Wenn alte Menschen von den Schrecken früherer Zeiten berichten, kann uns ein Schauer über den Rücken fahren. Die Menschen waren kleinwüchsig, oft unter eins achtzig, oft waren sie krank, mussten Roboterarbeit verrichten und starben früh. Dank unserer Technologie haben wir das zum Glück überwunden. Wir sind gross, stark, gesund und frönen unseren Hobbies, ohne arbeiten zu müssen. Und wir werden immer länger leben! 120 Jahre Lebenserwartung haben wir schon, aber seit wir das Alters-Gen im Griff haben, steht schon bald die Unsterblichkeit vor den Toren.
Nur ganz selten gibt es Probleme. Da war zum Beispiel ein Ehepaar beim Baby-Produzenten und stellte sich so am PC sein Baby zusammen, wie das heute üblich ist. Es wurde zwar 190 cm gross, Körperlänge, Sixpack, Muskulatur erschienen wunschgemäss, doch passte das Ganze so grässlich schlecht zusammen, dass der Bub sich kaum unter die Leute traute. Der gewünschte Intelligenz-Quotient von 200 war erreicht, Pech war einfach, dass der Bub schon mit vier Jahren seine Genialität einsetzte, um geniale Streiche zu machen. Doch das ist die grosse Ausnahme, sonst läuft alles wunderbar, und unsere computergesteuerte Medizin wird auch das in den Griff bekommen.
Ja, eigentlich sind sie überflüssig, aber aufs Ganze gesehen geht es uns doch allen blendend.
Es gibt ein paar linke Sonderlinge, die sich beklagen, dass 95 Prozent der Bevölkerung vom Fortschritt nicht profitieren. Ihre Vorfahren hatten zu wenig Geld, um ihre Kinder optimieren zu lassen. Da sind sie halt etwas minderwertig. Doch ich verstehe ihr Problem nicht. Mit dem Grundeinkommen sind sie doch versorgt. Sie verrichten täglich eine bis zwei Stunden die wenigen Arbeiten, die von den Robotern nicht übernommen werden können. Ja, eigentlich sind sie überflüssig, aber aufs Ganze gesehen geht es uns doch allen blendend.
Die unmenschlichen Menschen
«Ein Durchbruch in der Genoptimierungsindustrie!», verkündete vor einiger Zeit das Ministerium für Gesundheit. Die Rede war von der Entdeckung des Alterungs-Gens, welches man nun mit 99-prozentiger Erfolgschance optimieren kann. Ja, Genoptimierung tönt besser als Genmanipulation, deshalb entschied sich die Regierung dazu, letzteres Wort auch unter Strafe zu stellen.
Die EntscheidungsträgerInnen des Staates, die einer kleinen Elite angehören, verwenden «die Methode» zum Wohle des Staates, frei nach einem Motto eines einst berühmten Philosophen: Der Zweck heiligt die Mittel. «Die Methode» ermöglicht es dem Staat, Menschen massgeschneidert für die Bedürfnisse des Landes zu züchten. Mittels eines Kontingentsystems wird festgelegt, wie viele Menschen mit bestimmten Charaktereigenschaften pro Jahr gezeugt werden müssen, so dass eine nachhaltige Entwicklung des Landes sichergestellt werden kann.
So können Gene derart optimiert werden, dass 18 Jahre nach der Geburt eine systemfreundlichere Juristin oder kräftiger Bauarbeiter daraus wird. Dies gilt für die sogenannte Arbeiterklasse. Generell werden Kinder dieser Klasse auch von Genen befreit, welche fundamental für das kritische und logische Denken sind. Damit werden Aufstände und allgemeine Unruhen verhindert.
Es gab Zeiten, da stritten sich Frauen und Männer um gleiche Rechte. Darüber können wir heute lachen.
Die Oberschicht kann die Methode der Genoptimierung zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen. Während Kinder der Arbeiterklasse als Vorbereitung auf den nächsten Krieg zu SoldatInnen und Kanonenfutter optimiert werden, geniessen die Kinder der Oberschicht den Komfort der Offiziers- und Generalsgenetik. Nietzsche sagte schon lange zuvor: Gott ist tot. Es lebe «die Methode»!
Endlich gleichberechtigt!
Es gab Zeiten, da stritten sich Frauen und Männer um gleiche Rechte. Da gab es kleinwüchsige Stämme wie die Appenzeller in der Schweiz, die mit grosser Hartnäckigkeit den Frauen diese Rechte verweigern wollten. Frauen seien von der Natur aus nicht für Politik vorgesehen, es würden ihnen die Kenntnisse fehlen, und überhaupt könne der Mann sehr gut die Familie vertreten. Darüber können wir heute lachen. Heute arbeiten wir längst an weitergehenden Projekten.
AusländerInnen nehmen seit gut fünfzig Jahren am politischen Geschehen teil, auch Flüchtlinge, wenn sie drei Jahre in der Schweiz gewohnt haben. Auch die Löhne aller BürgerInnen sind angeglichen. Die Roboter erarbeiten uns ein Grundeinkommen, das allen zugutekommt. Wer zusätzlich eine Arbeit ausüben will, bekommt wie alle das Grundeinkommen. Nur wer strenge Arbeit verrichtet wie Putzpersonal, Manager oder so, bekommt einen kleinen Zusatzlohn. Steuergerechtigkeit sorgt dafür, dass der Reichtum sich allmählich auf alle verteilt. Und da alle genug haben, können doch alle zufrieden sein.
Das alles haben wir inzwischen in Ordnung gebracht. Was noch sehr in der Diskussion ist, ist die Gleichberechtigung der Tiere. Viele sagen, das gehe zu weit. Aber wer gibt uns Menschen das Recht, mehr entscheiden zu dürfen als sie? Warum soll der Hund genau den Weg gehen, den der Mensch ihn führen will? Warum sollen Tiere, die nichts verbrochen haben, eingesperrt sein und Menschen nicht? Doch wie gesagt, die Debatte darüber ist noch im Gang.
Gleichstellung – der Weg zur Hölle
Psychologen und Experten rieten davon ab, es ist jedoch geschehen: Es wurde ein Gesetz verabschiedet, welches die absolute Gleichstellung der Geschlechter vorschreibt. Der Staat sowie die Firmen sind nun verpflichtet, auf jeder Stufe der Hierarchie hälftig Frauen und Männer einzustellen. Wo dies aufgrund fehlender Bewerbungen nicht möglich ist, darf dennoch nicht vom Gesetz abgewichen werden. Die himmlische Theorie der Quoten wird zur höllischen Realität. Gleichstellungsentlassungen führen zu einer teuflisch hohen Arbeitslosigkeit, Männer finden keinen Job mehr in ihren Gebieten, wo sie über Jahre hochgradige Kompetenzen erworben haben. Auch die Religion wurde nicht verschont. Jesus und Allah bekamen ihr weibliches Gegenstück. Es brechen Tumulte aus, man fordert die gleichberechtige Gesellschaft zurück, die sich auf das Können des Individuums konzentrierte, nicht auf sein Geschlecht. Die Regierung aus sieben Regierungsräten stand vor einem unlösbaren Problem: Was ist die Hälfte von sieben?
Ein System, dem Untergang geweiht. Vom Theologen bis zur Forscherin hoffen alle bis heute noch auf die Rückkehr der Vernunft.
Die grüne Zukunft
«Die Ruhe und die saubere Luft zogen mich hierher, es ist wunderbar», schwärmt eine neue Bewohnerin eines Wohnhauses. Es ist nicht die Rede von einem abgelegenen Bauerndorf im Berner Oberland. Sie zog nach Peking. Ja, der Smog ist Geschichte, so wie der lästige Motorenlärm des Verkehrs. Es hat sich vieles getan, seitdem der Klima-Notstand ausgerufen wurde. Es dauerte jedoch noch eine ganze Weile, bis es auch die Mächtigen begriffen hatten. Sie sahen zu, wie die letzten Tropfen des schwarzen Goldes durch die Raffinerien gepumpt wurden. Nun leuchtete es ein: So kann es nicht weiter gehen.
Es war notwendig, dass nicht nur ein Ruck durch die Gesellschaft ging, sondern auch bis hinauf in die Konzernleitungen, zu den CEOs. Drastische Massnahmen wurden in die Wege geleitet, Forschungen zum klimaneutralen Leben vorangetrieben, Staatssysteme hinterfragt. Die Globalisierung stand vor einer Schockstarre, Fluglinien vor dem Grounding, die Wirtschaft vor dem Kollaps. Einmal mehr bewies der Mensch, zu was er fähig ist, wenn es um sein nacktes Überleben geht.
Zu den Flüchtlingen aus Bangladesh stossen dann auch noch ganze Volksscharen aus den Trockengebieten Afrikas hinzu, wo es sich inzwischen auch nicht mehr leben lässt.
Jetzt, nach überstandener tiefer Rezession, nach Revolutionen und Revolten, ist es geschafft. Die Wirtschaft floriert, neue Märkte haben sich erschlossen und Erfindungen bringen den Vergangenheitszustand wieder in die Gegenwart. Nicht zuletzt wegen der wieder erwachenden Globalisierung und der Rückeroberung der Lüfte seitens British Fairways mit ihrem neuen E380. Es ist, wahrhaftig, der Himmel auf Erden.
Die Klimahölle ist da!
Jetzt aber – ist es zu spät. Die Katastrophe ist eingetroffen. Der Meeresspiegel ist in den letzten 100 Jahren um einen Meter gestiegen. Jeden Tag gehen Meldungen von überschwemmten Gebieten ein. Bangladesh ist zu einem Drittel unter Wasser, weitere Teile sind durch Überschwemmungen versalzen und für die Landwirtschaft nicht mehr brauchbar. Das wäre ja für die EuropäerInnen kaum eine Aufregung wert, wenn nicht immer mehr von diesen Fremden an unseren Grenzen ständen. Sie können inzwischen nur noch von der Armee zurückgehalten werden. Zu den Flüchtlingen aus Bangladesh stossen dann auch noch ganze Volksscharen aus den Trockengebieten Afrikas hinzu, wo es sich inzwischen auch nicht mehr leben lässt. Wie lange geht es noch, bis sie die Grenzen stürmen und die Armee sich zum Schiessen gezwungen sieht?
Viele sagen, uns gehe es gut. Doch wie lange noch? Der Permafrost in den Bergen taut auf, Felsstürze mehren sich. Insekten und mit ihnen die Vögel sind weitgehend ausgestorben, die Felder mit Pestiziden vergiftet. Wasser müssen wir in Flaschen kaufen, und wie lange uns das Ausland noch die knapp werdenden Lebensmittel liefert, wissen wir nicht. Noch hält die öffentliche Ordnung, doch sind in grenznahen Gebieten wegen mangelnder Nahrung schon Unruhen im Gang. Wir haben es vermasselt, wir haben zu spät reagiert. Im Moment ist eine Lösung nicht in Sicht.