
Seraina:
Wann ist etwas Müll? Einen alten Geldbeutel würden wir beispielsweise nicht als Müll kategorisieren, solange er uns als Behälter für Münzen, Geldnoten, Kredit- und Mitgliedkarten durch den Alltag begleitet. Doch wenn er nicht mehr gebraucht werden will und so verwahrlost aussieht, dass wahrscheinlich auch auf dem Flohmarkt niemand etwas dafür bezahlen würde, landet er im Mülleimer. Ob etwas unter den Begriff «Müll» fällt oder nicht, kann also von kleinen, persönlichen Entscheidungen abhängen.
Das Zusammengekehrte, wie es beispielsweise beim Mahlen von Korn zurückbleibt, wird mit «Müll» übersetzt
Seraina Graf
Seinen Ursprung findet das Wort in müllertechnischen Begriffen wie zerstossen, zermahlen oder zerreiben, wobei das Zusammengekehrte, wie es beispielsweise beim Mahlen von Korn zurückbleibt, mit «Müll» übersetzt wird. Der Begriff wird aber nicht nur für greifbare Objekte verwendet, sondern auch umgangssprachlich – meist von der jüngeren Generation – als Metapher für etwas Negatives. So wird beispielsweise über eine schlechte Schulstunde gewettert, in der die Lehrerin oder der Lehrer «einfach nur Müll erzählt» hat. Nicht nur über die Qualität, sondern auch über die Quantität des Erzählten wird dabei eine Aussage gemacht: Wenn jemand Müll erzählt, wird also Wirres, Unverständliches und/oder Falsches in einer grossen Menge kommuniziert.
Erneut ist es eine persönliche Entscheidung, etwas als «Müll» zu bezeichnen oder nicht. Allgemein – ob auf materielle Gegenstände oder auf eine negative Erfahrung bezogen – sollten wir uns fragen, ob etwas gleich unbrauchbar wird, sobald es in die «Müll-Kategorie» gerät, oder ob es an uns liegt, das Beste daraus zu machen und möglicherweise etwas dabei zu lernen?

Heinz:
Das Wort «Müll» verwenden wir heute – vielleicht sogar «Müllmänner»; aber schweizerisch ist es eigentlich nicht. Das Wort brauchen die Deutschen – wir SchweizerInnen sagen ursprünglich anders: offiziell «Kehricht» (nur standardsprachlich) oder «Abfall» (auch im Dialekt).
«Kehricht» gemahnt doch mal an die, welche ihn einsammeln – welche die Säcke auflesen, die Strassen wischen. Für das, was man ihnen zumutet, für die verwerfliche «Produzenten»-Seite bemühen wir einen neudeutschen, also englischen Ausdruck: Litter(ing). Wollen wir uns das Phänomen so vom Leib halten? Ich werfe mal weg, es wird dann schon jemand kehren…
«es Gheu, es Ghudel, Gnuusch, Gfotz, Gstoor, Gmoor… » Meinen die Zürcher mit ihrem «Güsel» wohl etwas Ähnliches? Chame drin umegusle?
Heinz Gfeller
Der «Abfall» wiederum drückt eher abfällig aus: Er ist der Überrest, was bei an sich noblen Arbeiten unter den Tisch, unter die Werkbank fällt. Ob da für jemanden etwas abfällt? Der Duden liefert mir noch «Unrat»: Auf jeden (Ab-)Fall ein negatives Wort, es geht um Undinge, unwerte Sachen. Wobei der «Rat» weder Politisches noch einen Ratschlag meint, sondern eben Dinge, wie etwa in «Hausrat». In unsern Mundarten allerdings sagen wir anders: Ghüder – für eine wirre, verwirrte, ja widerliche Materie unbestimmten Charakters. Ein Wort wie «es Gheu, es Ghudel, Gnuusch, Gfotz, Gstoor, Gmoor… » Meinen die Zürcher mit ihrem «Güsel» wohl etwas Ähnliches? Chame drin umegusle?
Am 7.7. erschien die 30. Ausgabe des Magazins. Der Müll ist hier Schwerpunkt. Im Laufe des Sommers werden die Beiträge aus dem Magazin auch online erscheinen. Bestellen kann man die gedruckte Ausgabe hier.
