
Ich bin eine fleissige Kinogängerin. Da ich so ziemlich in der Pampa arbeite, gehe ich auch ins Pampa-Kino, fast immer allein in den Kinosälen. Nicht so an den Solothurner Filmtagen. Eine lange Schlange an der Abendkasse mit motzenden Anstehern: unprofessionell organisiert, hiess es. Also: Pampa?
Nachdem ich mit viel Glück noch ein Billett ergattert hatte, sass ich in einem riesigen, bis auf den letzten Platz besetzten Saal. Die Filmemacherin Petra Volpe – ursprünglich aus Suhr – stellte sich vor, allerdings mit dem Nebensatz, sie arbeite in New York und Berlin. Also eine Pampa-Flüchtige. Und ihr Film führt uns … na wohin wohl…ja genau: in die Pampa, sprich nach Appenzell Ausserrhoden, Trogen.
Wenn die DorfMANNschaft erscheint
Thema ist eine beschämende Tatsache: Die Schweiz war 1971 nämlich eins der letzten Länder, die das Frauenstimmrecht einführten, und dies erst nach jahrelangem Kampf von Emanzen verunglimpften Frauen. Also ein Hinterwäldler-Pampa-Land. Der Film führt uns einem ebensolchen Kanton nämlich Appenzell Ausserrhoden. Das Kaff heisst Trogen.
Aufhänger für das politische Erwachen der Protagonistin Noras ist ihr Wunsch, wieder arbeiten zu gehen. Doch Noras Mann will dies nicht und verbietet es ihr. Nora, Hausfrau und Mutter von drei Kindern, im Nebenberuf Schwiegervater-Sklavin, beschliesst, sich zusammen mit zwei Freundinnen für die Abstimmung einzusetzen. Sie planen eine Infoveranstaltung – im Saal der Dorfbeiz –, die zünftig in die Hose geht. Die ganze Dorf-MANN-schaft erscheint und wirft mit Eiern. Noras Mann kommt direkt aus dem WK an die Versammlung und steht seinen Mann nicht – er lässt Nora im Regen stehen.
Schamröte
Nach dieser desaströsen Veranstaltung beschliessen die drei Appenzellerinnen, nach Zürich an eine Demo für das Frauenstimmrecht zu reisen. Und landen mit Foto in der Zeitung, sehr zur Empörung der Dorfbewohner.

Die Demonstrantinnen werden im fernen Zürich an einen Workshop eingeladen, bei dem eine Hippie-Holländerin die Frauen an ihre Vagina heranführt und eine Typologie derselben erstellt: Es gibt Löwen, Tiger, Schmetterlinge und so weiter. Sie verteilt Spiegel, damit die Frauen gleich selber herausfinden können, welchen Vaginatyp sie haben. Nora macht schamrot mit und erfährt zum ersten Mal, dass es so etwas wie einen Orgasmus oder eine Klitoris gibt und dass man sich selber befriedigen kann.
Zurück aus Zürich geht der Alltag wieder los. Das langweilige Leben einer Hausfrau wird anhand von Staubsaugerszenen sehr plastisch dargestellt. Der Schwiegervater kommandiert Nora zusätzlich herum: «Nora, bring mir ein Bier.»

Die Frauen beschliessen einen Frauenstreik in der Dorfbeiz – filmisch saugut umgesetzt. Die Frauen, mittlerweile fast alle aus dem Dorf, stecken in Skilageratmosphäre die Köpfe zusammen, schlafen Schlafsack an Schlafsack, tuscheln und kuscheln. Bis ein Stein durch die Scheibe fliegt und die Männer ihre „Wiiber“ wieder heimschleppen.
«Zu meinen Zeiten…»
Noras Mann jedoch macht einen Quantensprung. Er solidarisiert sich mit Nora und hilft im Haushalt. Der ätzende Schwiegervater meint: »Zu meinen Zeiten wäre das nicht gegangen.» und bekommt die treffsichere Antwort: «Die Zeiten sind anders heute und das ist auch gut so. Und dein Bier holst du in Zukunft selber!»
Und dein Bier holst du in Zukunft selber!
Das Abstimmungswochenende bringt endlich das Frauenstimmrecht. Nora bleibt politisch aktiv und hat durchgestiert, dass sie arbeiten gehen darf. Ihre Schwägerin verlässt das Dorf und holt ihre Tochter aus einer Pro Juventute Massnahme (in den 50-ger Jahren durchaus üblich bei renitenten Töchtern), die alte Beizerin stirbt, die neue italienische Beizerin schickt ihren Mann zum Teufel. Persönliche Schicksale, die die Handlung umranken. Super gespielt!
Ich bin begeistert von diesem Film, der sich atmosphärisch dicht durch die Schweizer Bünzliwelt tastet und einem oft ein Schmunzeln oder Lachen entlockt. Und ganz un-pampa-mässig erhebt sich das Publikum zur Standing Ovation. Ein tolles Kinoevent!
«Die göttliche Ordnung»
Petra Volpe bekam den mit 60 000 Franken dotierten Prix de Soleure 2017. Der Film «Göttliche Ordnung» startet am 9.3.2017 im Kino – einen Tag nach dem Internationalen Frauentag, in den Deutschschweizer Kinos.