Die Geschichte der Wahlen in den USA beginnt für mich vor einem Strassenschild in Jerusalem: «Trumpeldor» steht drauf.
Yosef Trumpeldor war ein jüdischer Zionist. Die Zionisten wollten seit den 1880er Jahren einen jüdischen Staat gründen. Trumpeldor wurde vor allem durch seine letzten Worte berühmt: «It does not matter, it is good to die for our country.»
Trumpeldor wurde so zu einem Nationalhelden für Israel. Als ich und meine Freunde noch nicht wussten, wer Yosef Trumpeldor war und ein Strassenschild mit seinem Namen entdeckten, kam uns nur ein Spruch in den Sinn: «Make Hogwarts Great again».
Dieser Fantasiename ist eine Mischung aus Trump und Dumbeldore, wobei letzterer der bekannte Schulleiter von Hogwarts in den HarryPotter-Büchern ist. Obwohl natürlich weder Trumpeldor noch Trump etwas mit Harry Potter zu tun haben, fanden wir den Witz unglaublich gut.
Wir haben Trump nie ernst genommen.
Den so oft gehörte Kampagnenslogan von Trump, «Make America Great Again», konnten wir längst nicht mehr ernst nehmen, so wie wir auch Trump nie ernst genommen haben.
Trumpeldor wurde zu einem Nationalhelden, weil er es als etwas Gutes empfand, für das eigene Land zu sterben. Zu seinem Zeitpunkt gab es noch keinen jüdischen Staat, aber Trumpeldor ist während des Kampfes für dessen Errichtung gestorben.
Der Immobilienmogul im Weissen Haus
Dass Trump bereit wäre, für die USA zu sterben, mag ich bezweifeln. Trump geht es um Macht, er strebt nach Anerkennung und ihn reizt die Herausforderung. Anders kann ich mir nicht erklären, warum er sich für das Amt des amerikanischen Präsidenten interessiert hat. Weshalb sonst sollte ein Immobilienmogul urplötzlich, ohne politische Erfahrung, Präsident werden wollen?
Trump ist kein Politiker. Trump ist kein Diplomat.
Ich habe den Eindruck, dass er anfangs gar nicht die Absicht hatte, Präsident zu werden. Trump war nicht immer ein Republikaner, wie kommt es also, dass er auf einmal einer der rechtesten überhaupt ist? Vielleicht weil er wusste, wie er Stimmen bekommt?
Trump. Präsident Trump
Trump ist viel weiter gekommen, als alle gedacht haben. Trump ist nun Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er ist kein Politiker, er ist kein Diplomat und er ist erst recht kein rational handelnder Mensch.
Während des ganzen Tages nach der Wahl habe ich mich gefragt, ob Trump jetzt plötzlich erst merkt, was das Ganze zu bedeuten hat. Was nun? Er ist jetzt in der Position angekommen, wo er all seine Versprechen, die er den Menschen gemacht hat, umsetzen muss. Er wird daran scheitern.
Ich habe einige seiner Reden gehört. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er jemals gesagt hat, wie er all seine Versprechen einlösen will. Das Schlimmste an seiner Wahl ist die Ungewissheit. Niemand kann sagen, wie er sich als Präsident entwickeln wird. Das wäre mit Clinton als Präsidentin anders gewesen.
Ich versteh das nicht…
Ganz unabhängig von Trump bereitet es mir als junger Frau grosse Sorgen, dass es so viele Menschen gibt, die ihn gewählt haben. Erstens verstehe ich nicht, wie man als Frau Trump Clinton vorziehen kann. Nach all dem, was man über Trump erfahren hat und wie er zu Frauen steht, hätte ich ihn als Frau nicht wählen können. Der negative Höhepunkt war dieses Video.
Dann bereitet mir diese Fremdenfeindlichkeit Sorgen. Eine Entwicklung, die ja offensichtlich nicht nur in den USA stattfindet.
Ich lebe zurzeit in Israel und erfahre hier, wie es ist, wenn Länder nicht friedlich zusammenleben, Grenzen unüberwindbar scheinen und Menschen sich nicht vertrauen können. Eine Betonmauer ist von meiner Universität aus zu sehen. Sie trennt Menschen voneinander. Das nun so hochgelobte offene und freie Land Amerika einen Menschen wählt, der offen davon spricht, eine Mauer zu bauen und der Fremdenfeindlichkeit salonfähig macht, macht mir das Angst.
Ich bin in eine Generation hineingeboren worden, die lange keine grossen Kriege kannte, zumindest in Europa nicht. Wir wissen nicht mehr, wie es ist, physische Grenzen zu haben. Wir wissen auch nicht, wie es ist, eine offene Diskriminierung auf der Strasse zu erleben. Ich will das auch gar nicht kennen. Was sich der Westen nach dem zweiten Weltkrieg erarbeitet hat, droht auseinander zu fallen.
Sind wir so vergesslich?
Es kommt mir vor, als hätte es nichts mehr zu bedeuten, dass die europäischen Staaten kurz nach dem Krieg mit der Gründung einer Europäischen Gemeinschaft begonnen haben und dass Menschen Bewegungsfreiheit haben, unabhängig von ihrer Religion und Herkunft. Haben wir nicht aus der Geschichte gelernt? Sind wir so vergesslich?
Das macht mir Angst: Wo führt diese neu aufkommende rechte und nationalstaatliche, protektionistische Bewegung noch hin? Ich sagte, der Brexit würde nicht eintreffen – ich habe auch gesagt, Trump werde nie Präsident.
Ich hoffe, er überzeugt mich vom Gegenteil, wenn ich sage, Trump wird unsere offene Gesellschaft entscheidend verändern.
Eine ältere Stimme zu den US-Wahlen?
Andreas Anderegg (75) fragt sich, was der Sieg von Donald Trump für die USA und die Welt bedeutet.