Mit Senioren im Klassenzimmer gewinnen alle: Die SchülerInnen, LehrerInnen und auch die SeniorInnen. Das Projekt win3 von Pro Senectute bringt ältere Menschen in Schulklassen. Im Beitrag von UND-Partner Radio Silbergrau macht Rolf Oberli einen Schulbesuch in einer Klasse in Köniz.
Auch ein Autor von UND hat Erfahungen mit der Arbeit als Senior im Klassenzimmer gemacht. Dabei ist ihm der 11-jährige Fabian besonders in Erinnerung geblieben. Für ihn hat er eine Geschichte geschrieben, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.
Davonfahren
Als Schulassistent hatte ich im Werkunterricht die Chance, mit Buben und Mädchen an ihren Kreationen zu arbeiten. Dabei widmete ich den AussenseiterInnen der Klasse gerne etwas mehr Zeit. Zum Beispiel wollten die Knaben einmal Autos basteln. Alle ausser Fabian bauten Rennwagen. Er schuf ein Postauto und wurde ausgelacht. Er war geschickt und ich musste kaum helfen, redete aber mit ihm übers Fahren im Postauto. Aufgrund dieses Erlebnisses schrieb ich die folgende Geschichte und schenkte sie ihm.
Fabian schwärmt für Postautos. Mit 11 Jahren baut er sich aus Holz und dickem Karton einen Wunschbus. Wenn er schulfrei hat, rollt er sein Traumgefährt aus der Garage des Vaters hinaus unter den grossen Nussbaum, sitzt hinein und startet den Motor, das heisst er imitiert als Chauffeur genau die Geräusche, die er von grossen Bussen kennt. Mit geschlossenen Augen fährt er präzise durch das Gartentor hinaus in die Welt – in seine Welt.
Zuerst kurvt er durch das Emmental mit all seinen Kühen und abgelegenen Bauernhöfen. Ein Bauer kommt ihm entgegen auf seinem neuen Traktor. Weil das Strässchen zu schmal ist, um kreuzen zu können, halten beide an. Sie fachsimpeln über die starken Dieselmotoren und die Besonderheiten ihrer Fahrzeuge. Der Bauer kann elf verschiedene Maschinen mit seinem Traktor betreiben.
Fabians Bus hat in allen Kopfstützen der Sitze einen «Touchscreen» eingebaut, auf welcher die Passagiere ihre Lieblingsfilme sehen können, wenn die Landschaft zu wenig hergibt. Nachdem sie mit einem Schnäpschen Duzis gemacht haben, ist der Bauer so nett, in das Feld auszuweichen und Fabian gibt Vollgas. Heia, entsteht da eine grosse Staubwolke hinter dem Poschi. Nach einem Abstecher auf den Napf lädt er eine Klasse ein, die auf der Schulreise ist und fährt mit ihnen zur Kunstmalerin Vera Krebs-Wyssbrod. Unter ihrer Anleitung helfen alle, den gelben Bus mit Bildern aus Abenteuerfilmen zu bemalen. Zusätzlich erhält Fabians Bus herausklappbare Flügel und einen Propeller. Dank dieser Neuerung landen sie schon zehn Minuten später beim Dichter Georg Cusanus und erfinden mit diesem die verrücktesten Geschichten. Eine geht so:
Eines Morgens ist dort, wo das Bundeshaus stand, nur noch gähnende Leere. Alle staunen und fürchten sich. Wer «ums Himmelswillen» ist fähig, in nur einer Nacht und ohne Lärm ein so schweres Haus zu stehlen?
Erich von Däniken sagt, das könnten nur Ausserirdische gestohlen haben. Der Münsterpfarrer meint, das sei ein göttlicher Scherz. Das Bundeshaus sei noch da, nur könnten es die Menschen nicht mehr sehen. Polizei und Militär beginnen sofort, mit Suchhunden und Helikoptern das Bundeshaus zu suchen. Die sieben Bundesräte, die nun kein Büro mehr haben, stehen auf dem Bundesplatz und telefonieren mit ihren Handys in der ganzen Welt herum und fragen, ob plötzlich irgendwo ein Regierungsgebäude stehe, das in der Mitte eine vergoldete Kuppel habe. Verschiedene Regenten werden sauer und schreien ins Telefon, nur ihr eigener Palast habe eine goldene Kuppel.
Fabian sagt zu seiner Schulklasse, eigentlich müssten die Wissenschaftler bald darauf kommen, was passiert sei. Er jedenfalls denke, das Bundeshaus sei im Kofferraum seines Busses – nur viel kleiner als vorher. Die Schüler glauben ihm nicht und gehen sofort nachsehen. Aber wirklich: Wie im Swiss Miniature von Melide, steht ein schönes, kleines Bundeshaus im grossen Kofferraum unten im Bus. «Wie ist das möglich?» fragen alle. «Hast du es hinein gezaubert?» «Nein – nein», sagt Fabian, «ich habe nichts gemacht. Aber ein Astro-Physiker hat mir erzählt, dass alles, was in ein schwarzes Loch gerät, total zusammenschrumpft, weil dort die Schwerkraft tausende Male stärker ist. Und der Mann hat auch gesagt, er mache Experimente mit kleinen, schwarzen Löchern. Warum er das Bundeshaus in meinen Bus gebeamt hat, weiss ich nicht. Vielleicht ist es da am sichersten.»
Die Schüler staunen und sagen, man müsse es zurückbringen. Das Bundeshaus gehöre schliesslich allen Schweizerinnen.
Also fahren sie nach Bern damit und Georg Cusanus mailt dem Physiker, er solle sofort auf den Bundesplatz kommen und dort das schwarze Loch wieder auflösen. Inzwischen hat das Militär aber alle Strassen zum Bundesplatz mit Panzern blockiert – wohl aus Angst, die Banken könnten auch noch gestohlen werden.
Die Schüler sagen den Soldaten, sie möchten mit dem Bundespräsidenten reden, denn sie wüssten, wo das Bundeshaus sei. Die Soldaten lachen nur und glauben ihnen nicht. Fabian kann aber vom Bus aus via Polizeifunk direkt zum Bundespräsidenten durchgeschaltet werden. Dieser befielt den Soldaten, dass man den Bus zum Bundesplatz geleiten solle. Der Physiker versteckt sich im Gebüsch auf dem Schänzli. Er ist selbst erstaunt, dass sein Experiment so gut geklappt hat. Er weiss aber nicht, ob er das schwarze Loch wieder auflösen kann. Mit einem Hubstapler wird jetzt das geschrumpfte Bundeshaus sorgfältig auf den leeren Platz gestellt. Georg sagt am Radio: «Jetzt müssen unsere Bundes – Politiker noch kleiner werden als Zwerge, sonst passen sie nicht mehr ins Bundeshaus.»
Und wirklich: als Bundesrätin Schlumpf das Mini-Bundeshaus berührt, wird sie kleiner als ein Schlumpf. Plötzlich sieht Fabian den Physiker auf seinem Radar und schreit so laut er kann: «Alle sofort weg vom Bundeshaus.» Alle rennen weg und fünf Sekunden später gibt es eine noch grössere Staubwolke als im Emmental und ein fürchterliches Knistern und Knacken ertönt. Alle halten sich die Ohren zu. Nachdem sich der Staub endlich verzogen hat, steht das Bundeshaus wieder in voller Grösse an seinem alten Platz. Die Bundesräte gratulieren Fabian und allen Kindern und laden sie ins Bellevue zu einem feinen Dessert ein.
Der Physiker muss ins Gefängnis, bis er verspricht, nur noch im Auftrag des Bundesrates schwarze Löcher zu erzeugen.
Fabian tritt mit seinem farbigen Bus im Fernsehen auf und erhält einen Orden.
So geht das zu auf dieser Welt!
Schreibergarten
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