Was für eine Beziehung haben die Gesprächsteilnehmer zu unserem sicherheitspolitischen Apparat, dem Militär?
Jonas, der jüngste Sprecher am Tisch, kommt aus einem Haushalt, in welchem das Militär nicht sehr präsent war. Einer seiner Grossväter wurde aus medizinischen Gründen nicht ausgehoben, der andere, weil er keinen Schweizer Pass besass. Sein Vater hat den Dienst verweigert. Für Jonas ist klar, dass er ebenfalls einen militärfreien Weg einschlagen wird. Er sieht sich selbst eher in einer antimilitaristischen Tradition.

Einen ganz anderen Bezug zum Militär hat Frederik, unser Armeebefürworter in der Runde. Er ist überzeugt, dass die Geschichten über die Kameradschaft und die vielen Militärerlebnisse seines Vaters sowie seiner älteren Freunde ihn geprägt haben. Schon vor der Rekrutierung sah er den Dienst als normalen Bestandteil seiner Bürgerpflichten. Jetzt, als Chefredaktor der Zeitschrift «Schweizer Soldat», verfolgt er sehr intensiv die schweizerische Sicherheitspolitik und setzt sich für eine starke Milizarmee ein.
Weniger überzeugt von der Milizarmee ist Werner, die älteste Person am Tisch. Er sieht sich zwar nicht als Armeegegner, steht aber dem schweizerischen Sicherheitssystem skeptisch gegenüber. Sein Dienst erlebte eher als enttäuschend. Er liess sich in die Gebirgssanität einteilen, doch die Rekrutenschule fand in Basel statt. Eine Armee sieht er als Instrument für den Krieg mit all seiner Grausamkeit. Sie verteidige heute niemand mehr, sagt er, denn die Mehrzahl der Kriegsopfer seien Zivilisten.
Geraldine, beeinflusst von diversen Faktoren, hat sich freiwillig für den Schritt ins Militär entschieden. Nach zehn Monaten Dienst hat sie sich aber noch keine klare Meinung zu unserem Milizsystem gebildet. Ob dafür oder dagegen, in ihren Augen haben beide Seiten sehr überzeugende Argumente.
Verschiedene Emotionen, Erfahrungen und Wissensschätze prägen den persönlichen Standpunkt. Werner machte in Gesprächen mit seinem Vater die Erfahrung, dass alle Argumente nichts nützen, wenn die emotionale Grundlage verschieden ist. Der Vater hatte an der Grenze gestanden, Werner war an Friedensarbeit interessiert. Der Graben war zu tief. Kann man mit so unterschiedlichen Grundlagen überhaupt zusammen diskutieren?
Auch wenn wir keine einheitliche Antwort finden, ob die Armee sinnvoll oder überflüssig ist, haben wir uns doch die gegensätzlichen Überzeugungen und Argumente angehört.
Gibt es ein Szenario für einen Einsatz
der Schweizer Armee?
Werner sieht kein realistisches Szenario, in welchem die Schweizer Armee Panzer und Kampfjets einsetzen müsste. Wir bräuchten eher eine schlagkräftige, bewegliche Truppe für die Terrorabwehr und dazu hochkarätige SpezialistInnen für die Cyberabwehr. Für solche echte Bedrohungen müsse Geld eingesetzt werden. Ausserdem denkt er, dass Friedensarbeit sinnvoller sei. So entstehe bei niemandem das Interesse, die Schweiz anzugreifen.
Auch der GSoA-Sekretär zeigt an diversen Beispielen, dass Konflikte militärisch nicht gelöst werden. Anstatt das Problem zu beseitigen, daure der Konflikt nur länger an und führe zu neuen Konflikten. Die friedensfördernde Darstellung der Armee stelle einen Widerspruch in sich dar, weil diese häufig selbst zur Gewalt im Kriegsfall beitrage.

Vor wem müssen wir uns überhaupt schützen? Gegner sei ein breiter Begriff, betont Frederik. Ein Gegner werde sich heute wie auch früher nicht so einfach zu erkennen geben, wobei Täuschung eine wesentliche Rolle spiele. Von zentraler Bedeutung sei, dass die Schweiz anderen Militärmächten nicht erlauben dürfe, unser Land als Operationsraum für ihre eigenen Pläne zu nutzen und in diesem Gebiet eigenmächtig zu operieren. Denn wenn die Schweiz ein neutrales Land sein wolle, komme sie nicht darum herum, eine bewaffnete Neutralität zu bewahren.
Jonas kritisiert, dass heute oft mit Gefahren und Gegnern aus dem Ausland argumentiert wird. Historisch gesehen, sei die Armee ohnehin eher im Inland gegen Aufständische eingesetzt worden. Mit dem Wort «Gegner» bezeichne man eine Wirklichkeit, die es gar nicht gebe. Er sieht keinen Grund, weshalb die Schweiz militärisch angegriffen werden sollte, denn es gebe keinen realen Feind, der die Schweiz einnehmen möchte.
Es gehe nicht nur um Verteidigung, meint Frederik, es gehe auch um Abschreckung, damit gar keine Verteidigung nötig werde. Er fügt an, dass unsere Sicherheitspolitik nicht darauf aufbauen könne, im Notfall Hilfe von Aussen zu erwarten. Cyber-Angriffe und Terror stünden zwar zurzeit im Fokus, doch mache es keinen Sinn, ein System komplett zu ersetzen. Verbundene Waffensysteme seien nach wie vor am effizientesten.

Militärische Rüstung – langfristiges Denken
oder Fehlinvestition?
Für Frederik ist klar, dass Rüstungsbeschaffungen konstant und nachhaltig sein müssen, selbst wenn noch kein Gegner in Sicht sei. Denn in einer sich verschlechternden Lage wäre es nicht möglich, ein Waffensystem in nützlicher Zeit zu beschaffen. «Willst du heute keine Millionen in die Sicherheit investieren, wirst du morgen Milliarden investieren», argumentiert er.
Jonas hingegen fragt sich, wo denn die Neutralität bleibe, wenn die Schweizer Rüstungsindustrie Waffen an Länder wie Saudi Arabien oder Brasilien liefere, nur weil die Schweizer Armee nicht genug Aufträge habe. Werner hingegen habe noch nie gehört, dass man Kampfjets aus China oder Russland evaluiert habe. Damit verbünde man sich doch mit der NATO. Jonas versteht nicht, weshalb in die Armee so viel Ressourcen gesteckt werden, wo es doch im Alltag viel mehr reale Bedrohungen wie häusliche Gewalt oder Umweltbedrohungen gebe, von welchen die Menschen effektiv betroffen seien. Werner verweist auf den Sicherheitsbericht 2020 des Bundes, der 44 Gefahrenpotenziale aufliste. Die Finanzen würden aber vor allem für die Armee aufgewendet.
Beide Seiten argumentieren gut, findet Geraldine. Niemand wisse mit Gewissheit, was in Zukunft passieren wird, daher habe jede Vorstellung von einem möglichen Szenario oder einer wünschenswerten Entwicklung ihre Berechtigung. Ihr fällt es schwer, Begriffe wie Neutralität, Gegner, Gefahren und Verteidigung zu interpretieren. Zu viele Aspekte könne man damit in Verbindung bringen. Egal wo man die Prioritäten setzt, für sie gibt es kein Richtig oder Falsch, sondern sie sieht in der Kombination der zwei Seiten die Grundlage einer widerstandsfähigen und dynamischen Sicherheitspolitik.

Worüber sind wir uns einig?
Egal wie gegensätzlich unsere Ansichten sind, in einem sind wir uns einig: Das Thema Sicherheitspolitik sollte in die Gesellschaft hinausgetragen werden. Frederik, der Chefredaktor des «Schweizer Soldat», tut es in seinem Beruf, Jonas im Verein GSoA. Sie sensibilisieren die Bevölkerung, sich Gedanken darüber zu machen, was Sicherheit für sie und ihr Land bedeutet.