den Auftrag zur Ausführung gab.
Macht ist immer auch Verantwortung. Spürst du sie als Last oder ist dein Wirken reine Freude?
Es ist Leidenschaft. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen Leute auch in schwierigen Situationen dranbleiben. Das ist zur Hälfte Freude, zur andern auch anstrengend. Ich spüre die Verantwortung. Ich weiss aber, dass auch andere diese Verantwortung spüren. So ist die Last der Verantwortung geteilt.