Ungewöhnlich ist diese stickige Enge nicht. Ein frühsommerlicher Spätnachmittag, die drückende Wärme des ganzen Tages und der Schweiss von Menschen aus den Grossraumbüros hängen wie eine dunkle, gefährlich aufgeladene Gewitterwolke im Zugabteil.
Im Abteil nebenan sind alle vier Sitzplätze besetzt – nervös tippt eine junge Frau am Fenster auf ihrem Smartphone herum und schüttelt immer wieder ihren Kopf, sie hebt den Blick kaum, als der Kondukteur ihr Generalabo abnickt. Gegenüber – eine ältere Frau. Sie grüsst den Kondukteur freundlich, will noch etwas fragen, doch sie stockt, der Kondukteur schaut bereits auf den Fahrschein des jüngeren Nachbars der älteren Frau. Dieser Nachbar hat bis anhin ununterbrochen auf sein iPhone gestarrt und mit seinem Finger energische Wischbewegungen nach unten gemacht, um immer neue Meldungen auf Facebook, Twitter, Instagram oder 20 Minuten Online zu erhalten. Nun blickt er zum Kondukteur und sein Blick schweift zum Gegenüber – ein Mann etwa im gleichen Alter. Dieser schaut ebenfalls auf, das Billet dem Kondukteur vorweisend. Die beiden Männer in den 40ern kennen sich. Das bemerken sie endlich auch – als ob sie einander die ganze Zugfahrt noch nicht gesehen hätten… Sie reichen einander die Hand: Ah – ha di gar nid gseh. Ja i di o nid. Eh ja. Beide senken den Blick wieder auf ihre kleinen Bildschirme und versinken sofort wieder in der Welt von News und Wichtigem. Die immer neuen Meldungen, die nicht neuer werden und eigentlich immer dieselben sind, werden wieder heruntergewischt.

Ich sitze im Abteil nebenan und ärgere mich, dass die beiden Männer, die sich ja offensichtlich kennen, nicht miteinander sprechen. Einsam sind die, die nicht mal mit ihren Freunden sprechen können, denke ich. Vielleicht sind sie aber auch Erzfeinde und schlecht aufeinander zu sprechen. Sicher schreiben sie gerade ihren Partnerinnen per SMS: Hei, i ha gad dr Anger gseh, weisch z Arschloch da… Abschotten kann man sich gegen Flüchtlinge, abschotten kann man sich aber auch gegen die Mitmenschen im Alltag. Welch soziale Kälte, denke ich. Aber bin nicht vielleicht gerade auch ich ein Problem, wenn ich den Menschen im Abteil vis-à-vis ihre Rollen zuschreibe? Und mich vielleicht sogar insgeheim besser fühle? Ich will es nicht glauben.
Nächster Halt… – endlich aussteigen – es kommt Bewegung in die eingefrorene Situation. Die beiden Männer erheben sich, schauen sich kurz an: Ja, het mi gfröit, gäu…. Mi o – gruess dahei! Tschou, es angers mau wider – gäu.
Alt und Jung im Zug
Gemeinsam unterwegs: zwei Generationen auf Konfrontationskurs im Öffentlichen Verkehr. Abgefahrene Alltagsgeschichten, die sich in einem Zug lesen lassen.