
Wie geht’s? Auch ich habe diese Frage kürzlich einem Bekannten gestellt im Wissen darum, dass sowohl er wie auch seine Frau im letzten Jahr gesundheitliche Probleme hatten. Die Antwort auf die Frage dauerte fast eine halbe Stunde und zeigte mir einmal mehr, dass es absolut nicht selbstverständlich ist, jeden Tag gesund aufzuwachen.
Darmverschlingung
Ich wusste lediglich, dass er – nennen wir ihn Ralf (54) – aufgrund von Darm-Beschwerden im Spital und einige Zeit arbeitsunfähig gewesen war. Die Details kannte ich nicht. Er klärte mich dann auf: Die Ursache für seine Beschwerden war eine Darmverschlingung. Man musste ihm deshalb einen grossen Teil seines Darmes entfernen. Über 30 Tage lang lag er im Spital, den grossen Teil davon auf der Intensivstation. Die Situation war offenbar äusserst bedrohlich – was ich aber erst jetzt im Nachhinein erfahren habe. Jetzt geht es ihm wieder gut. Man kann sich aber vorstellen, dass die Verdauung massiv beeinträchtigt ist und Ralf viele Nahrungsmittel nicht mehr verträgt. Das schränkt ihn zwar stark ein, er kann damit aber leben. Kaum ging es ihm wieder besser und seine Familie hatte sich von der belastenden Zeit erholt, ging es bei seiner Frau los. Ihr starker Haarausfall hatte sie dazu bewogen, sich gründlich untersuchen zu lassen. Eine Odyssee begann… Nach vielen Arztterminen und Untersuchungen fand man schliesslich die Ursache: Die Frau – nennen wir sie Susanne (52) – litt unter einer massiven Überproduktion von Cortison; der Grund dafür war ein Tumor an der Hypophyse (Hirnanhangdrüse). Der Tumor wurde in einer nicht ungefährlichen Operation entfernt. Während der Operation wurde ein Herzinfarkt ausgelöst. Die Familie bangte zum zweiten Mal innert weniger Monate um das Leben eines Elternteils und Ehepartners.
Neues Leben geschenkt
Schlussendlich kam alles gut – beiden geht es soweit wieder gut, in der Familie ist Ruhe eingekehrt. Demnächst werden die beiden zum ersten Mal Grosseltern. Einerseits bekamen die zwei ein neues Leben geschenkt, andererseits entsteht in der Familie tatsächlich neues Leben.
Was meine Frage «Wie geht’s?» mir offenbart hat, hat mich bewegt. Ich werde künftig noch besser hinhören und nachfragen, wenn ich von gesundheitlichen Problemen von Bekannten höre. Vor allem aber möchte ich auch künftig immer gut zuhören, wenn ich die Frage «Wie geht’s?» stelle. In diesem Sinne wünsche ich allen «gute Gesundheit».
Hallo, wie geht`s?
So offen wie unser Model tragen wir unsere Gemütslage selten zur Schau. Interpretieren Sie selbst!





Wir stellen uns gegenseitig Fragen, deren Antworten wir gar nicht wissen wollen. Ein ziemlich spezieller Kult, der sich anscheinend in unserer Gesellschaft eingebürgert hat. Was löst die Frage in mir aus?
Ein freundliches Lächeln strahlt mir entgegen wie das Funkeln eines Kristalls, als ich einen Bekannten am Bahnhof treffe. Ein im Vergleich dazu matt wie ein Stein wirkendes, vor Stress strotzendes Augenpaar starrt mir entgegen, während ein hastiges «Hallo, wie geht’s?» über die Lippen des jungen Mannes rollt.
Eine merkwürdige Frage
Die letzten beiden Wörter fegen durch meinen Kopf und werfen die Alarmglöckchen meines Verstandes hin und her wie Laub in einem Gewittersturm, ehe sie gegen eine unsichtbare Wand in meinem Gehirn klatschen und verwirrt umher taumeln. So sehr ich es auch schätze nach meiner Befindlichkeit gefragt zu werden, in der gegenwärtigen Situation scheint diese Frage fehl am Platz zu sein.
Stirnrunzelnd halte ich inne, um mich zu entscheiden, welche Tür der Pförtner in meinem Gehirn dieser Frage öffnen soll. Ist es das edle Portal in mein Inneres, wo tiefgründige und ehrliche Antworten auf sie warten?
«Nein», flüstert der oberste Richter, der Frontallappen meines Hirns, «es ist eine Floskel». Der oberste Aufseher, die Hypophyse, seufzt entnervt und giesst eine Ladung Ärger in den Körper. Die beiden Wörter springen derweil ungeduldig im Wartesaal auf und ab. Unverzüglich werden im für die Sprache zuständigen Broca-Areal Proteste laut, der Ausdruck «wie geht’s» umfasse technisch gesehen drei Wörter. Die allgemeine Verwirrung ignorierend gibt das Kommandozentrum schliesslich den Befehl, die Luke zu den vorgefertigten Floskeln zu öffnen.
Ungeduldig stürzt sich die Frage durch die Klapptüre. Dort würfeln die beiden Aussagen «gut, dir?» und «ja, muss» bereits um die Wette, wer den nächsten Einsatz in Anspruch nehmen darf. Erstere gewinnt mit einer glatten Sechs und macht sich sofort auf den Weg. Noch während sie wie ein Pfeil aus meinem Mund schiesst, hat sich die mir gestellte Frage bereits im Archiv eingefunden und wird dort an ihren Platz verwiesen.
Warum Floskeln?
Leider findet meine Antwort keinerlei Resonanz bei meinem Gegenüber. Ohne einen Bescheid abzuwarten, hat er sich bereits abgewandt um mit zügigen Schritten den Zug, der ihn nach Hause bringen soll, zu erreichen.
Kopfschüttelnd blicke ich ihm hinterher. Es scheint sich eingebürgert zu haben, Dinge zu fragen, deren Antwort man gar nicht wissen will. In der festen Überzeugung, diese Frage selbst nie auf diese Weise zu missbrauchen, schreite ich meines Weges.
Wenn es darum geht, ein peinliches Schweigen zu überbrücken, ist man selbst schnell im Floskel-Raum. Und «wie geht’s?», hat anscheinend ungeheures Würfelglück.