
Wie die Zeit verfliegt – oder dahinschleicht – wie sie vorwärtsstürmt oder kriecht… Wir wissen alle, wie unterschiedlich man das wahrnehmen kann, und von welchen Faktoren es abhängt, von Stimmungen, Arbeitsweisen, sozialen Situationen, äusserem wie innerem Druck.
Doch letztlich läuft die Frage, ob Zeit langsam oder schnell vergehe, auf die eine, wesentlichste hinaus: Wie lang oder kurz ist unser Dasein? Wir sind gewohnt, auch darüber ganz Unterschiedliches zu hören: Wie schnell war das Leben vorbei, mag dieser Achtzigjährige meinen; wie endlos hat sich meine Kindheit ausgedehnt, jene Zwanzigjährige; wie bin ich nur vom Erwachsenwerden bis hierher gelangt, jemand auf dem Gipfel einer Karriere. Und weniger deutlich ausgesprochen, aber oft wohl mitgedacht – die Frage nach der «anderen Seite»: Wie lange wird es weitergehen? Wie rasch kommt das Ende?
Ich bin siebzig; ich stelle mir diese Fragen, oft unfreiwillig, halt häufiger. Ich bin mir auch bewusst, dass ich sie unter anderen Lebensumständen nicht so vorbringen könnte, allenfalls überhaupt nicht mehr. Ich gehe von einem «normalen Leben» aus, einem nach den Statistiken. Oder doch eher nach meinem Lebensgefühl?

Wir haben Anfang und Ende; doch unser Leben ist grenzenlos. Zwar erinnere ich mich an unzählige Ereignisse, Bilder, Menschen, die wohl Jahrzehnte zurückliegen – und dies mit fortschreitendem Alter möglicherweise zunehmend, wie wenn ich zurückstiege. Doch unendlich viel ist weg; die Ideen, die ich über frühere Epochen besitze, sind angelesen, intellektuell gespeichert, das Lebendige daran erreiche ich nicht mehr. Wie steht es gar mit meinen allerersten Jahren? Meiner Geburt? Und davor war ja auch etwas… Ich habe alles, was mir noch in den Sinn kommt, ja wirklich durchgemacht. Oder wenigstens das meiste: Man traue seinem Gedächtnis nicht übermässig. Die Zeit, worin alles spielte, ist mir aber entglitten, und sie erscheint riesig. Das muss uns nicht ängstigen, nur übersteigt es uns eindeutig.
Und ebenso sieht’s nach der andern Richtung aus. Ich mag mir redlich Gedanken über meine Zukunft machen; trotzdem erfasse ich den Zeitraum nicht, der sich da auftut. Wahrscheinlich darum, weil sich mir das Ende entzieht, bestimmt aber das, was nachher folgt. Wir leben im Jetzt, und, so glaube ich, nur dieses eine Mal. Doch innerhalb dessen ist unser Dasein unendlich.