Die Kolumnen von Jung und Alt. Hier berichten die UND AutorInnen.

Natürlich spüren auch Kleider den Frühling. Sie lockern sich, sie locken wieder mehr, sie werden, trotz den Unerschütterlichen in Schwarz, ein bisschen farbiger.
Doch da klafft eine Erscheinung auf, die zwar nicht aus diesem Jahr stammt, aber sich hartnäckig erneuert:
Die Jeans, die Leggings, alle möglichen Beinkleider bleiben lang, hinunter bis in die Schuhe – die Knie aber stehen offen. Ein Schnitt zieht sich vorn über ihre Biegung. Oder soll’s ein Riss sein? Die Hosen sind neu, oder wenn sie nicht danach ausschauen, hat man nachgeholfen. An Sitzenden lässt sich entdecken, ob die Knie nur etwas Luft bekommen, oder ob sie sich freizügig zeigen wollen.

Es ist ein Knie, sonst nichts*, könnte ich mich beruhigen. Auch mache ich mir Sorgen nicht darum – es wird sich kaum erkälten –, sondern um den Kopf, der dazu gehören sollte.
Seit längerem gehen Leute um, Männer, aber nicht nur, die Tarnanzüge tragen, diese «Vierfrucht»-Tenues, diese welkem Laub nachempfundenen Collagen. Nicht weil sie im Militärdienst stecken, sondern als eine Art Mode. Krieg ist hier weder im Gang noch in Sicht. Was denken sich die entsprechenden Köpfe – einige unter einer Tarnfarb-Mütze? Möchten sie wenigstens ein Stückchen Krieg auch bei uns haben – ganz ohne Gefahr?
Da erscheinen die freien Knie ja vergleichsweise friedlich, oder?
Der erste Frühlings-Gedanke mag sein: Da hat jemand nicht fertig gebastelt: Er oder sie wollte die Hosenbeine um die Hälfte kürzen, hat aber unter einem plötzlichen Bisen-Stoss innegehalten; So ist der untere Teil drangeblieben.

Doch nein, das (nicht mehr) Ganze sieht eher nach Unfall aus. Überraschend vielleicht, dass beide Knie häufig so gleichmässig drangekommen sind. Zudem, wenn man hinein-schaut: keinerlei Schrammen, nicht die geringste Blessur.
Eine kindische Vorstellung, dass man sich beim Spielen Haut aufschürft, dass Blut quillt, schliesslich Narben bleiben, an Knien, Ellbogen, anderswo. Hier wird nicht gespielt – nur sonst etwas Kindisches zelebriert.
Hier geht es um einen Stil. Der sagt: Lange genug haben wir durchgehende, glatte, ja gebügelte Hosen getragen; und selbst wenn sie ausgewaschen, scheinverfärbt fabriziert wurden, war das bald mal out. Wir unterscheiden uns – zwar nicht von all denen, die derselben Mode folgen, aber…
ja, wovon?
Wir sind nicht im Krieg. Nicht einmal im Sandkasten, oder im Wald. Wir sind keine Clochards, Gott oder wem sei Dank. Wir haben das Geld für Modekleider, gerne für solche aus asiatischen Ländern. Einigermassen billige: auch recht. Wer bestimmt schon, was «billig» aussieht? Gibt es irgendwo Menschen, die im echten Leben solche Kleider tragen?
Uns geht es gut. Wir dürfen so auftreten, als wäre dem nicht so. Unsere Knie sind makellos, schaut sie an; Sie haben noch nie gelitten. Was geht euch der Stoff drum herum an?
*Danke, Christian Morgenstern
Die gesammelten Kolumnen
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