
«Jeder braucht seine Insel» sang einst Peter Reber und meinte damit einen Rückzugsort, der uns schützt, wenn es im Alltag zu turbulent und nervenaufreibend zugeht. Eine Insel in der Südsee muss es nicht gerade sein, aber ein ruhiger Ort sollte es sein. Ein Ort, an dem niemand etwas fragt oder fordert. Wo man einfach in Frieden gelassen wird.
Kommt dieses Bedürfnis auf, verhalten sich Jung und Alt anders. Sind kleine Kinder erschöpft, verkriechen sie sich förmlich in ihr Innenleben, spielen fantasieversunken bis sie wieder auftauchen und sich erholt haben. Wenn SchülerInnen heimkommen, schleudern sie den Schulthek in die Ecke und wollen erzählen, sie reagieren heftig, um auf sich aufmerksam zu machen. Gelingt das nicht, verschwinden sie oft in ihren vier Wänden. Wenn Erwachsene ihre Energien wieder auftanken müssen, schnüren sie die Joggingschuhe oder suchen Gespräche im Freundeskreis. Rückzug muss sein und ist erholsam, um wieder bei sich zu sein, sich neu auf die Anforderungen des Alltags einzustellen.
Ich und meine Insel
Oft ist es am leichtesten, sich in dieser Situation zurückzuziehen und abzukapseln als auf andere Menschen zuzugehen. Jugendliche neigen dazu, sich mit Musik zuzudröhnen, drücken schnell den Kontakt zur Spielkonsole oder stürzen sich in einen digitalen Chat. Um auf andere Gedanken zu kommen, retten sie sich auf eine ferne, abgeschiedene, digitale Insel, auf der sie alleine und isoliert sind. Die Frage ist, ob durch stumme Einigelung die beruhigende Kraft entsteht, die den Kopf von Lasten befreit, Entspannung bringt und uns wieder aufbaut. Bringt Surfen im Netz die wirksame Musse, durch die wir wieder zu uns kommen? «Einmal im Netz, lange im Netz» trifft dabei zu. Viel Zeit geht verloren, und am Ende bleiben Internetnutzer innerlich leer und mit einem schalen Gefühl zurück. Woran liegt das?
Das Ministerium für Einsame
Laut einem Artikel in «Neue Zürcher Zeitung» ist Grossbritannien eine «Hochburg der Einsamen». Dort kümmert sich neuerdings ein Ministerium um sozial isolierte BürgerInnen, weil virtuelle FreundInnen in der realen Welt niemandem helfen. Der Neuropsychologe Lutz Jäncke von der Universität Zürich bestätigte in seinem Kommentar, dass wir Menschen den direkten sozialen Kontakt zu unseren Mitmenschen brauchen, wir seien «angewiesen auf die nonverbalen Informationen», die in der digitalen Sphäre fehlten: auf Gesten, Mimik, den Klang der Stimme, den Blick. Probanden hätten in einer Studie im Jahr 2013 bestätigt, dass das Gefühl emotionaler Nähe in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht am stärksten wahrgenommen würde, in einem digitalen Netzwerk dagegen am schwächsten.
Was uns also fehlt, ist alles, was wir im Gespräch mit einem Menschen als Reaktion bemerken: Staunen mit hochgezogenen Augenbrauen, befreiendes Lachen, Augenzwinkern, die gerunzelte Mimik der Skepsis und des Misstrauens, alles, was unser eigenes Erzählen anfeuert, was wir an emotionalen Regungen im Gegenüber hervorrufen können und uns hilft zu entspannen. Im virtuellen Netz rufen wir in einen Wald aus Meinungen und Erfahrungen hinein, aber ein nachhallendes Echo bleibt aus: Da ist einfach nur Schweigen.
Initiative Menschen sind der Kitt zwischen den Generationen
Junge wie alte Menschen kennen das Gefühl der Einsamkeit. In der Lebensmitte tritt Einsamkeit weniger auf, sondern eher im Alter. Im Kanton Zürich gaben 41 Prozent der über 75-Jährigen im Jahr 2016 an, nur eine Vertrauensperson zu haben. Alleinsein ist an sich nichts Schlechtes, in der Pubertät gehört es sogar zu unserer Selbstfindung dazu, aber Kontaktlosigkeit macht einsam. Sobald unser soziales Netz auseinanderfällt, besteht die Gefahr, einsam zu werden. Es bleibt dabei: Dranbleiben, aktiv und neugierig dem Leben begegnen, dann hat «Verinselung» – ein Wort geprägt vom deutschen Philosophen Peter Sloterdijk- kleine Chance zu entstehen.