Hans Jörg Rüegsegger, Sie sind Präsident des Berner Bauernverbandes. Der schweizerische Bauernverband hat zur Fairfood-Initiative Stimmfreigabe beschlossen. Ist das nicht seltsam bei einer für Bäuerinnen und Bauern so wichtigen Initiative?
Hans Jörg Rüegseggger: Ich war selber im Vorstand, der darüber entschieden hat. Wir haben uns viel Zeit für diese Frage genommen. Die Initiative hat ja in der Tat viele positive Aspekte. Andererseits hat sie aber auch zwei Punkte, die schwer umzusetzen sind. Darüber sprechen wir wohl noch. Das gab dann den Ausschlag für die Stimmfreigabe.
Gab es auch Differenzen zwischen Biobauern und Grossbauern?
Nein, ganz und gar nicht. Die einzelnen Verbände entscheiden selbständig. Das zeigt sich auch daran, dass der Bäuerinnen- und Landfrauenverband und die Junglandwirte die Ja-Parole herausgegeben haben.
Die Initiative stellt Ansprüche an die Bauern. «Von guter Qualität sollen Lebensmittel sein, sicher, umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt», steht im Text. Ist das für die Bauern umsetzbar?
Ja, es wäre umsetzbar. Die Betriebe hätten immer noch die Wahl zwischen den verschiedenen Labels: Bio, Integrierte Produktion, Demeter und andere. Die Anforderungen würden eher für die importierten Produkte steigen, für die es noch sehr wenige Auflagen gibt.
Würde die Annahme dieser Initiative für die Produktion in Ihrem Hof verändern?
Nein. Ich produziere nach den Vorgaben von IP Suisse, und diese würde den Anforderungen der Initiative entsprechen. Übrigens: 99 Prozent der Schweizer Bauern produzieren nach den Vorgaben des ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN). Wer hier mitmacht, leistet schon einen grossen Beitrag an umweltgerechtes Produzieren. So etwas gibt es im Ausland nicht.
In der Schweiz ist Käfighaltung von Hühnern verboten, in vielen Ländern erlaubt. Die andern produzieren also billiger. Das ist doch eine unfaire Konkurrenz.
Das ist richtig. Das Problem liegt bei der Umsetzung. Diese läge beim Bund. Die zuständigen Stellen sagen, die Forderungen der Initiative wären einfach nicht kontrollierbar. Man spricht von gleich langen Spiessen zwischen inländischen und ausländischen Betrieben, doch das ist zweischneidig. Es kämen mehr Lebensmittel mit gleicher Qualität aus dem Ausland. Jetzt orientieren sich die KonsumentInnen bei der Wahl der Lebensmittel an unsern Labels. Diese würden dann von ausländischen Produkten konkurrenziert.
Wenn man gewisse Bilder von ausländischer Tierhaltung sieht, ist das kaum zum Aushalten. Wäre es nicht sinnvoll, auch im Ausland auf tiergerechte Haltung zu drängen?
Hier geht es um Massentierhaltung. Die gibt es in der Schweiz nicht. Die Anforderungen sind bei den Schweinen kürzlich noch gestiegen. Bauern mussten ihre Ställe umbauen, um den Platzanforderungen für die Tiere zu entsprechen. Die Bauern lieben ja ihre Tiere auch. Wenn es einem Tier schlecht geht, hilft man ihm, ruft den Tierarzt. Im Ausland haben wir wenig Einfluss, da könnte die Initiative bei einer Annahme etwas verbessern.
Man warnt, bei Annahme der Initiative steigen die Preise. Das wäre wiederum ein Problem für die wenig Verdienenden, die sich Bio-Qualität oft nicht leisten können.
Teurer würden sicher ausländische Produkte. Sie können jetzt billiger hergestellt werden, weil sie weniger Auflagen unterliegen. Wenn sie Schweizer Werten entsprechen müssten, müssten die Preise steigen. Doch der Konsument hätte immer noch die Wahl, ob er ein teureres oder ein billigeres Produkt wählt.
Am 23. September stimmen wir noch eine andere Initiative zum Bereich Lebensmittel ab, die Ernährungssouveränitäts-Initiative. Stösst diese in eine ähnliche Richtung vor?
Die beiden Initiativen sind nicht zu vergleichen. Bei der Initiative zur Ernährungssouveränität stört mich, dass es vor allem um den Erhalt des Bestehenden geht. Wir müssen aber vorwärts schauen. Heute ist die Situation anders als früher. Eine Familie kann heute nicht mehr von einem mittleren Betrieb leben.