November, die Zeit der ersten Frostnächte. Das Thema Tod legt sich in dieser Jahreszeit ganz unbemerkt über die Natur – und die Menschen. Pflanzen sterben ab. Die Bäume ziehen den Lebenssaft in ihr Inneres zurück. Tiere verkriechen sich für den Winterschlaf. Und im Frühling erwacht alles zu neuem Leben. Auch die Kryoniker – es sind vorwiegend Männer – verwenden die Begriffe Einschlafen, Einfrieren, Aufwachen und ins Leben Zurückkehren.
Tote in Tanks
Weltweit gibt es mehr als 1’000 KryonikerInnen – also Menschen, die sich nach ihrem Tod beinahe ewig einfrieren lassen wollen. In den US-Staaten Arizona und Michigan liessen sich bisher mehr als 300 Menschen «kryonisieren» (siehe Kasten). Der Verein CryoSuisse wurde vor fünf Jahren gegründet und zählt etwa vierzig Mitglieder. Im Moment lagern drei Menschen aus der Schweiz in einem der Tanks in den USA. Die grosse Mehrheit der Kryokonservierten liessen den ganzen Körper einfrieren.
Der Weg in die eisige Ewigkeit
Wie funktioniert Kryonik? Sobald ein Mensch klinisch tot ist (Herzstillstand), muss der Körper innert Minuten an eine Herz-Lungenmaschine angeschlossen werden. 17 Medikamente fliessen danach via Infusion in den Körper. In einem Eisbad kühlt der Körper auf vier Grad ab. Die Körperflüssigkeiten werden im Operationssaal durch ein glyzerinhaltiges Frostschutzmittel ersetzt – dadurch bilden sich keine Eiskristalle, die die Organe beschädigen würden. Nun wird der Körper schrittweise abgekühlt und in einem Tank gelagert, der mit flüssigem Stickstoff gefüllt ist. Im Tank herrschen minus 196 Grad. In einem Tank finden vier Körper Platz, die kopfunter hineingehängt werden. Bis zum Tag X wird flüssiger Stickstoff nachgefüllt.
Anders Manuel Fabry (30), den wir für
diesen Beitrag interviewen wollen. Er zieht es vor, nur sein Gehirn einfrieren
zu lassen. Und auch dafür hat er noch nicht endgültig unterschrieben. Er wartet
noch, bis die Kryonik in der Schweiz Fuss gefasst hat. Manuel Fabry ist
selbständiger Unternehmensberater und als Dozent an der Handelsschule Basel
tätig. In seiner Freizeit beschäftigt er sich gerne mit Geschichte und
Philosophie – und mit Kryonik. Er will sich nicht damit abfinden, dass sein
Körper nach dem Tod begraben oder verbrannt wird. Die Kryonik bietet eine
Alternative. Auch wenn keine Garantie dafür besteht, dass sie erfolgreich ist:
Manuel Fabry schätzt die Wahrscheinlichkeit auf unter 0,1 Prozent. Doch Fabry
und die anderen Mitglieder des Vereins Cryo-
Suisse glauben an die medizinischen und technischen Fortschritte der Zukunft.
Im Bahnhofsbuffet Olten erwartet uns ein junger Mann, auf den das Wort «smart» zutrifft. Als Manuel Fabry uns erkennt, springt er auf – er blickt uns offen, ja fast erwartungsfroh an. Blitzschnell und wortgewandt beantwortet er während einer Stunde unsere Fragen. Ob er unsterblich sein wolle? Ja, wenn irgend möglich. Ob er narzisstisch sei? Ja, narzisstisch, überheblich und humanistisch.
Manuel Fabry, wollen Sie nun ein zweites oder ein ewiges Leben?
Manuel Fabry: Eher ein zweites. Wenn es die Möglichkeit gibt, in Zukunft wieder zum Leben erweckt zu werden, dann möchte ich das. Meine Zellen könnten dann verjüngt werden und ein ewiges Fortbestehen wäre möglich. Allerdings möchte ich auch die Möglichkeit haben, gelegentlich auf den Standby-Modus zu schalten.
Wie stellen Sie es sich vor, eines Tages aus dem eisigen Tod aufgeweckt zu werden?
Ich selber will nicht, dass mein Gehirn mit einem geklonten Körper verbunden würde. Diese Vorstellung ist für mich eher gruselig. Doch eine Verschmelzung meines organischen Kopfs mit Anorganischem wäre für mich die richtige Option, also die Verbindung mit einem Computer.
Das ist doch absurd.
Nein, überhaupt nicht. Wir schaffen ja schon heute digitale Parallelwelten, sei es für Games oder in der virtuellen Realität. Das wird zunehmen und deshalb wird es gar nicht nötig sein, in der physischen Welt zu leben. So könnte mein Gehirn – mit anderen Gehirnen zusammen – an einen Grosscomputer angeschlossen werden. Wie eine Art Altersheim für Verstorbene der anderen Art (grinst). Ob es so herauskommt, weiss niemand. Ob man sich dann die Mühe machen wird, kryokonservierte Gehirne anzuschliessen oder lieber lebende Menschen, die in eine Art Komazustand versetzt wurden, das kann ich nicht wissen.
«Eine Verschmelzung meines
Manuel Fabry
organischen Kopfs mit
Anorganischem wäre für mich
die richtige Option, also die
Verbindung mit einem
Computer.»
Konnten bereits tote Lebewesen aufgetaut und wiederbelebt werden?
Ja, allerdings bisher nur ganz einfache Tiere wie Fadenwürmer.
Was kostet die Kryokonservierung?
In der Schweiz ist der Betrag noch nicht festgelegt. Er wird sich aber zwischen 80’000 und über 200’000 Franken bewegen. Teuer sind die medizinische Betreuung und die Lagerung, aber auch die langfristige Finanzierung der Stiftung – sie muss ja über 200, 400… 1000 Jahre bestehen. Zudem wäre ein Startkapital für das nächste Leben nett.
Kryonik bald in der Schweiz?
Der Verein CryoSuisse, respektive die Stiftung EBF, European Biostasis Foundation, will in der Schweiz ein eigenes – und damit das erste europäische – Kryonik-Zentrum bauen, eine Art forschungsorientiertes Institut, das Kryonikdienstleistungen anbietet. Im Rahmen einer Stiftung ist bereits die Hälfte des benötigten Kapitals, das einen mehrstelligen Millionenbetrag ausmacht, zusammengekommen. Auch ein Standort ist gefunden, im Kanton Zürich, in der Nähe zu Deutschland. Das Gebäude ist in Planung. Dem Verein CryoSuisse beizutreten bedeutet nicht zwingend, dass die Mitglieder sich kryokonservieren lassen wollen. Sie sind eine Gruppe Gleichgesinnter, die sich einmal pro Monat bei einem Mittagessen über Kryonik austauschen, aber auch über Lebensverlängerung, wissenschaftliche und philosophische Themen. Sie sind Vermittler zwischen der Gesellschaft und der Stiftung und verstehen sich als Anlaufstelle für Interessierte.
Kann sich auch ein alter, gebrechlicher, schwerkranker Mensch kryokonservieren lassen?
Ja, wir weisen keinen ab. Allerdings vermitteln wir dann lediglich den Kontakt zu den Firmen in Amerika.
Setzen Sie sich selber eine Altersgrenze, ab der Sie nicht mehr tiefgefroren werden möchten?
Das weiss ich noch nicht. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass ich einmal so lebenssatt bin, dass ich mich nicht mehr kryokonservieren lassen will. Ausserdem komme ich ja nicht «alt» zurück. Zwingend für ein Zurückholen ist eine hohe oder sogar unbegrenzte zusätzliche Lebenserwartung.
Dazu gehört aber viel Abenteuerlust und Vertrauen in die Menschheit!
So wie sich die Menschheit heute entwickelt, müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, dass es mit unserer Kultur bergab geht. Dann hätte niemand die Möglichkeit und das Interesse, sich um das Zurückholen von Kryonikern zu bemühen. Bei einer positiven Entwicklung aber fände ich es cool, mitzuerleben, wie sich die Menschheit entwickelt hat. Man stelle sich vor, heute würde ein Mensch aus dem Mittelalter auferweckt…
Dieser Mensch wäre doch komplett überfordert.
Wenn ich mir vorstelle, wie die Welt vor 500 Jahren ausgesehen hat und dass sich die Entwicklung weiter beschleunigt, müssen sich auch in Zukunft gewaltige Veränderungen ergeben. Darauf bin ich als neugieriger Mensch gespannt. Ich kenne aber auch die negativen Seiten des Menschen. Im Moment schreibe ich eine Arbeit über ethische Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Das ist ein Paradebeispiel dafür, wie kurzfristige Interessen des Individuums über das langfristige Wohl zukünftiger Generationen, der Tiere und des gesamten Ökosystems gestellt werden. Wir leben verschwenderisch und egoistisch.
Sie glauben an eine Entwicklung zum Besseren.
Ja, vielleicht entwickelt sich unser Bewusstsein ja
auf schmerzliche Art – wie in der Vergangenheit durch die Weltkriege. Ich
glaube an das
Potential zur Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit des Menschen und das gibt mir
Hoffnung.
Sie interessieren sich auch für die Philosophie?
Ja, sicher. Sind wir Individuen mit einem freien Willen? Wie sind wir angebunden an das grosse Ganze? Darf man einen Menschen nach seinem Tod wieder lebendig machen? Was geschieht, wenn sich die Menschen gegenseitig verdrängen, da ja bereits genug Leute auf der Erde leben? Das sind Fragen, die mir wichtiger sind als die medizinischen und wissenschaftlichen.
Wie hat sich Ihr Verhältnis zum Tod durch die Kryonik verändert?
Ich bin eher religiös aufgewachsen. Danach wurde ich Nihilist, ich erkannte für mich, es gibt nichts nach dem Tod, kein sogenanntes Jenseits. Ich schätze das Leben im Jetzt. Ich will nichts hinausschieben und auf bessere Zeiten hoffen. Die Kryonik ist dabei wie ein süsser Zusatz, eine Möglichkeit. Eine letzte Wette in die Zukunft.
Sie bekämpfen natürliche, gegebene Tatsachen.
Jeder Fortschritt tut das. Deswegen tragen wir Kleider und Brillen, Zahnprothesen…
«Das einzige Ziel des Lebens ist das Überleben.»
Manuel Fabry
Sie bekämpfen den Tod.
Ja, wie so viele andere auch. Das einzige Ziel des Lebens ist das Überleben. Wozu dienen Herzschrittmacher? Viele Operationen sollen unser Leben verlängern. Das alles ist die Evolution. Heute sind wir an einem Punkt angekommen, wo eine allgemeine künstliche Intelligenz möglich ist, eine mit Bewusstsein und Emotionen. Viele WissenschafterInnen sind der Meinung, dass diese Wesen die Erde bevölkern werden, weil sie frei sind vom Körper, vom Organischen.
Wenn Sie die Kultur des Menschen durch die Evolution begründen, dann laufen Sie Gefahr, alles Schreckliche auf der Welt zu erklären und zu legitimieren.
Darum ist es wichtig, zwischen «sein» und «sollen» zu unterscheiden. Nur weil etwas so ist, wie es ist, muss es nicht so sein. Denn: Entwicklungen sind immer auf verschiedene Arten möglich. Den sogenannten Sozialdarwinismus bekämpfe ich vehement.
Was ist für Sie der Sinn des Lebens?
Ich liebe das Leben und trotzdem fürchte ich mich nicht vor dem Tod. Alles, was zu meinem und der ganzen Welt Wohl beiträgt, macht Sinn. Ich geniesse den Moment. Lebensqualität geht vor Lebensquantität.
Macht Ihnen die Idee, dass Sie eine lange Wartezeit vor sich haben, keine Sorgen?
Nein, denn Zeit spielt keine Rolle, ob das jetzt fünf oder 5000 Jahre sind. Ich merke es ja nicht. So wie ich im Schlaf nicht merke, ob ich drei oder neun Stunden geschlafen habe.
Der Schlaf wird ja auch als kleiner Bruder des Todes bezeichnet.
Ich denke, dass mein Bewusstsein in meinem Hirn sitzt. Ob nach dem Auftauen immer noch das gleiche Bewusstsein, also die Gewissheit vorhanden ist, dass ich Manuel Fabry bin, ist nicht sicher, aber ich weiss vor dem Einschlafen nie, ob ich am nächsten Morgen als Manuel wiedererwache. Ich bin auch nicht mehr der gleiche Mensch, der ich als Kind war, denn spätestens nach sieben Jahren sind nahezu alle Zellen des Körpers erneuert. Ich schliesse jeden Tag ab und wache am Morgen mit dem Gefühl eines Neubeginns auf. Und ich hoffe, dass das bis ins Alter so bleibt.
Wie möchten Sie sterben?
Ich möchte mit dem Gefühl sterben, mein Leben nach meinen Vorstellungen gelebt und einige Ziele erreicht zu haben. Und dann gehe ich schlafen. Und wer weiss, vielleicht wache ich ja noch einmal auf für einen neuen Tag.
Schritt über die Schwelle
Erika Kestenholz (71)
Ich habe keine Angst vor dem Sterben, aber Respekt. Grosse Vorbilder waren schon in meiner Jugendzeit Indianer, die auf einen nahen Berg stiegen und verschwanden. Später hörte ich von Mönchen östlicher Religionen, die sich einfach irgendwo hinsetzten und bewusst den letzten Atemzug taten.
Aber vielleicht sterbe ich auch plötzlich. FreundInnen, die mit mir unterwegs sind, habe ich gebeten, ja nichts zu unternehmen, wenn sie feststellen, dass ich das Bewusstsein verloren habe.
Wovor ich mich fürchte, ist die Panik, die in einem solchen Moment aufkommt, dass mit Herzmassage begonnen und Rettung anvisiert wird. Der Sterbevorgang sollte möglichst ruhig von statten gehen. Wie es manchmal in Todesanzeigen heisst, der oder die Verstorbene sei friedlich eingeschlafen. Die dreitägige Totenruhe wird meiner Ansicht nach eingehalten, damit sich die feinstofflichen Teile ungestört vom Körper lösen können, den ich vorübergehend bewohnt habe. Der Schritt über die Todesschwelle bedeutet für mich die Geburt in einen anderen Lebenszustand. Deshalb kommt Kryonik für mich nicht infrage.
Eis bekämpft die Angst vor dem Tod nicht
Elias Rüegsegger (25)
Ich habe Angst vor dem
Tod. Angst vor dem absoluten Nichts. Angst vor dem Verlust meiner selbst. Alte
Menschen wollen mir die Angst nehmen, sie finden: Es ist dann auch mal gut. Ich
frage mich, ob sie bloss ihre Angst gut verdrängen können oder sie den Tod
tatsächlich
akzeptieren.
Als Theologiestudent denke ich oft über
den Tod nach – viele tröstende Erzählungen gibt es da. Doch bleibt bei mir die
dröhnende Angst, der Schrecken und der schlimme Verlust, den ich in jungen
Jahren durch den Tod meiner Schwester 2014 erfahren habe. Bei dieser lauten
Angst könnte für mich der Gedanke an ein ewiges Leben – Beginn in 500 Jahren,
oder vielleicht 5000 – verlockend sein. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer
Wiedergeburt aus dem Eis noch so klein ist. Andererseits ist da in
meinem Magen ein ungutes Gefühl, wenn ich mich kopfüber in einem Tank vorstelle
– dann doch lieber verbrannt oder vergraben. Dass der Mensch glaubt, selbst
über Tod und Leben entscheiden zu können – alle Gesetze der Welt einmal zu
beherrschen, erfüllt mich mit Sorge. Dazu gehört für mich das
Experimentieren mit dem Ewigen Leben.
Ich glaube allerdings, Frostschutzmittel in meine Adern pumpen zu lassen – das kommt für mich nicht in Frage…